Martin Prein - Dr. Prein & der Tod

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Martin Prein – Rauchfangkehrer, Lkw-Fahrer, Bestatter und heute Psychologe – hat genug von der immer gleichen Rede zum Thema Tod. Mit analytischem Blick und viel Erfahrung kämpft der Thanatologe gegen die „Verteelichtung“ des Todes, gegen Stehsätze wie „Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter“ und dagegen, dass wir den Tod nicht verdrängen dürften.
Zudem stellt er sich und uns die Frage, wie wir mit der eigenen Endlichkeit umgehen und was wir alles aufrichten, um mit dem Wissen sterblich zu sein überhaupt leben zu können, ohne verrückt zu werden.
Das ist ein Buch zum Thema Tod, dass für viele einige erhellende Mythen vom Sockel stoßen wird, ohne dass man etwas verliert – im Gegenteil, wir können nur gewinnen: befreiende Selbsterkenntnis und echte Solidarität.

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An dieser Stelle möchte ich Ihnen auch gleich ein Geheimnis verraten, ein erstes Bekenntnis, wenn Sie so wollen: Ich kann die ewig gleiche Rede zum Thema Tod und Sterben nicht mehr hören! Dieser Widerwille ist wohl auch eine wesentliche Triebfeder für dieses Buch. Kein Zeitungsartikel, keine Gesprächsrunde, die nicht die ewig gleichen Phrasen und Standarddiagnosen zum Inhalt haben, die wie eine Monstranz bei einer Prozession vor sich hergetragen werden. Vor allem, wenn sich die Medien zu Allerheiligen dem kulturell verordneten Memento mori hingeben, hört und liest man – ähnlich wie bei so manchem Weihnachtshit – immer wieder dieselben Rezepte, Diagnosen, Kritiken oder Forderungen. Und den Klassiker schlechthin, das „Last Christmas“ unter den Lösungsansätzen, den Ausruf „die Gesellschaft müsse sich einfach wieder mehr mit dem Tod befassen!“ , dicht gefolgt von „die Menschen verdrängen den Tod“ , „der Tod ist ein Tabu “ oder „früher war sowieso alles anders und vor allem viel natürlicher und besser“ … und als wäre es der Fadesse nicht genug, kommt allenthalben noch der grauenerregende Appell: „Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter!“

Ganz ehrlich, das ist der Grund, warum ich in dieser Zeit kaum noch Zeitung lese oder fernsehe. Ich ertrage es schlichtweg nicht. Über die oft sehr doppelmoralische und bevormundende Rolle der Medien im Zusammenhang mit der Rede über den Tod werden wir wohl an anderer Stelle reden müssen, jedenfalls wundert es mich, dass Journalistinnen, die zu Allerheiligen diese Gespräche führen oder diese Artikel schreiben (müssen), nicht bereits nach zwei Minuten einschlafen und erst am 3. Advent wieder wach werden, quasi als Selbstschutzreaktion des noch lebenden Körpers. Ein Hoch auf eine österreichische Tageszeitung, die vor einigen Jahren zu Allerheiligen nichts zum Thema brachte. Vielen dieser wiederkehrenden Stehsätze wollen wir übrigens auch in diesem Buch zu Leibe rücken und sie auf ihre Standfestigkeit hin abklopfen.

Weiters möchte ich sensibilisieren und aufzeigen, wie sich unsere Ängste maskieren können, wie sie sich in cleveren Tarnanzügen adrett zurechtgemacht zu uns an den Frühstückstisch setzen und dann unseren Alltag durcheinanderwirbeln oder zumindest mitgestalten. Ich gehe dem nach, warum bzw. wie wir auf Trostkonstrukte und Beruhigungsstrategien zurückgreifen und weshalb wir mitunter auch gar nicht anders können, weil es manchmal schlicht zur Überlebensstrategie gehört, sich selbst etwas vorzugaukeln oder auf etwas zu setzen, was vermutlich so nie eintreffen wird. Aber auch, warum es sich lohnen kann, den eigenen Blick und seine Wahrnehmung für genau diese Mechanismen zu schärfen und vielleicht sogar damit zu beginnen, mutig daran herumzuschrauben oder sie auf den Kopf zu stellen.

