Alfred Komarek
Polt.
Kriminalroman
Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel Alfred Komarek Polt. Kriminalroman
Der Sonntagswirt
Der Montagsvater
Abendruh
Freunde
Gute Nacht
Tiefgang
Mahlzeit
Verdächtig
Männer
Wiedersehen
Der Besuch der alten Dame
Glück und Glas
Flaschenpost
Polts Frauen
Polizeistunde
Späte Stunde
Licht ins Dunkel
Der Besuch des jungen Herrn
Vor und hinter den Kulissen
Mannsbilder
Herbergssuche
Frauenzimmer
Der Fluch der bösen Tat
Hausbesuch
Presshausbesuch
„Die Uniform hat Polt nie so richtig gemocht.“
Alfred Komarek im Gespräch über den Gendarmen Simon Polt
Alfred Komarek
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Impressum
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Still war es. Doch in der Stille lag der Nachhall von Worten, von Gelächter und Geräuschen, im Geruch des geölten Bretterbodens war die Erinnerung an Küchendunst und Zigarettenrauch.
Simon Polt, Gendarm im selbst gewählten Ruhestand, nahm einen gläsernen Bierkrug aus dem Regal und spülte ihn mit frischem kaltem Wasser aus. Dann hielt er bedächtig inne. Ein Wirt nach seinem Geschmack hatte mit beflissener Eile nichts im Sinn. Dieser löblichen Einstellung widersprach allerdings der Umstand, dass Polt nicht nur Wirt, sondern auch Gast im eigenen Hause war, ein durstiger Gast zudem. Also hielt er den Krug schräg unter den Zapfhahn und ließ das Bier sachte fließen. Polt achtete darauf, dass die richtige Menge Schaum entstand, wartete, bis sich das weiße Gewölk verdichtet hatte, fügte eine weitere Lage hinzu, wartete abermals und setzte seinem Werk endlich die ihm gebührende weiße Krone auf. Er widerstand der Versuchung, gleich einmal zu trinken, verließ die Schank und nahm im Gastzimmer Platz. Er hob den Bierkrug, prostete einem unsichtbaren Gegenüber zu und nahm einen Schluck, der nicht enden wollte, dann aber doch endete, weil Polt sich vorgenommen hatte, gehörig zu trinken, aber nicht zu saufen.
„Mit Knaben, die an der Quelle sitzen, ist es noch nie gut gegangen, egal, wie alt sie sind“, hatte ihm die verehrte, längst auch geliebte Lehrerin Karin Walter erklärt, als er gemeinsam mit zwei Freunden – Friedrich Kurzbacher und Sepp Räuschl – den Kirchenwirt pachtete. „Du wirst dich zu Tode saufen, Simon, langsam, aber zielstrebig.“
Polt dachte daran, bewegte verneinend den Kopf und schob das Glas von sich weg.
Klar, dass Franz Greisinger, der Kirchenwirt, eines Tages nicht mehr wollte. Er war an die siebzig geworden, als er ohne erkennbares Bedauern beschloss, sich von seinen Gästen zu verabschieden. Nachfolger hatte er keinen gefunden, auch nicht richtig gesucht. Viel war ja nicht zu holen in diesem Wirtshaus. Gähnende Leere zumeist, von ein paar Stammtrinkern abgesehen. An den Wochenenden die Männerrunde nach dem Kirchgang, ein paar Mittagessen, hin und wieder Vereine, eine Hochzeit dann und wann, Taufe, Begräbnis. Spät nachts dann jene, die nicht aufhören wollten oder nicht aufhören konnten. Einer, der den anderen die Welt erklärte, einer, der sich mit den Weibern auskannte, aber wie, und einer, der wusste, wer schuld war: die Juden, die Tschechen, die Europäische Union, oder alle gemeinsam, längst auch schon verbündet mit den Kommunisten, den Freimaurern und den übrigen sattsam bekannten Weltverschwörern. Jedes Mal dieselbe Wichtigtuerei, die uralten Witze, der besoffene Tiefsinn. War es Gleichmut oder Gleichgültigkeit, die Franz Greisinger alles ruhig hatte ertragen lassen? Gleichviel: Irgendwann war eben Schluss gewesen, Sperrstunde für immer.
Aber, zum Teufel noch einmal, ein Dorf ohne Wirtshaus war doch so gut wie tot. Eines Abends war dann in Friedrich Kurzbachers Weinkeller der Plan gereift, den Kirchenwirt weiterzuführen, wenigstens Samstag und Sonntag.
