»Kommen Sie zurecht?«, fragt Hartenfels.
Meister nickt und setzt sich aufs Sofa. Seine Hände steckt er zwischen die Beine, weil sie angefangen haben zu zittern. Ihm ist selber bewusst, dass sein rechtes Auge verrücktspielt. Hartenfels zuckt die Achseln und lässt sich auf das zweite Sofa sinken.
»Wie ist das Verhältnis zu Ihrer Freundin, wenn ich fragen darf?«
Meister sieht Hartenfels an. Der große Mann hat sich ausgestreckt und wirkt entspannt.
»Wie ich schon sagte«, Meisters Hände haben endlich aufgehört zu zittern, »ohne sie käme ich nicht klar.«
»Beruflich oder privat?«
»Beides.«
»So einfach?«
»Was soll daran einfach sein?«
»Ich überlege nur laut«, sagt Hartenfels, »blöde Angewohnheit von mir.«
»Auch wenn Sie es vielleicht lächerlich finden, kann ich mir ein Leben ohne Evelyn nicht vorstellen.«
»Warum sollte ich das lächerlich finden?«
»Wegen des Altersunterschieds?«
»Wenn Sie damit kein Problem haben.«
»Warum sollte ich? Für mich ist es eine Art Wunder, dass eine so junge, attraktive Frau etwas von mir will.«
»Wo haben Sie sich kennengelernt?«
»Hier im Viktoriapark. Ich war dort immer schon gern spazieren, und da haben wir uns direkt am Wasserfall getroffen, genauer gesagt an dem Bassin, das ganz unten ist. Ich werde es nie vergessen. Die Sonne ging gerade auf und sie stand da, als hätte ein Künstler für sie den Platz ausgesucht. Für mich war es wie ein Blitzschlag.«
»Und für sie?«
»Da kann ich nur spekulieren.«
»Spekulieren Sie ruhig.«
Meister beugt sich vor und sieht Hartenfels an. Der Kommissar hat die Augen halb geschlossen und es ist nicht auszumachen, ob er wie ein Schießhund aufpasst oder gleich einschläft. »Ich denke, dass es mit meinem Beruf zu tun hat«, sagt Meister.
»Sie meinen die Schriftstellerei?«
Meister nickt.
»Können Sie das genauer erklären?«, hakt Hartenfels nach.
»Wir Schriftsteller sind ein bisschen so wie Rockstars«, sagt Meister und betrachtet seine Hände, weil er weiß, wie unbescheiden sich das anhört.
»Frauen wie Evelyn sind also Groupies?«, fragt Hartenfels.
»In gewisser Weise schon«, stimmt Meister zu.
»Ist sie mit Ihnen auf Tournee gegangen?«
»Was wollen Sie hören«, Meister wird langsam ärgerlich, »dass ich ein eingebildeter Idiot bin, der nicht merkt, wenn eine Frau ihn verarscht?«
»Ist Ihnen die Idee nie gekommen?«
Meister hat es unglaublich satt. All die Spießer, die nie begreifen werden, dass manche Frauen nicht nur Film- und Popstars toll finden, sondern auch andere Künstler, Schriftsteller inklusive. Er versucht, sich zu beruhigen. Wie soll ein Polizeibeamter das verstehen? Eigentlich müsste er Mitleid mit Hartenfels haben.
»Gab es Spannungen zwischen Ihnen und Frau Köhler?«, fragt Hartenfels weiter.
Also daher weht der Wind, denkt Meister und muss sich ein Grinsen verkneifen. »Da muss ich Sie enttäuschen«, sagt er und sieht wieder hoch, »zwischen Evelyn und mir ist alles in Ordnung. Kein Streit, kein Drama, keine Eifersucht.«
»Warum ist sie dann verschwunden?«
»Ich weiß es nicht«, Meister lehnt sich zurück, »vielleicht ist ihr etwas passiert, wer weiß, wem sie begegnet ist.«
»Ziehen Sie das ernsthaft in Betracht?«
»Sie etwa nicht?«
Hartenfels rutscht nach vorn und setzt sich aufrecht hin, sucht Blickkontakt zu Meister. »Natürlich«, sagt er beschwichtigend, »wir stehen ja ganz am Anfang unserer Ermittlungen und können nichts ausschließen. Es kommt mir nur unwahrscheinlich vor, dass da draußen im Viktoriapark jemand herumlungert und darauf wartet, dass Ihre Freundin auftaucht.«
»Auf jeden Fall gehen wir regelmäßig dort spazieren«, sagt Meister mit Betonung auf »regelmäßig«.
