Es wurde frappierter Champagner gereicht. Emma überlief es am ganzen Körper, als sie die Kälte im Mund spürte. Nie zuvor hatte sie Granatäpfel gesehen oder Ananas gegessen. Sogar der Puderzucker erschien ihr feiner und weißer als anderswo.
Dann gingen die Damen in ihre Zimmer hinauf und richteten sich für den Ball her.
Emma widmete ihrer Toilette die sorgsame Gründlichkeit einer Schauspielerin vor ihrem Debüt. Sie ordnete ihr Haar nach den Vorschlägen des Friseurs und schlüpfte in ihr Barègekleid, das ausgebreitet auf dem Bett lag. Charles drückte die Hose auf dem Bauch.
»Die Stege werden mich beim Tanzen behindern«, sagte er.
»Du willst tanzen?«, entgegnete Emma.
»Natürlich!«
»Aber du bist ja verrückt! Man würde sich bloß über dich lustig machen; bleib ruhig sitzen. Übrigens schickt sich das viel besser für einen Arzt«, fügte sie hinzu.
Charles schwieg. Er ging im Zimmer hin und her und wartete, bis Emma fertig angezogen war.
Er sah sie über den Rücken hinweg im Spiegel zwischen zwei Leuchtern. Ihre schwarzen Augen wirkten noch dunkler. Ihr gescheiteltes, flach anliegendes Haar, das nach den Ohren zu etwas aufgebauscht war, schimmerte in bläulichem Glanz; in ihrem Haarknoten zitterte eine Rose an beweglichem Stiel, mit künstlichen Tauperlen an den Spitzen der Blätter. Ihr Kleid war matt safrangelb; es wurde durch drei Sträußchen von imitierten Rosen zwischen Blattgrün belebt.
Charles küsste sie auf die Schulter.
»Lass mich!«, sagte sie. »Du zerknitterst mir alles.«
Ein Geigen-Ritornell und Hornklänge wurden vernehmlich. Sie stieg die Treppe hinab; am liebsten wäre sie gerannt.
Die Quadrillen hatten begonnen. Es kamen immer neue Gäste. Gedränge entstand. Sie setzte sich neben der Tür auf ein Bänkchen.
Als der Kontertanz zu Ende war, blieb das Parkett frei für Gruppen im Stehen plaudernder Herren und livrierte Diener, die große Tabletts trugen. In der Reihe der sitzenden Damen gingen die Fächer auf und nieder; die Buketts verdeckten zur Hälfte die lächelnden Gesichter, und Riechfläschchen mit Goldstöpseln machten die Runde in den kaum geöffneten Händen, an deren weißen Handschuhen, die die Haut am Handgelenk zusammenpressten, die Form der Fingernägel hervortrat. Die Spitzengarnituren auf den Korsagen bebten leise, auf den Busen glitzerten Diamantbroschen, Armreife mit Medaillons streiften geräuschvoll über bloße Arme. Als Kränze, Trauben oder Zweige wurden im Haar, das über der Stirn glatt anlag und im Nacken zu einem Knoten gewunden war, Vergissmeinnicht, Jasmin, Granatapfelblüten, Ähren oder Kornblumen getragen. Mütter mit sauertöpfischen Mienen saßen geruhsam auf ihren Plätzen und trugen rote Turbane.
Emma klopfte ein bisschen das Herz, als ihr Tänzer sie an den Fingerspitzen fasste; sie ließ sich in die Reihe der andern führen und wartete auf den ersten Bogenstrich, um loszutanzen. Bald jedoch war die Erregung geschwunden; sie wiegte sich in den Rhythmen des Orchesters und glitt mit leichten Bewegungen des Halses vorwärts. Bei gewissen zärtlichen Violinpassagen umspielte ihre Lippen ein Lächeln; zuweilen, wenn die Musikinstrumente schwiegen, war das helle Klingen der Geldstücke auf den Spieltischen zu hören; dann begann alles von neuem; das Waldhorn setzte mit vollem Klang ein, die Füße fanden den Takt wieder, die Röcke bauschten sich und streiften einander, Hände fanden und ließen sich; dieselben Augen, die sich vor einem gesenkt hatten, blickten einen gleich darauf wieder fest an.
Einige Herren (etwa fünfzehn) zwischen fünfundzwanzig und vierzig, die entweder unter den Tänzern waren oder plaudernd an den Türen standen, hoben sich von der Menge durch eine gewisse Familienähnlichkeit ab, trotz aller Unterschiede des Alters, der Toilette oder der Gestalt.
