Der eine mochte es gern zart, der andere lieber zäh. Egal wie, Hauptsache, man kam auf seine Kosten.
So jung, und schon so verführerisch. Um nicht zu sagen aufreizend.
Um nicht zu sagen scharf.
Im Bann der verschüchterten Schönheit, für die es jetzt, wo er sie wie eine Ware taxierte, kein Entrinnen gab, entledigte er sich seines Karabiners, lockerte den Hemdkragen und heftete sich an die Fersen seines Opfers, hinter den Fleischhälften, von wo aus ihm der Geruch von geronnenem Blut entgegenschlug, nur noch in Umrissen zu erkennen. Der Kühlschuppen war größer, als es von außen den Anschein hatte, die Luft stickig, abgestanden und schal. Aber das, genau wie die Staubpartikel, die wie ein Vorhang an den gekachelten Wänden klebten, tat der Vorfreude, die ihn ergriff, keinen Abbruch. Ungeachtet der Konsequenzen, ob Endstation Knast oder Arbeitslager, den Spaß ließ er sich nicht verderben. Die Herren Offiziere, allen voran der Sturmbannführer, die konnten ihn alle mal. Die Sippschaft im Palais Prinz Albrecht eingeschlossen. Ohne Nervenkitzel, für ihn das Salz in der Suppe, konnte man den Einsatz an der Front vergessen. Kein Wunder, wenn man dazu vergattert wurde, für den Rest der Truppe die Kohlen aus dem Feuer zu holen.
Wie pflegten die alten Römer doch zu sagen: Carpe diem – nutze den Tag.
Und amüsiere dich, so oft es geht.
Am Kopfende des Schuppens angelangt, stützte er sich auf einen Hacktisch, durchzogen von tiefen Rillen, die von regem Gebrauch durch die Benutzer kündeten. Die Blutflecken, die einen neueren Datums, die anderen matt und fahl, waren nicht zu übersehen, aber das kümmerte ihn einen Dreck. Das Pochen in seiner Schläfe, beim Anblick der jungen Frau heftiger denn je, steigerte sich zu einem wilden Klopfen, und wie er sie so musterte, schoss ihm der Schweiß wie ein Sturzbach über den Rücken.
Die Kleine war reif, so reif wie noch etwas.
Dachte er zumindest.
Die Hand auf dem Hacktisch, schoss ihm das Blut fontänenartig in den Kopf, von jetzt auf nachher, wie Lava vor der Eruption. Die Sicht verschwamm ihm vor den Augen, und er hatte Mühe, auch nur halbwegs klar zu denken. Fakt war, käme das, was er im Sinn hatte, heraus, dann wäre er die längste Zeit bei der SS gewesen. Die Juden in Scharen abzuknallen, das konnte ja noch angehen. Dazu war er ja schließlich hier, mit Billigung von höchster Stelle. Aber sich mit einer ihrer Frauen einzulassen, noch dazu mit einem halben Kind, das war schlimmer, als wenn man mit Stalin auf Sauftour ging. Und überhaupt, was hieß da schlimm, es war ein Unding. Es gab auch ein Wort dafür, dass wusste er nur zu gut. Nämlich »Rassenschande«, mit Betonung auf den letzten beiden Silben. Etwas Widersinnigeres, um nicht zu sagen Abartigeres, konnte es für einen SS-Mann nicht geben, und dementsprechend harsch würde man mit ihm umspringen. Käme heraus, was er sich geleistet hatte, könnte er von Glück sagen, wenn er in ein KZ verfrachtet wurde.
Und durfte sich nicht wundern, wenn man ihn an die Wand stellte.
Scheiß auf die Ehre, dafür kann man sich nichts kaufen.
Dann mal los. Man musste das Eisen schmieden, solange es heiß war.
Eine Melodie auf den Lippen, die er seit frühester Jugend kannte, flog ein zynisches Lächeln über sein Gesicht. Damals, bei der Aufführung des Requiems in der Marienkirche, als sein Vater den gemischten Chor dirigierte, damals war seine Welt noch heil gewesen. Tag der Tränen, Tag der Wehen, da vom Grabe wird erstehen zum Gericht der Mensch voll Sünden, lass ihn, Gott, Erbarmen finden.
Doch selbst wenn er es gewollt hätte, er konnte die Uhr nicht mehr zurückdrehen.
Erbarmen zeigen, das kam überhaupt nicht infrage. Das war etwas für Schwächlinge. Für Leute, die zu feige waren, bis zum Äußersten zu gehen.
Auge um Auge. Im Umgang mit Juden genau das Richtige, die Sprache würden sie verstehen. Und was den alten Herrn da droben betraf, den man Gott oder sonst wie zu nennen pflegte, seine Tage waren ohnehin gezählt.
