Dem von 1914
Passendale die Somme Péronne der Wettlauf zum Meer Ypern wo
ich das tägliche Gedenkläuten abends um acht für die Gefallenen
verpasst und die englischen kanadischen sogar indischen und
maorischen Friedhöfe nur aus der Ferne gesehen habe because ich
saß am Steuer
Dem von 1939 in der Normandie
Also eher von 1944
Am Steuer sitzen
Ist fast so eintönig
Wie Fische Kisten Garnelen sortieren
Aber natürlich anders
Chef sein von Leuten die Freizeitteilnehmer mit Behinderung
begleiten
Dagegen kann man nichts sagen
Man sitzt am Steuer
Sonst nichts
Die geplanten Besichtigungen
Waren schneller gemacht als ein Blitzkrieg
Étretat
Giverny
Honfleur
Postkartenidyllen von denen
Die Blumen in Monets Garten
Übrig bleiben
Und die Satiehäuser
Eines der schönsten Museen der Welt von dem man mir oft schon
vorgeschwärmt hat
Zu Recht
Eine fliegende Birne
Ein Zimmer in Montmartre
Ein elektrisches Klavier
Ein Tretkarussell das einen riesigen Regenschirm öffnet
Zurück auf der Straße
Auf der Autobahn
Streifte das Abendlicht in der Ferne den Mont-Saint-Michel
Ich fuhr an Villedieu-les-Poêles vorbei einem Dorf mit Messingwaren
und Gehörlosen von dem schon Rabelais im Gargantua spricht weil
von dort das Metall fürs Besteck seines Helden stammt
Dann quer durch die Bretagne und heim
Es war die Nacht der Sternschnuppen der Laurentiustränen
Zurück in Lorient die letzten Dudelsackklänge vom interkeltischen
Festival
In der Ferne ein Feuerwerk
Ich schaute zum Himmel und wünschte mir was
Heut Morgen
Habe ich in der Zeitarbeitsfirma meinen Scheck vom letzten Monat
und einen neuen Vertrag abgeholt
Bingo
Vier Wochen Nachtschicht in einer neuen Fabrik von zwanzig Uhr
dreißig bis fünf Uhr dreißig
Das wars mit den Fischen und Garnelen
Aber nicht mit Kisten Wannen und Maschinen
Ich freu mich auf die Arbeit auch wenn eine neue Fabrik Stress heißt
und ich meinen Fischen und Garnelen nachtrauere
Was werde ich wohl produzieren
Mit meinen behinderten Freizeitteilnehmern habe ich nichts
produziert
Sie hatten frei und produzieren den Rest des Jahres in
Behindertenwerkstätten
Für so wenig Geld wie Freizeit und sind dennoch zufrieden und stolz
Manche erzählen mir von Holzarbeiten und dem ständigen Hobeln
an Möbeln von Grünflächen wo sie je nach Jahreszeit Laub
einsammeln oder Blumen gießen von kleinen Schrauben die sie in
ich weiß nicht welche Teile stecken
Wenn ich das hör versteh ich sie genau aber trau mich nicht zu sagen
ich bin einer von euch
Chefposten ist Chefposten
Meine Freizeitteilnehmer mit Behinderung würden das sicher
verstehen
Meine untergeordneten Teamer und Begleiter verstehen es nicht
Montagabend um zwanzig Uhr dreißig
Stehe ich als Produktionsmitarbeiter wieder unter den Chefs am
Förderband am Fließband an der Produktionsstraße
Denke ich in der Fabrik bestimmt genauso an diese französischen
Städte und Dörfer wie ich auf der Straße an die Fabrik dachte
Bin ich wohl der Soldat Aragons
»Oh ihr Dämonen denn ihr seid Dämonen
Gebt mir Wörter über Wörter«
Zurück von der Nachtschicht
Wird es im Osten in der Ferne langsam hell
Sechs Uhr morgens und acht Stunden in der Panierfischfabrik die
Form verlieren liegen hinter mir
Nicht meine
Sondern Gussformen wie Kuchenformen wie große
Sechserplastiklegosteine aber weich und in Fünfzigerstapeln die
man abstapelt und auf ein Förderband legt das nie stillsteht
Dann füllt eine Maschine die Formen mit einer dicken Soße
