Joseph Ponthus - Am laufenden Band

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Arbeiterpoetik und Tagebuchaufzeichnungen verbinden sich in diesem ungewöhnlichen Roman zu einem solidarischen und zärtlichen Manifest.
"Am laufenden Band" ist die Geschichte eines jungen Mannes, der als Zeitarbeiter in Fischfabriken und Schlachthöfen in der Bretagne arbeitet. In einer einfachen und einfühlsamen Sprache erzählt Joseph Ponthus mit viel Humor von seinem Arbeitsalltag. Er berichtet von Monotonie und Schichtarbeit, von Kälte und Gestank, von körperlicher Erschöpfung und dem allgegenwärtigen Tod von Tieren, aber auch von der Solidarität der Arbeiterschaft und der «paradoxen Schönheit» der Hallen. Während er am Fließband steht und gegen Tonnen von Wellhornschnecken kämpft, erinnert er sich an die Musikerinnen und Schriftsteller, die ihn prägten. Dank Dumas wird er wieder Musketier, mit Apollinaire ist er Lous Liebhaber, mit Marx kämpft er gegen die Auswüchse des Kapitalismus.
"Am laufenden Band" ist sowohl Versroman als auch soziologische Studie über die Mechanismen der Fabrikarbeit und die moderne Sklaverei in der Lebensmittelindustrie. Es vereint die Stimme des Arbeiters mit der des Intellektuellen – eine Liebeserklärung an die Kunst und eine zutiefst menschliche Hommage an die Arbeiterklasse.

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Joseph Ponthus

Am laufenden Band

Aufzeichnungen aus der Fabrik

Aus dem Französischen von

Mira Lina Simon

in Zusammenarbeit mit

Claudia Hamm

DIESES BUCH IST FÜR KRYSTEL UND VERDANKT IHR ALLES ICH WIDME ES MEINEN BRÜDERN - фото 1

DIESES BUCH

IST FÜR KRYSTEL UND VERDANKT IHR ALLES

ICH WIDME ES MEINEN BRÜDERN

DEN PROLETARIERN ALLER LÄNDER

DEN ANALPHABETEN UND DEN ZAHNLOSEN

MIT DENEN ICH SO VIEL

GELERNT GELACHT GELITTEN UND GEARBEITET HABE

CHARLES TRENET

OHNE DESSEN LIEDER

ICH NICHT DURCHGEHALTEN HÄTTE

M.D.G.

UND

MEINER MUTTER

Inhalt

Teil 1 I »Fantastisch, was sich alles ertragen lässt.« GUILLAUME APOLLINAIRE (Brief an Madeleine Pagès, 30. November 1915)

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Teil 2

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Kapitel 50

Kapitel 51

Kapitel 52

Kapitel 53

Kapitel 54

Kapitel 55

Kapitel 56

Kapitel 57

Kapitel 58

Kapitel 59

Kapitel 60

Kapitel 61

Kapitel 62

Kapitel 63

Kapitel 64

Kapitel 65

Kapitel 66

Ich danke

Zitatnachweise

I

»Fantastisch, was sich alles ertragen lässt.«

GUILLAUME APOLLINAIRE

(Brief an Madeleine Pagès, 30. November 1915)

1.

