Immerhin ist ja alles noch halbwegs gut ausgegangen, oder? Hauptsache ist doch, dass die leidige Geschichte mit eurem Bleiberecht nun geklärt ist. Hoffentlich gehts deiner Mutter jetzt etwas besser! Du wirst sehen, es wird alles gut .
Was schreiben Sie, Fräulein Lisa? fragte der Herr Roch.
Nichts Interessantes, sagte sie. Etwas für die Uni, log sie.
Tatsächlich sollte sie etwas für die Uni schreiben. Aber immer, wenn sie dazu ansetzte, verlor sie schon nach wenigen Sätzen den Faden.
Dann tippte sie unversehens ganz etwas anderes. Manchmal einfach nur, was sie an so einem langen Vormittag im Café Klee hörte und sah. Wie draußen der Regen rauschte. Wie die Pendeluhr tickte. Wie der Luster mit den Krakenarmen zitterte, wenn ein schweres Auto vorbeifuhr.
Etwas für die Uni also, sagte der Herr Roch.
Mit seinen trockenen Lippen lächelte er.
Er lächelte, als ob er ihr nicht glaubte – oder lächelte er, als ob er wüsste?
Dieser Herr Roch ging ihr manchmal ganz schön auf die Nerven.
Schon weil er sie permanent mit Fräulein anredete. Das ist doch, sagte sie, eine Anrede von vorgestern. Schon möglich, sagte er, vielleicht bin ich auch von vorgestern. Aber sehen Sie, es gibt mich noch immer.
Fräulein Lisa, sagte er. Liebes Fräulein Lisa! Haben Sie sich mein Angebot durch den Kopf gehen lassen? Was zögern Sie noch? Was ist das Problem? Zwei Euro pro Seite. Können Sie die nicht brauchen?
Ja, warum zögerte sie noch? – Also zuerst, sagte sie später, war da so ein Bauchgefühl. Einmal abgesehen davon, dass der Typ sie nervte. Eine Ahnung, dass sie sich damit etwas einbrocken würde. Eine Suppe, die sie vielleicht nicht so gern auslöffeln wollte.
Und dann war da sein Gerede von diesem Roman. Manchmal nannte er diesen Roman sogar seinen Jahrhundertroman . War das sein Ernst? Erwartete er, dass sie das ernst nahm? War das nicht geradezu ein Indiz dafür, dass sowohl mit dem Mann als auch mit dem Manuskript, von dem er sprach, etwas nicht stimmte?
Okay, wenn er sie dafür bezahlte, hätte sie, ohne lang zu fragen, auch das Telefonbuch abtippen können. Seine schriftstellerische Kompetenz konnte ihr doch egal sein. Aber schließlich hatte sie Germanistik inskribiert, weil sie ein gewisses Interesse an Literatur hatte. Und das war ihr nach den ersten sechs, sieben Wochen Uni noch nicht ganz vergangen.
Ist der Herr Roch ein Autor? fragte sie die Chefin.
Der? Ein Autor? – Hören Sie zu, Lisa: Dieser Herr ist vor allem ein Dampfplauderer!
Nun schloss ja das eine das andere vielleicht gar nicht aus. Und Dampfplauderer – das klang ja beinahe harmlos.
Doch die Frau Resch fügte diesem Urteil noch etwas hinzu:
Passen Sie auf, Lisa, lassen Sie sich von dem nicht einwickeln!
Und dann erhob sie ganz ungewohnt laut ihre Stimme:
Das wollte ich Ihnen ohnehin schon längst sagen, Lisa, der Herr Roch ist ein Stammgast und es ist gut, wenn Sie angemessen freundlich zu ihm sind, aber es ist besser, wenn Sie dabei eine gewisse Distanz wahren!
Eben. Obwohl Lisa der Ton, in dem die Chefin das gesagt hatte, etwas übertrieben vorkam, fand sie ihr Bauchgefühl dadurch bestätigt. Doch genau das, die Distanz zu wahren, war ein Problem. Es war ein geringeres Problem, wenn die Frau Resch da war – dann trat sie an den Tisch des Herrn Roch, stellte ihm hin, was er bestellt hatte, lächelte, aber ließ sich auf kein längeres Gespräch ein. Bloß war die Frau Resch bald immer weniger da.
In den ersten Wochen, die sie im Café Klee aushalf, hatte Lisa sich manchmal gefragt, warum diese Frau sie überhaupt eingestellt hatte. Für das wenige, das im Café Klee zu tun war, wäre keine Aushilfe nötig gewesen. Worum ging es ihr also, der Frau Resch? Ging es ihr darum, nicht ganz den Kontakt zur jüngeren Generation zu verlieren? Schon möglich. Aber nun stellte sich heraus, worum es ihr noch ging.
