„Ja.“
„Weißt du, ich bin kein Lehrer, und im Aufsatz war ich nie besonders gut. Aber ich find’s großartig. Und so richtig aus dem Leben gegriffen.“
„Ganz meine Meinung. Aber wenn ich den Text so beurteile, wie ich ihn beurteilen müsste, wär’s ein glattes Nichtgenügend.“
„Ja …, und wenn du gar keine Note drunter schreibst, sondern einen Satz? Ich meine, so ungefähr wie: Das ist eine so schöne Geschichte, dass die Fehler ausnahmsweise nicht so wichtig sind.“
„An dir ist ein Lehrer verlorengegangen, Simon! Richtig korrekt ist das aber natürlich nicht.“
„War mir auch als Gendarm schon immer ziemlich egal.“
„Wem sagst du das! Wie war’s denn heute so?“
„Die Frau Habesam weiß jetzt Bescheid.“
„Noch besser als sonst?“
„Unser Kind, Karin. Sie hat mir auf den Kopf zugesagt, dass ich wie ein verklärter Märtyrer dreinschau – hab ich’s ihr halt erzählt.“
„Um Himmels Willen! Aber gut beobachtet hat sie – und früher oder später wär’s nicht mehr zu verheimlichen gewesen, also dann eben früher. Ihr Kommentar?“
„Höchste Zeit für die Hochzeit. Sie geht als Trauzeugin, sie rollt, genauer gesagt.“
„Und du, Simon, was sagst du?“
„Recht hat s’, die Frau Habesam.“
„Mein Lieber!“ Karin Walter ergriff eins der Schulhefte und schlug es Polt sanft um die Ohren. „Wenn das ein Heiratsantrag gewesen sein soll: Geht’s nicht ein bisschen feierlicher?“
„Ich hab’s ja eh probiert, Karin. Also, was ist?“
„Ja und nein, nein und ja, was weiß ich.“
„Sag einmal, ist es dir egal, wenn’s für das Kind keine richtige Familie geben wird?“
„Jetzt hast du dich aber verraten. Ich allein hätt noch lange warten können, bis du mich fragst.“
Simon Polt flüchtete sich in einen beredten Seufzer. Dann schwieg er und suchte in Karin Walters Gesicht nach Spuren von Gnade, fand aber nur freundliche Glätte. „Was soll ich sagen, Karin … Vor Jahren, ich war noch Gendarm, hab ich in meinem Presshaus mit dem Christian Wolfinger geredet – der Jäger, du weißt schon. Und weil bald Weihnachten war, hab ich ihm von dir erzählt und davon, wie ungeheuer gern ich dich hab. So sind wir aufs Heiraten zu sprechen gekommen. Ich bin gute vierzig, hab ich g’sagt. Da hat man so seine Angewohnheiten. Er drauf: Und meistens schlechte.“
„Meinst du, die kenn ich nicht alle, nach der langen Zeit?“
„Weiß ich, was der Czernohorsky zu dir sagt?“
Jetzt lachte Karin, lachte lange und vergnügt. „Was magst denn zum Frühstück, Simon?“
„Frühstück?“ Polt bekam einen roten Kopf.
Die Lehrerin betrachtete ihn innig und zufrieden. „Danke, Lieber! Das nenn ich ein Kompliment …“
Es war noch dämmrig, als die zwei tags darauf einträchtig am Küchentisch saßen. „Weißt du, Karin“, Polt kämpfte mit einem halb rohen Frühstücksei, „so verknittert und verstrubbelt hab ich dich noch lieber als sonst.“
„Ja?“ Sie lächelte verlegen.
„Ja! Ich hab dich nur für mich, und du gehst keinen anderen was an.“ Er griff nach einem Toastbrot, das nur mit viel gutem Willen als dunkelbraun bezeichnet werden konnte, und legte einen Würfel von Karins legendärem Quittengelee darauf, das sich durch hohe Elastizität und erstaunliche Bissfestigkeit auszeichnete. Es gab Leute, die Karin Walters Kochkunst als furchterregend bezeichneten. Polt zog es vor, sie respekteinflößend zu nennen.
