Griechische Heiligtümer
Gefängnisse
Inseln
Und die Fabrik
Kommt man heraus
Weiß man nicht kehrt man zurück in die echte Welt oder verlässt
man sie
Obwohl man ja weiß eine echte Welt gibts nicht
Aber egal
Apoll hat Delphi nicht zufällig zum Zentrum der Welt gewählt
Athene hat die Agora zwangsläufig zum Geburtsort einer
Weltvorstellung gewählt
Das Gefängnis hat das Gefängnis gewählt das Foucault gewählt hat
Licht Regen und Wind haben die Inseln gewählt
Marx und die Proletarier haben die Fabrik gewählt
Geschlossene Welten
In die man willentlich hineingeht
Entschlossen
Und aus denen man nicht mehr herauskommt
Oder wie soll ich sagen
Ein Heiligtum verlässt man nicht unversehrt
Ein Gefängnis verlässt man nie wirklich
Eine Insel verlässt man nicht ohne zu seufzen
Eine Fabrik verlässt man nicht ohne in den Himmel zu schauen
Feierabend
Was für ein schönes Wort
Das man kaum noch benutzt und wenn dann nicht wörtlich
Denn abends
Ist man körperlich
Nicht in der Lage zu feiern
Will nur noch loslassen loswerden duschen die Fischschuppen
abwaschen doch wenn man endlich im Garten sitzt ist es zu mühsam
zum Duschen aufzustehen nach acht Stunden Fließband
Der nächste Tag
Ist für einen Zeitarbeiter
Nie garantiert
Die Verträge laufen zwei Tage höchstens eine Woche
Man könnte meinen wir sind bei Zola
Schreiben das 19. Jahrhundert die Epoche der Arbeiterhelden
Doch wir sind im 21.
Ich hoffe auf Arbeit
Ich warte auf Feierabend
Ich warte auf Arbeit
Ich hoffe
Warten und Hoffen
Fällt mir ein sind die letzten Worte im Graf von Monte Christo
Mein guter Dumas
»Mein Freund, hat der Graf uns nicht gesagt, die ganze menschliche
Weisheit bestehe in diesen beiden Worten: Warten und Hoffen!«
Für wen produzieren wir täglich die vierzig Tonnen Garnelen deren
Haltbarkeitsdatum jeden Tag wieder in einem Monat abläuft
Sechzig Millionen Franzosen müssten also täglich vierzig Tonnen
Garnelen essen
Mit Verlusten würde die Fabrik nicht laufen
Vor vier Jahren wurde die Fabrik zerstört und in
dreihundertvierundsechzig Tagen wiederaufgebaut ganz im Rahmen
der gesetzlichen Versicherungsfrist
Ein Chef hat sie zweimal absichtlich angesteckt munkelt man
Wie fackelt man eine Fabrik ab deren Höchsttemperatur acht Grad
Celsius beträgt
Muss man erstmal schaffen
Muss man wirklich wollen
An was denken meine Kollegen Produktionsmitarbeiter beim
Sortieren ihrer Garnelen welche Ohrwürmer besetzen ihre Köpfe oder
summen ihre Münder vor sich hin
Durch Ohrstöpsel und Fabriklärm hindurch hör ich manchmal
Balavoine und Christophe Maé der sich fragt wo das Glück ist und
Véronique Sanson
Leute die jeder kennt
Unsere gigantischen Förderbandmaschinen
Metallbäuche in denen die Garnelen
Aufgetaut
Sortiert
Gegart
Wiedertiefgefroren
Wiedersortiert
Verpackt
Etikettiert
Und wiederwiedersortiert werden heißen
Coaxial
Ishida
Multivac
Arbor
Bizerba
Jede hat ihre eigene Funktion
Solche riesigen Maschinen muss man erstmal produzieren nur wer
macht das und wo
Sind es weitere Maschinen die die Maschinen herstellen
Und wenn ja welche Fabriken stellen die Maschinen für unsere
Fabrik her
Und in welchen Fabriken stellen dann Maschinen die Maschinen her
die die Maschinen für unsere Fabrik herstellen
Ich spreche nicht von Menschen an den Maschinen sondern vom
Paradigma der Maschine die eine andere Maschine herstellt
Angeblich beschäftigt die Fabrik zwei Drittel Zeitarbeiter und ein
Drittel Festangestellte