Nach zwei, drei Tests, durch die sich erwies, dass sie dem Mädel das spärlich besuchte Lokal für eine gewisse Zeit allein überlassen konnte, blieb sie länger und länger weg. Unternahm nicht nur immer ausgedehntere Shoppingtouren, sondern hatte schon bald Termine bei der Friseurin, bei der Kosmetikerin, im Fitnesscenter, im Bräunungsstudio. Und der Herr Roch bekam das natürlich bald mit. Immer öfter tauchte er gerade dann auf, wenn Frau Resch soeben gegangen war.
Na, so etwas! sagte er dann etwa, nachdem er an seinem Tisch in der Ecke Platz genommen hatte. Ist Ihre Chefin schon wieder ausgeflogen! Na ja, sie will sich halt auch noch ein bisschen des Lebens freuen. Solang noch das Lämpchen glüht. Was meinen Sie, Fräulein Lisa – hat sie einen Freund?
Weiß ich doch nicht, sagte sie. Interessiert mich auch nicht.
Wirklich nicht? sagte er. Aber das wäre doch hübsch! Na, jedenfalls kann sie sich jetzt etwas mehr entfalten. Seit Sie , Fräulein Lisa, da sind. Das ist ja ein Glück!
Nicht nur ein Glück für die Frau Resch – auch und besonders für die Gäste. Speziell vom ästhetischen Standpunkt aus betrachtet. Bedauerlicherweise sehe ich ein bisschen schlecht. Aber dafür hab ich trotzdem einen Blick.
Er nahm die Brille ab und putzte sie. Zwinkerte mit seinen Maulwurfsaugen. Fräulein Lisa. Sie sind ein Sonnenstrahl! Vor Ihnen haben nur alte Weiber hier ausgeholfen.
Jetzt hören Sie aber auf! sagte sie. Ihre zweifelhaften Komplimente können Sie sich sparen. Überhaupt Komplimente! Die kommen in meiner Generation nicht mehr an.
Tatsächlich? sagte er. Das ist aber auch ein bisschen schade, oder?
Was weiß ich ?! sagte sie. Sie fand diese Bemerkung ärgerlich.
Ja, er nutzte diese Stunden, der Herr Roch. Nicht nur, um sie anzubraten, sondern auch für etwas anderes. Wenn sie an ihrem Tisch vor dem Laptop saß und tippte, hörte sie ihn in den Zeitungen blättern. Manchmal blätterte er sanft, manchmal blätterte er heftig, aber ab und zu hörte sie auch das leise Geräusch, das er verursachte, wenn er eine Seite herausriss.
Manchmal tat er das auch, wenn Frau Resch da war. Aber dann ging er dabei behutsamer vor. Langsam, langsam, gewissermaßen in Zeitlupe. Wenn nur Lisa da war, glaubte er offenbar, er müsse sich nicht so sehr zurückhalten.
Oder er hatte es darauf angelegt, dass sie davon Notiz nahm und irgendwann einmal darauf zu sprechen kam. Eine Weile versuchte sie es noch zu ignorieren. Aber dann, eines Donnerstagnachmittags, als Frau Resch wie üblich in der Bräunungsröhre lag und daher kaum vor fünf zu erwarten war, ging sie ihm doch auf den Leim.
Sie brauchen nicht zu glauben, dass ich das nicht merke! sagte sie.
Glaub ich auch nicht, sagte er. Aber Sie werden mich nicht verraten.
Nein, sagte sie. Das ist nicht meine Art. Aber warum tun Sie das?
Wenn Sie sich zu mir setzen, sagte er, werde ich es Ihnen erklären.
Also, die Sache ist die, sagte er und dämpfte die Stimme, obwohl niemand sonst im Raum war. Mein Jahrhundertroman ist ja ein Roman, der in der Vergangenheit, nämlich vor hundert Jahren, beginnt, aber in der Gegenwart endet. Und nun ist es so: Was die Vergangenheit angeht, so hat man ja alle möglichen Quellen. Aber was die Gegenwart betrifft, die ich ja auch irgendwie einfangen will, ja, muss , denn ich will ja diese beiden Zeitebenen zueinander in Beziehung setzen, brauche ich dazu natürlich auch gewisse Materialien.
Verstehe, sagte sie, zum Beispiel Zeitungsartikel.
Das habe ich mir gedacht, sagte er, dass Sie mich verstehen – Sie schreiben ja auch.
Wie kommen Sie darauf? sagte sie.
Aber das merke ich doch! sagte er. Ich bin zwar etwas kurzsichtig, aber nicht blind.
Wenn Sie da drüben sitzen, nur ein paar Meter von mir entfernt, und tippen … Wie Sie dabei dreinsehen, wie Sie atmen, wie Sie manchmal die Zungenspitze zwischen die Lippen schieben … Das macht auf mich nicht den Eindruck, als ob Sie wirklich was für die Uni schreiben würden, sondern …
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