Die Lehrerin schaute auf die Uhr. „Keine Eile, Simon. – Und jetzt heraus mit der Sprache! Was hast du mir gestern Abend verschwiegen? Mir machst du nichts vor, mein Lieber.“
„Das befürchte ich. Ich hab dich nicht erschrecken wollen, so spät und in deinem Zustand. Aber heute werden ja alle im Wiesbachtal davon reden. Ein Leichenfund, Karin. Ausgerechnet im Weingarten vom Norbert Sailer. Saublöde Sache, besonders für einen Polizisten.“
„Ja, schon, und nicht nur für ihn. Bin ich froh, dass dich so etwas nichts mehr angeht. Und ich will fürs Erste eigentlich auch gar nichts davon wissen. Du, Simon, aber etwas anderes macht mir Sorgen, und das betrifft auch dich: Die Schule hat zu wenig Kinder und es wird ja an allen Ecken und Enden gespart. Stell dir vor: Schon im Herbst könnte es keinen Schulanfang mehr geben in Burgheim.“
„Und was wird dann aus dir?“
„Eine arbeitslose Lehrerin oder eine, die sich irgendwo anders eine Stelle suchen muss, womöglich weit weg auch noch.“
„Alles, nur das nicht!“
„Halt mir die Daumen, Simon! Und jetzt muss ich ins Bad, damit sich die Kinder nicht vor mir fürchten.“
Polt hatte viel Zeit. Am Dienstag erwartete Frau Habesam gewöhnlich nur wenig Kundschaft und sie kam ganz gut allein zurecht. Kaum war Karin Walter gegangen, fühlte er sich unbehaglich in ihrem Haus, fast wie einer, der heimlich in fremden Wäscheschränken stöbert. Er zog sich fertig an, sperrte zu und fuhr nach Burgheim in seine vertraute Höhle, in der es einen nicht minder vertrauten Mitbewohner gab, seinen Kater.
Als Polt eintrat, saß Czernohorsky in der offenen Küchentür, den Schwanz adrett um die Vorderpfoten gewickelt, fixierte Polt aus bernsteinfarbenen Augen und begann eine Serie misstönender Laute auszustoßen, kunstvoll variiert und gar nicht leise. „Ja, Kater, ich weiß, lang war ich weg und fremdgegangen bin ich auch noch.“ Polt kniete nieder, um Czernohorsky zu streicheln, doch der Kater brachte es mit gleitenden Ausweichbewegungen spielend fertig, dass Polt nur Luft unter der Hand spürte. Dann war ein kehliges, kurzes Maunzen zu hören, das in Polts Ohren verächtlich klang. Der Kater stellte den Schwanz senkrecht auf, durchquerte die Küche, nahm im Vorbeigehen einen beiläufigen Bissen aus dem halbvollen Napf und verließ den Raum leichtpfötig durch das offene Fenster.
Kaum war der Kater verschwunden, kam Besuch. Polt war nicht wenig überrascht, als er Peter Frischauf, den Bürgermeister von Burgheim, in der Tür stehen sah. „Was verschafft mir die Ehre?“
„Ach was, Ehre!“ Das Gemeindeoberhaupt nahm ohne viel zu fragen in der Küche Platz. „Heutzutage ist ein Bürgermeister hauptsächlich Notnagel, Sündenbock und Schuldenverwalter. Und zu dir, Simon, treibt mich ein Notfall. Du bist jetzt ja Kellergassenführer, nicht wahr?“
„Geprüft und diplomiert.“
„Wie sich’s gehört. Und stell dir vor: Einer vom bayerischen Fernsehen war bei mir. Ich Depp hab schon geglaubt, dass das mein medialer Durchbruch sein könnte. Nichts da. In der Burgheimer Kellergasse wollen sie drehen.“
„Sehr schön! Und was ist jetzt der Notfall?“
„Die wollen Action.“
„Äktschn?“
„Na, Kellergassenflair halt.“
„Action! Flair! Klingt so richtig wiesbachtalerisch, was?“
„Man geht eben mit der Zeit, auch sprachlich. Also: Es muss sich was tun! Lustige Trunkenbolde, fröhliche Weinbauern, dralle Madln, Musikanten, das echte, wahre Leben, wie es eben so ist, bei uns im Wiesbachtal.“
„Ist aber nicht so.“
„Simon! So ein Film hat immensen Wert für uns, da ist mein Budgetdefizit nichts dagegen. Wir müssen tricksen, zaubern, Wunder wirken!“
„Mehr nicht?“
„Jetzt sei nicht so fad. Denk einmal anders herum: Wenn unsere Kellergasse im deutschen Fernsehen ist, wird sie auch unseren Weinbauern wieder mehr wert sein. Und daran liegt dir doch was, nicht wahr?“
„Schon.“
„Also, Simon: Du trommelst ein paar tatkräftige Männer zusammen, und ihr überlegt euch, meinetwegen mit mir gemeinsam, eine wirkungsvolle Inszenierung für einen Tag. Echt! Urig! Süffig! Kann ich auf dich zählen? Es eilt, nächste Woche wollen die schon kommen.“
„Na gut, ich probier’s.“
„Du bis halt ein echter Kellermann, Simon! Und jetzt muss ich weiter nach Breitenfeld.“
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