»Haben Sie denn einen Anlass für einen solchen Verdacht?«
»Ich verdiene eine Menge mit meinen Büchern.«
»Das ist unverkennbar«, sagt Hartenfels und blickt sich ostentativ um, »aber irgendwelche Forderungen gibt es nicht, oder?«
»Bis jetzt nicht«, räumt Meister ein und wischt sich mit den Händen durchs Gesicht. »Und wenn der Mörder sich noch in der Nähe herumgetrieben hat, als ich auf die Leiche gestoßen bin?«, fragt er.
»Sie meinen auf dem Kreuzberg?«
»Genau.«
»Das wäre eine Möglichkeit«, stimmt Hartenfels zu und legt seine Stirn in Falten.
»Vielleicht hat Evelyn ihn erkannt. Und wenn nicht erkannt, dann hätte sie ihn vielleicht beschreiben können«, spinnt Meister den Faden weiter.
»Haben Sie den Mann vorher schon einmal gesehen?«, fragt Hartenfels.
»Welchen Mann?«, fragt Meister und weiß überhaupt nicht, von wem der Kommissar spricht.
»Den Toten.«
Meister schweigt. Er denkt an ein Gesicht, das voller Schnee ist. Er blickt in blaue Augen, kalt und wie gefroren. Ein tiefer Atemzug quält sich aus Meisters Lunge, und er stößt einen Ton aus, der Zerberus alarmiert. Der schwarze Hund verlässt sein Körbchen und legt seinen großen Kopf auf Meisters Knie.
»Also ja?«, hakt Hartenfels nach.
»Nein«, sagt Meister und seine Stimme klingt rau, »ganz bestimmt nicht.«
»Sind Sie sicher?«
»Ich bin sicher.«
»Ich würde Sie trotzdem bitten, mich in die Gerichtsmedizin zu begleiten, um alle Eventualitäten auszuschließen.«
»Muss das sein?«
»Freiwillig natürlich.«
»Und wann?«
»Am besten gleich.« Hartenfels wuchtet sich aus dem Sofa, Zerberus dreht sich zu ihm um.
Auf Meisters Hose ist ein nasser Fleck, entweder Schnee oder Speichel. Ihm fällt ein, dass er Zerberus noch nicht gefüttert hat. Also steht er auf und geht in die Küche. Entkernt wie der Raum ist, hat er keine Tür, alles ist offen. Meister kramt den Sack mit dem Trockenfutter hervor und füllt Zerberus’ Napf. Das Ding ist von Alessi, knallrot und mit einem Hund auf dem Deckel. Zerberus sabbert jetzt eindeutig, er sabbert immer, wenn er etwas zu fressen vor der Nase hat.
Meister stellt den Napf auf den Boden und Zerberus legt sich davor. Das hat er seinem Hund beigebracht. Meister klickert Zerberus, wie die Trainingsmethode heißt. Eigentlich kann man mit ihr jedem Tier so gut wie alles beibringen. Es ist auf jeden Fall praktisch, nicht gleich von seinem Hund bedrängt zu werden, wenn man ihn füttern möchte.
»Ja«, kommandiert er und Zerberus springt auf, um sein Fressen herunterzuschlingen.
»Können wir?«, fragt Hartenfels.
»Soll ich nicht lieber hier warten, vielleicht kommt Evelyn ja bald zurück?«
»Ich lasse den Beamten unten im Hof auf seinem Posten«, sagt Hartenfels und geht zur Wohnungstür, bückt sich nach seinen Schuhen.
»Darf Zerberus mit?«, fragte Meister.
»Wenn er allein im Auto bleibt.«
»Das kann er.«
Meister nimmt seinen Mantel vom Haken, zieht ihn an und greift sich eine Hundeleine.
Draußen hat es aufgehört zu schneien, die Sonne scheint. Der Schnee glitzert, und im Riehmers Hofgarten werden mit großen Holzschaufeln die Gehwege freigeräumt.
Besser spät als nie, denkt Meister.
Hartenfels wird nicht schlau aus Meister. Den gemeinsamen Besuch bei Petersen hat er vorgeschlagen, um sich ein wenig Klarheit zu verschaffen. Die Rechtsmedizin ist für Hartenfels ein Ort der Wahrheit. Da, wo Petersen arbeitet, gibt es keinen Platz für Vermutungen. Bei Petersen sind alle nackt. Meister scheint ein Mann zu sein, der gerne spekuliert. Die Idee, dass seine Freundin demjenigen begegnet sein könnte, der die Leiche im Viktoriapark auf dem Gewissen hat, wirkte ziemlich weit hergeholt. Schließlich waren laut Petersen seit dem Mord Stunden vergangen. Warum sollte der Täter so lange in der Nähe seines Opfers bleiben? Falls Meister wirklich mehr in seinen Vorstellungen als in der Wirklichkeit lebt, hofft Hartenfels auf eine Art Kurzschluss, sobald der Schriftsteller mit dem Toten konfrontiert wird. Er hat das schon erlebt.
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