Später, als Bestatter, war er dann schnell dahin, dieser Heldenstatus als potenzieller Lebensretter, als jemand, der mit dem Tod umzugehen hat und daher mit dem Tod umzugehen weiß. Für jemanden, der sich von Berufs wegen ausschließlich mit toten Körpern beschäftigt, sei es als Pathologe oder eben wie in meinem Fall als Bestatter, verändert sich doch so einiges. Da gibt es plötzlich auch diese Blicke an der Straßenkreuzung, wenn man mit dem Leichenwagen neben einem anderen Auto zu stehen kommt und auf das Grün der Ampel wartet, da ist dieser kleine Bogen, den doch einige um einen machen, wenn man als Leichenberufler erkennbar ein Szenario betritt. Da ist vor allem auch dieses Zögern, wenn man jemandem die Hand geben möchte, als wäre man irgendwie unrein, als würde durch den vielen Leichenkontakt der Tod leibhaftig an einem haften und mitunter sogar übertragbar sein.
Obwohl es den meisten beim Gedanken an diese Berufe und ihre Berührungspunkte mit dem Tod eiskalt über den Rücken läuft und obwohl man selbst als Professionist nicht immer davor gefeit ist, diesem Unheimlichen und Unbegreiflichen habhaft zu werden, geht von dem ganzen Thema eine unbeschreibliche Faszination aus, eine Art Sogwirkung, der man sich selbst im Alltag kaum entziehen kann oder will. Nicht umsonst stehen Krimis und Thriller mit Mord und Totschlag ganz hoch im Kurs, wenn es um die Wahl des Fernsehprogramms oder Lesestoffs geht. Sehr modern sind aktuell auch erfolgreiche True-Crime-Dokumentationen, zum Beispiel die RTL-Serie „Obduktion“ mit dem „Tatort“-Pathologen Jan Josef Liefers, in der authentische Fälle untersucht werden – mit „echten“ Leichen. Mit Leidenschaft und erregender Anspannung folgen wir darin den Gerichtsmedizinern an den stählernen Tisch, sägen mit ihnen Brustkörbe auf und durchwühlen erkaltete Gedärme auf der Suche nach Hinweisen, womit der gejagte Mörder sein Opfer hinterlistig zur Strecke gebracht haben könnte. Und obwohl wir wissen, dass die Leiche mitunter von einem gut geschminkten Schauspieler dargestellt wird, fröstelt es uns beim Anblick und manche fragen sich vielleicht, ob Tote tatsächlich so aussehen.
Immer wieder höre ich, dass sich viele derartige Berufe, wie zum Beispiel in der Pathologie oder Bestattung, für sich nicht vorstellen können oder wollen: „Das könnte ich nie!“ Aus dieser Unvorstellbarkeit heraus wirken jene, die es können und tun, auf uns oft anziehend.
Hier begegnen wir wieder dieser Gegensätzlichkeit: Anziehung und zugleich Abstoßung, Ablehnung und Bewunderung. Die respektvoll wertschätzende Frage: „Wie schaffst du das nur? Die vielen Leichen, das Weinen und überhaupt?“ streichelt mitunter die Seele und man kann sich ein Stück weit überlegen fühlen. Man ist Handlanger des Todes und so irgendwie auch Teilhaber an seiner Macht, an einer Macht, die die eigene Ohnmacht lindern hilft. Wir sollten daher jene, die in diesen Feldern des Todes ihren Dienst verrichten, nicht nur als arme, mutige Seelen ansehen, die sich tapfer statt uns des Todes annehmen und zum Undank nicht einmal die Hand gereicht bekommen. Auch ist es nicht so, dass sie allein, selbst- und gewinnlos gegen den Strom der gesellschaftlichen Todesverdrängung anschwimmen. Wir dürfen vielmehr zu Recht vermuten, dass sich hinter jeder selbst gewählten beruflichen Tätigkeit im Kern ein Lohn für den eigenen Selbstwert versteckt. Und so ist es auch hier, wenn vielleicht auch nicht immer auf den ersten Blick erkennbar oder jedem allzeit bewusst. Menschen in sogenannten Todesberufen verdienen nicht mehr, aber auch nicht weniger Respekt und Anerkennung als die Reinigungskraft, der Dachdecker oder die Anwältin.
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