Was dann kommt seh ich nicht mehr
Für meinen Organismus ist der Rhythmus meiner acht
Nachtstunden nicht einfach zu handeln
Wann soll ich aufstehen zu Bett gehen mich ausruhen essen Kaffee
trinken oder Wein
Ich dachte ich verschiebe einfach alles um zwölf Stunden
Ich fang um neun Uhr abends an als wär es neun Uhr morgens der
Rest folgt der Verschiebung
Und hör um fünf Uhr also siebzehn auf
Haste gedacht
Mein Organismus ist genauso orientierungslos wie ich in dieser
neuen Fabrik
Klar ich bin erst seit zwei Tagen hier der Automatismus ist noch nicht
da aber in der Nacht verdammt
»Allein in der Nacht liege ich wach und denk an dich sacht ich bin ein
Soldat steh wie alle parat«
Sang Johnny Hallyday in Deutschland für seine Sylvie
In der Nacht fühle ich mich wie ein Fabriksoldat
Wenn ich von meiner Frau träume
Die so nah und doch so fern von mir schläft
Tausend weiche Plastikformen entfernt
Mit Panierfisch
Fühlt sich die Arbeit nicht mehr so edel an wie mit echtem Fisch
Hier gibts nur Paniermehl Kräuter Tiefgefrorenes
Geschmack- und Reizloses
Egal
Es ist sieben
Es wird hell
Es ist Schlafenszeit
Ich weiß nicht soll ich einen Kaffee oder Rotwein trinken
Auf jeden Fall werd ich eine Ballade von Johnny summen wenn ich
mich an meine schlafende Frau schmiege die ich nicht aufwecken
will
»Ich bin ein Soldat der der Dinge hier harrt«
Seit sieben Monaten ist er beim Panierfisch
Er ist zwanzig
Er hat die Schnauze voll
Von der brutalen Mutprobe die man ihm aufgezwungen hat der
beschissenen Atmosphäre den eintönigen Nachtstunden in denen
man schuftet und schuftet und dem Gefrierpanierfisch ohne Ende
Inmitten der Nacht lässt der Maschinenlärm etwas nach
Er fragt mich warum ich hier bin
Ich sage ihm wie allen anderen die einfache schöne Wahrheit
Dass ich weg bin von allem für die die ich liebe
Dass wir geheiratet haben
Dass ich glücklich bin hier zu sein
Und die Fabrik na ja irgendwas muss man ja tun
Und bald ein Baby fragt er sofort
Hoffen wir so sehr wie wir dran arbeiten
Auch er heiratet bald
Es gibt noch viel zu tun
Er hat ein bisschen Angst aber sie kommen voran
Ein paar Gesprächsfetzen später erfahre ich
Ich wohne ganz in der Nähe von der Arbeit seines Freundes
Ein paar Tage später helfe ich einem anderen Team
Einer erzählt mir von der Hochzeit des Ersten
Sie wollten ihre Partnerschaft eintragen lassen aber durch das neue
Gesetz können sie auch heiraten und damit auch leichter adoptieren
Ich lächle gerührt
Und denke fest an Ministerin Taubira die zu Recht dafür gesorgt hat
dass ein kleiner schwuler Arbeiter sich in der Fabrik outen kann
Bei seinen Eltern war das womöglich schwieriger
Dass er das Recht auf seiner Seite hat
Und selbst wenn er gelitten hat und die Mutprobe hart war
Heiraten wird
Am Ende meiner Nacht hol ich mir aus dem Getränkeautomaten
eine Dose Perrier
Champagner
Angefangen hat das so
Verlangt hatte ich ja nie was aber
Als mich ein Chef bei Schichtbeginn fragt ob ich schon mal Tofu
abgetropft hab
Als ich die Anzahl der Paletten und Paletten und Paletten seh die
ich allein abtropfen soll und ich gleich weiß damit bin ich die ganze
Nacht beschäftigt
Tofu abtropfen
Sag ich mir immer wieder ohne recht daran zu glauben
Heute Nacht werde ich Tofu abtropfen
Heute werde ich die ganze Nacht Tofuabtropfer sein
Ich werde eine Parallelerfahrung machen sag ich mir
In dieser bereits parallelen Welt Fabrik
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