Seither war über ein Jahr vergangen und es lief ganz gut so. Die geringe Pacht konnte pünktlich bezahlt werden, die drei Wirte und ihre Gäste hatten weniger Langeweile, und manchmal ging es sogar richtig hoch her, wenn etwas zu feiern war. Dann sorgten Frau Kurzbacher und ihre Freundinnen dafür, dass wieder Leben in die Wirtshausküche kam, es roch nach Schweinsbraten und nach den in Butterschmalz gebackenen Schnitzeln.
Diesmal verbrachte Polt einen ruhigen Sonntag. Die letzten Gäste waren gegen Mittag gegangen. So hatte er Zeit für sich, seine Gedanken und sein Bier.
Er trank, setzte ab, trank aber gleich noch einmal, weil ihm die Gespräche an der Schank in den Sinn kamen. Das vergangene Jahr hatte für das Wiesbachtal wenig Gutes gebracht. Dieses Unwetter im August – blauschwarze Wolken am frühen Nachmittag, ein paar grelle Löcher darin, rostrotes Licht. Und plötzlich Regen, eine wütende Masse Wasser, schwere, vom Wind gepeitschte Tropfen, die sich übergangslos in glasharte Geschosse verwandelten, Weinlaub zerfetzten und Trauben platzen ließen. Hitze und Feuchtigkeit dann, über Wochen hinweg. Langsam, erst viel zu spät bemerkt, kam neues Unheil dazu: Rebstöcke wurden krank. Erst waren die Unterseiten der Blätter von einer hellen Pilzschicht bedeckt, dann drangen Sporen ein, das Laub welkte, Weinbeeren vertrockneten. Peronospora, der Falsche Mehltau …, und diesmal war ausgerechnet der Grüne Veltliner betroffen, die wichtigste Rebsorte im Wiesbachtal. Im Herbst gab es eine deprimierend karge Lese, viele Fässer blieben leer. Zum Leben wird es diesmal nicht reichen, so viel stand fest. Und vor allem jüngere Weinbauern hatten in den vergangenen Jahren mit Hilfe der Raiffeisenbank kräftig investiert.
Keiner redete im Wirtshaus über Schulden oder ernsthafte Sorgen, über Verzweiflung schon gar nicht. Aber so mancher wusste nicht recht, wie es weiter gehen sollte. Immerhin war die Qualität des neuen Jahrganges ein erfreuliches Thema, besonders die der Rotweine: Blauer Portugieser, Zweigelt, Blauburger, Sankt Laurent, aber auch Cabernet Sauvignon. „Wir haben einen Dreck“, hatte ein Weinbauer an diesem Vormittag gesagt, „aber darauf können wir stolz sein.“ Das traf leider den Kern.
Einen unbehaglichen Augenblick lang sah Polt ein Wiesbachtal vor sich, in dem alles vor die Hunde ging: ausgeblutete Dörfer, tote Kellergassen. Unsinn! Der Winter war ohne Frostschäden vorbeigegangen und es konnte nur besser werden im neuen Jahr. Und es war Frühling, noch nicht wirklich Frühling, aber doch ein wenig. Das Halbdunkel in der Wirtsstube war merklich heller geworden, in den Farben von altem Holz und altem Lack konnte, wer wollte, sanftes Feuer erahnen, trägen Leichtsinn. Viel Licht ließen die kleinen Fenster nicht herein, und das war schon gut so. Nach der Arbeit im Weingarten unter einem Himmel, der den Rest der Welt nach seinen Gesetzen leben ließ, oder nach seinen Launen, kam eine dämmrige Höhle gerade recht, eine enge Zuflucht mit vertrauten Umständen, in der Platz für alles blieb, aber begrenzt, eingezäunt, ummauert, abgemessen.
Polt bemerkte, dass er doch nicht allein war. „Früh dran im Jahr, wie?“, murmelte er und schaute einer Fliege zu, wie sie matt über die Fensterscheibe kroch und dann auf dem weiß gestrichenen Holz im kühlen Sonnenlicht verharrte.
„Ruhig, was, Simon?“
Friedrich Kurzbachers Stimme klang von der Tür her. Gefolgt von Sepp Räuschl trat er näher und stellte zwei in den Bauernbündler eingewickelte Flaschen auf den Tisch. „Noch kellerfrisch, der Grüne. Vor vier Tagen hab ich filtriert.“
Polt stand auf, holte drei Gläser und einen Korkenzieher. „Und? Genug da, fürs Wirtshaus?“
„Wird sich grad noch ausgehen. Aber jetzt kosten wir erst einmal.“
In den folgenden paar Minuten schwiegen die drei Männer, prüften die Farbe des Weines, senkten ihre Nasen in die Gläser, kosteten und schluckten. „Also, mir schmeckt er“, sagte Polt in die gedankenvolle Stille hinein.
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