Bevor ich in die Fabrik kam

Dachte ich natürlich an

Den Gestank

Die Kälte

Das Schleppen schwerer Kisten

Die Erschöpfung

Die Arbeitsbedingungen

Das Fließband

Moderne Sklaverei

Ich bin dort nicht für eine Reportage hin

Und schon gar nicht für die Revolution

Nein

Die Fabrik ist für die Kohle

Ein Brotjob

Wie man so sagt

Weil meine Frau es satt hat mich auf der Couch auf eine Stelle in

meiner Branche warten zu sehen

Also

Lebensmittelindustrie

LM

Wie man hier sagt

Eine bretonische Fisch- und Garnelenproduktions- und

-verarbeitungs- und -gar- und all das -fabrik

Ich geh dort nicht zum Schreiben hin

Sondern für die Kohle

In der Zeitarbeitsfirma werde ich gefragt wann ich anfangen kann

»Wenn morgens fahle Sonne frühe Gärten bleicht«

Antworte ich so schlicht wie Hugo

Beim Wort genommen fange ich am nächsten Morgen um sechs Uhr

an

Im Laufe der Stunden und Tage setzt sich das Bedürfnis das zu

beschreiben hartnäckig fest wie eine Gräte im Rachen

Nicht die Eintönigkeit der Fabrik

Sondern ihre paradoxe Schönheit

An meinem Förderband denke ich oft an eine Parabel von ich glaube

Claudel

Auf seinem Pilgerweg von Paris nach Chartres trifft ein Mann einen

Arbeiter beim Steineklopfen

Was machen Sie da

Meinen Job

Felsblöcke rollen

Scheiße

Mein Rücken ist hin

Sauerei

Müsste verboten sein

Zum Verrecken

Ein paar Kilometer weiter ein zweiter bei der gleichen Arbeit

Gleiche Frage

Ich schufte

Muss die Familie ernähren

Das ist hart

Aber ist halt so und ist immerhin Arbeit

Das ist das Wichtigste

Noch weiter

Kurz vor Chartres

Ein dritter Mann

Mit strahlendem Gesicht

Was machen Sie da

Ich baue eine Kathedrale

Mögen meine Garnelen und meine Fische meine Steine sein

Ich rieche den Gestank der Fabrik nicht mehr der mir zuerst in die

Nase stach

Die Kälte ist mit dickem Pullover Kapuzenpulli zwei Paar Socken und

langer Unterhose erträglich

Die schweren Kisten lassen mich Muskeln entdecken von denen ich

bislang nichts wusste

Die Knechtschaft ist freiwillig

Fast beglückend

Die Fabrik hat mich gekriegt

Ich sage nur noch

Meine Fabrik

Als sei ich kleiner Zeitarbeiter unter all den anderen irgendwie

beteiligt an der Fisch- und Garnelenproduktion oder den -maschinen

Bald

Produzieren wir auch Muscheln und Schalentiere

Krebse Hummer Seespinnen und Langusten

Ich hoffe bei dieser Revolution noch dabei zu sein

Und Scheren zu klauen obwohl ich jetzt schon weiß

Das wird nichts

Nicht mal die kleinste Krabbe dürfen wir uns angeln

Will man ein paar verdrücken muss man sich gut verstecken

Noch nicht unauffällig genug hat die alte Brigitte gesagt

»Ich hab nichts gesehen aber pass auf wenn die Chefs dich

drankriegen«

Seitdem pul ich sie klammheimlich unter der Schürze mit meinen

drei Paar Handschuhen die mich vor Feuchtigkeit Kälte und

allem anderen schützen und futtere an Naturalien was ich für das

Mindestmaß an Erkenntlichkeit halte

Ich schweife ab

Zurück zum Schreiben

»Ich schreibe wie ich spreche wenn der Feuerengel des Gesprächs

mich zum Propheten macht« schrieb in etwa ich weiß nicht mehr wo

Barbey d’Aurevilly

Ich schreibe wie ich denke an meinem Förderband schwirre alleine

unbeirrbar durch meine Gedanken

Ich schreibe wie ich arbeite

Am Fließband

Am laufenden Band

Die Schicht

Beginnt zwangsläufig am Anfang des endlosen weißen kalten Gangs

Bei den Stechuhren um die wir uns nachts drängen

Um vier

Um sechs

Um sieben Uhr dreißig morgens

Je nach Arbeitsauftrag

In der Entladung also beim Fischkistenleeren

In der Verarbeitung oder Enthäutung also beim Fischezerlegen

In der Garung also bei allem was mit Garnelen zu tun hat

Noch hatte ich zum Glück keine Nachmittags- oder Abendschicht

Beginn sechzehn Uhr Ende um Mitternacht

Hier

Sind sich alle einig

Und bis jetzt sehe ich das auch so

Je früher

Desto besser – auch wenn es nachts zwanzig Prozent mehr gibt –

Dann »haste deinen Nachmittag«

»Wenn schon früh

Dann richtig früh«

Ach was

Acht Stunden Arbeit

Sind acht Stunden Arbeit egal wann

Und dann

Geht man heim

Feierabend

Kommt nach Hause

Gammelt

Döst

Und denkt schon an den Wecker

Egal wann er klingelt

Er klingelt immer zu früh

Nach dem Tiefschlaf

Den Kippen und dem heruntergekippten Wachmachkaffee

Gehts in der Fabrik

Knallhart los

Als hätte es kein Aufwachen gegeben

Gleitet man wieder in einen Traum

Oder Albtraum

Das Neonlicht

Die mechanischen Griffe

Die im Halbschlaf umherschweifenden Gedanken

Das Ziehen Schleppen Sortieren Heben Wiegen Räumen

Wie beim Einschlafen

Versteht man nicht wie diese Griffe und Gedanken ineinanderfließen

Am laufenden Band

Wundert man sich immer wieder dass Tag ist wenn man Pause

machen rausgehen rauchen und einen Kaffee trinken kann

Ich kenne nur wenige Orte mit einer so

Kompromisslosen existenziellen radikalen Wirkung wie

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