Angesichts der Gehälter fragt man sich warum
Das wissen nur die Chefs
Allein
Warum grüßt der graumelierte Chef nie irgendwen während andere
in dieser Maschinenwelt doch recht menschlich sind
Welchen Teil der Maschine verkörpern wir unbewusst selbst
Alle Garnelen kommen tiefgefroren aus Madagaskar Peru Indien
Nigeria Guatemala Ecuador
Exotischen tropischen Reisezielen
Vielleicht Billigflaggen
Bestimmt Handelshäfen
Alle Garnelen kommen ungepult außer die besonders dicken
»Aperitif-Garnelen« die in einem Plastikrund mit einem Gewicht von
einhundertfünfundzwanzig Gramm zu einem Supermarktpreis von
rund fünf Euro als »Kränze« verkauft werden
Oft produzieren wir mehr als zehntausend Aperitif-Garnelen-
Kränze pro Tag mit gut zwanzig Mini-Garnelen pro Kranz
Welche Produktionsmitarbeiter aus welchem Land haben
vor uns so viel gepult
Welche Arbeiter
Für welches Geld
Welche Kinder
Wie sehen die Gesichter der Produktionsmitarbeiter aus
Wie ihr Leben hinter den persönlichen Schutzausrüstungen
Unter den Masken
Hinter den mechanischen Griffen der gegenseitigen Hilfe der
automatischen Freundlichkeit von denen die klaglos schuften
Nicht übers Leben zu reden scheint stillschweigend abgemacht
Die Fabrik geht vor genau wie der Lohn
So viele Garnelen
So viele Fragen
Morgen
»Oh meine Danaidenfässer«
Wie Apollinaire gesagt hat
Oh bodenlose Fässer der vierzig Tonnen Garnelen pro Tag
Nehm ich meine Fabrik wieder auf
Geh ich zu meinen Garnelen zurück
Zur Plackerei derer die nur
Ihre Hände zu verkaufen
Ihre Fürze abzulassen haben
Ihre obszönen Witze um sechs Uhr früh
Was sie auch singen
Welche Fragen sie auch stellen
Beim Sortieren der Garnelen
Existenzielle oder nicht
Ich bin einer von euch
Ein Fabrikarbeiter
Ein Fragenabarbeiter zum Großen Ganzen zu nichts Wichtigem zur
Literatur zu allem anderen zu den Garnelen
Was im Grunde aufs Gleiche hinausläuft
Acht Stunden pro Nacht pro Tag an den Maschinen
Das Wort Garnele fällt mir ein liest man zum ersten Mal bei Rabelais
Das gefällt mir und passt zum sauren Gestank der Fabrik
Die Fabrik verlassen Sonne Wärme tanken falls vorhanden
Rauchen
Heimkommen
Trinken
Vögeln
Weinen
Lachen
Sein Leben woanders leben als bei den Garnelen
Schlafen
Den Wecker stellen
Schlafen wie ein Stein
Morgen zurück zu den Garnelen
Am Montag fange ich um vier Uhr morgens an
Nicht bei den Garnelen sondern beim Frischfisch
Um vier Uhr morgens wenn die Fischer von Guilvinic Douarnenez
der Île-d’Houat oder anderswo aufs Meer rausfahren
Darauf bin ich ein bisschen stolz
Frischfisch des Tages ist bestimmt ne Riesenlieferung Sardinen
Beim letzten Mal waren zehn Tonnen zu sortieren und mit dem
Etikett »Pavillon Frankreich« zu versehen und in Styroporkisten
voller Eis zu stapeln
Es ist Sommer also werden es weit mehr sein als die zehn Tonnen
vom letzten Mal
Schließlich ist Grillzeit
Ich werde beim Sortieren gut aufpassen und die Makrelen und Stinte
herausfischen
Um vier Uhr morgens heißt zwei Stunden früher aufstehen schon am
Vortag starken Kaffee machen das Fahrrad nehmen eine halbe Stunde
in die Pedale treten
Ich werde unterwegs sicher an Vatel denken der sich unter
Ludwig XIV. wegen einer verspäteten Fischlieferung das Leben nahm
Bin ich zu spät und ist es kurz nach vier Uhr morgens sieht meine
Zukunft nicht rosiger aus als die von Genosse Vatel
Am Montag
Um vier Uhr morgens
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