Ach was, sie waren vorbei.
Für immer.
Die Hand noch immer an der gleichen Stelle, horchte er verärgert auf. Auf dem Hof waren eilige Stiefeltritte zu hören, und er musste nicht lange herumrätseln, um wen es sich bei dem Spielverderber handelte. »Ach hier steckst du also!«, hörte er die Stimme in seinem Rücken plärren, zunächst mit Erleichterung, aber dann, beim Anblick der jungen Frau, zwischen Verunsicherung und Angst hin- und hergerissen. »Sag mal, hast du noch alle Tassen im Schrank? Die Filetstücke sind für den Sturmbannführer reserviert, das weißt du so gut wie ich, also Finger weg, sonst kriegen wir den Wind von vorn!«
»Tu mir den Gefallen und kümmere dich um deinen eigenen Kram, verstanden?«
»Und was, wenn uns jemand verpfeift? Dir ist doch hoffentlich klar, was passiert, wenn …«
»Wenn was?«, fiel er seinem Stubenkameraden ins Wort, der den Mund vor Überraschung nicht zubekam, drehte den Kopf und funkelte ihn zähnefletschend an. Nicht schon wieder, schoss es ihm durchs Gehirn, und schon gar nicht jetzt, im Augenblick des Triumphs. Sanitätsgefreiter Heinz Wischulke, kurz »Qualle« genannt, hatte die Angewohnheit, immer dann aufzukreuzen, wenn man anderweitig beschäftigt war. Nicht unbedingt der Abgebrühteste unter der Sonne, und, das kam erschwerend hinzu, mit einer sentimentalen Ader ausstaffiert. »Darf man fragen, was dich das angeht, du alter Klugschei…«
Hätte er die Hand, die wie die Klaue eines sprungbereiten Raubtiers anmutete, nicht an Ort und Stelle gelassen, sein Leben wäre komplett anders verlaufen. Da er es aber nicht für nötig hielt, sich um 180 Grad zu drehen, musste er mit den Konsequenzen seines Leichtsinns leben.
Mehr schlecht als recht, aber das stand auf einem anderen Blatt.
Die Strafe folgte auf dem Fuß, so plötzlich, dass er glaubte, er befände sich in einem Traum.
Doch dem war nicht so. Obwohl er sich nichts Sehnlicheres wünschte.
Der Schmerz, der seinen angewinkelten rechten Arm durchzuckte, fühlte sich wie die Berührung einer Starkstromleitung an, und ihm war, als nähme die Tortur kein Ende. Nach Luft ringend, riss er den Mund sperrangelweit auf, doch der Schrei, von dem er sich Linderung erhoffte, blieb ihm in der Kehle stecken. Nie zuvor hatte er ein derartiges Martyrium durchlebt, ein Lodern, das ihn von Kopf bis Fuß erfasste. Alles um ihn herum, der gekachelte Boden, die Rinderhälften an der Wand, die Schlachtmesser auf dem Beistelltisch am Fenster, die Lampe, die wie ein Pendel von der Decke herabbaumelte, die Knorpelreste, Knochensplitter und Tierhaare auf dem Boden – all das geriet mit einem Mal ins Wanken, wie bei einem Erdbeben, vor dem es keine Zuflucht für ihn gab.
Und dann, beim Versuch, irgendwo Halt zu finden, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Die Blutlache auf dem Tisch, die sich in Sekundenschnelle ausbreitete, sie sprach eine allzu deutliche Sprache.
Der Mischmasch aus Knochen, Fingernägeln, Hautfetzen und zermanschtem Fleisch, dieser Brei war einmal seine rechte Hand gewesen. Abgetrennt von einem Hackmesser, das in Sichtweite vor ihm auf den Bodenfliesen lag.
Von dem Flittchen dagegen, das sich in Luft aufgelöst zu haben schien, keine Spur.
Und von Wischulke auch nicht, wie konnte es anders sein.
Der Ohnmacht nah, bäumte er sich entschlossen auf, die Uniform, dereinst sein Ein und Alles, mit Blutspritzern übersät.
Dafür würde die Kleine büßen, und wenn es das Letzte war, was er in diesem Leben tat. Ach woher, dafür würden ihm alle Frauen büßen.
Wen genau er sich vorknöpfte, darauf kam es nun wirklich nicht mehr an.
Welch ein Zittern, welch ein Beben,
wenn zu richten alles Leben,
sich der Richter wird erheben!
(Wolfgang Amadeus Mozart, Requiem)
FREITAG, 20. SEPTEMBER 1940
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