Ihre besser gearbeiteten Fräcke schienen aus weicherem Tuch zu bestehen, und ihr in Wellen an den Schläfen zurückgestrichenes Haar glänzte von erleseneren Pomaden. Sie hatten den Teint des Reichtums, jenen hellen Teint, den die Blässe von Porzellangeschirr, das Schillern von Seide und der Lack schöner Möbel noch steigern und den eine diskrete Diät und exquisite Ernährung bewahren. Ihr Hals drehte sich zwanglos über niedrigen Binden; ihre langen Bartkoteletten fielen über umgeschlagene Kragenecken; sie trockneten sich die Lippen mit Taschentüchern, auf die große Monogramme gestickt waren und denen ein köstlicher Duft entströmte. Die zu altern begannen, wirkten jugendlich, während den Gesichtern der jüngeren eine gewisse Reife eigen war. Aus ihren gleichmütigen Blicken sprach die Ruhe täglich befriedigter Leidenschaften; und durch ihre glatten Manieren brach die eigenartige Brutalität hindurch, die die Beherrschung von etwas halbwegs Leichtem verleiht, wobei die Kraft sich übt und die Eitelkeit sich ergötzt beim Umgang mit Rassepferden und in der Gesellschaft käuflicher Frauen.
Drei Schritte von Emma entfernt plauderte ein Herr im blauen Frack mit einer jungen, blassen Frau, die einen Perlenschmuck trug, über Italien. Sie schwärmten von der Dicke der Pfeiler der Peterskirche, von Tivoli, dem Vesuv, Castellammare und den Villen um Florenz, den Genueser Rosen und dem Kolosseum bei Mondschein. Mit dem anderen Ohr lauschte Emma einer Unterhaltung, in der Ausdrücke vorkamen, die sie nicht verstand. Man umringte einen jungen Herrn, der vorige Woche in England »Miss Arabella« und »Romulus« geschlagen und beim Grabensprung zweitausend Louis gewonnen hatte. Einer klagte, dass seine Pferde nicht im Training seien; ein anderer jammerte über einen Druckfehler, der den Namen seines Pferdes entstellt habe.
Die Luft im Ballsaal war schwer; die Lichter waren fahler geworden. Alles drängte nach dem Billardzimmer. Ein Diener stieg auf einen Stuhl und zerschlug zwei Scheiben; beim Klirren der Glasscherben wandte Madame Bovary den Kopf und entdeckte im Park an den Fenstern hereinschauende Bauerngesichter. Da überkam sie die Erinnerung an Les Bertaux. Sie sah den Pachthof vor sich, die Mistpfütze, ihren Vater im Kittel unter den Apfelbäumen, und sah sich selber wieder wie einst, als sie in der Molkerei mit dem Finger die Milch in den Schüsseln abrahmte. Allein im Lichterglanz der gegenwärtigen Stunde verwehte die eben noch so klare Erinnerung an ihr früheres Leben völlig; es dünkte sie fast unmöglich, dass sie es gelebt hatte. Sie war hier; über alles, was vielleicht außerhalb des Ballsaals existierte, war Dunkel gebreitet. Jetzt aß sie Maraschino-Eis aus einer vergoldeten Silbermuschel, die sie in der linken Hand hielt, und sie schloss halb die Augen, den Löffel zwischen den Zähnen.
Eine neben ihr sitzende Dame ließ ihren Fächer fallen. Ein Tänzer ging vorüber.
»Haben Sie doch die Güte, Monsieur«, sagte die Dame, »meinen Fächer aufzuheben; er ist hinter das Sofa gefallen!«
Der Herr bückte sich, und während er seinen Arm ausstreckte, bemerkte Emma, wie die Hand der jungen Dame etwas Weißes, dreieckig Zusammengefaltetes in seinen Hut warf. Der Herr hob den Fächer auf und reichte ihn respektvoll der Dame; sie dankte ihm durch ein Neigen des Kopfs und roch an ihrem Strauß.
Nach dem Souper, bei dem es viele spanische Weine und Rheinweine gab, Krebssuppe und Mandelmilchsuppe, Pudding à la Trafalgar und alle Arten kalten Aufschnitts mit Gelee garniert, der auf den Platten zitterte, begannen die Wagen einer nach dem andern abzufahren. Wenn man eine Ecke des Musselinvorhangs beiseite schob, konnte man die Lichter ihrer Laternen im Dunkel entschwinden sehen. Die Bänkchen wurden leerer; ein paar Spieler blieben noch; die Musiker kühlten sich ihre Fingerspitzen mit der Zunge; Charles lehnte an einer Tür und war dem Einschlafen nahe.
Um drei Uhr morgens begann der Kotillon. Emma konnte nicht Walzer tanzen. Aber alle tanzten Walzer, sogar Mademoiselle d’Andervilliers und die Marquise; es waren nur noch die zur Nacht bleibenden Gäste da, etwa ein Dutzend Personen.
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