Ich schreibe auch so manchen Stehsatz und so manche Floskel zur Neubewertung aus, da wir vieles inflationär zu hören bekommen und auch selbst wiedergeben, ohne uns der tatsächlichen Bedeutung bewusst zu sein. Kurzum, ich werde versuchen, Sie durch meine Brille schauen zu lassen, Ihnen zeigen, wie unterschiedlich nicht nur meine Erfahrungen mit dem Thema sind, sondern auch, wie unterschiedlich mich das Thema Tod ganz persönlich prägt, mich an- und manchmal auch vor sich hertreibt. Ich möchte versuchen – vor allem in den Kapiteln „KEINE SPUR VON TODESANGST“ und „DIE VERTEELICHTUNG DES TODES“ –, unsere Wahrnehmung auf selbst angewandte, aber auch gesellschaftlich institutionalisierte und ritualisierte Strategien gegen unsere Todesangst zu richten. Dabei möchte ich mich weder hinter religiösen Ideen oder Empfindungen verstecken, noch mich in philosophischen Klimmzügen verlieren zugunsten rationaler Scheinsiege. Vielmehr möchte ich an Schutzdämmen rütteln und hinter dickste Mauern aus Abwehr und Selbsttäuschung blicken, möchte versuchen, die Untiefen unserer Scheinberuhigungen zu umschiffen, nichts beschönigen, nichts verklären und auch nichts krampfhaft sinndeuten.

Ich werde den Tod und unsere Angst davor, den Schmerz und die Trauer nicht „verteelichten“. Denn genau in diesem schonungslosen Offenlegen unserer tiefsten Angst, dem Heben des so schwer Vorstellbaren, nämlich der bewussten Erwartung unserer Auslöschung, verbirgt sich auch ein wertvoller Schatz, eine Art Superkraft. Über diese Vision, meine Hoffnung – für ein empathischeres Miteinander und für mehr Selbstbehauptung im Kampf gegen Instrumentalisierungen unserer Ängste –, werde ich am Ende meines Buches, unserer Reise, erzählen und ich möchte aufzeigen, dass es sich absolut lohnen kann, diese Superkraft in uns zu entdecken und aufzuwecken. Eine Kraft für mehr Verständnis für die in uns allen gleiche, tiefsitzende Not und Verlorenheit und für die dadurch erlebte fundamentale Einsamkeit, denn auch unsere allerliebsten Menschen können nicht zu uns herein, zu unseren tiefsten Empfindungen und Gedanken, wenn wir unseren letzten Atemzug machen, die letzte Konsequenz des Lebens bestreiten wir einsam, den allerletzten Schritt können wir nur radikal allein tun. Aber bis dahin können wir füreinander da sein und gemeinsam für einen neuen und hoffentlich besseren Umgang mit unserer Todesangst und generell mit unseren Gefühlen eintreten.

GEGENSÄTZE ZIEHEN SICH AN: LEBEN UND TOD

Das mit dem Tod ist so eine Sache. Und vor allem ist es eines, ein ewiger Tanz der Gegensätzlichkeiten, ein einmal stürmischerer, mal mehr oder weniger verdrängter Ritt auf diversen Gefühlswellen. Auf der einen Seite gibt es für mich kaum etwas Faszinierenderes und Interessanteres als die Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit, mit der Strahlkraft des Erloschenen und vor allem mit der unendlichen Herausforderung, wie wir mit diesem massiven Endszenario unseres Selbst umgehen bzw. umgehen können oder wollen. Andererseits geht das nicht ohne das Wahrnehmen dieser tiefsitzenden Angst, dass all unser Sein und Bemühen darin mündet, dass wir unumkehrbar auf unsere Auslöschung zuleben. Immer und immer wieder stellt sich mir daher die eine Frage: Wie sehr ist uns die eigene Endlichkeit tatsächlich bewusst? Ist das Wissen darum vielleicht bereits in uns angelegt? Steckt quasi das Wissen um unser Ablaufdatum nicht nur potenziell biologisch, sondern auch als Erkenntnis bereits in unseren Zellen? Ist es vielleicht sogar in unsere tiefsten Selbst-Schichten eingewebt, uns gar einverseelt? Und vor allem, wie bestimmt es unser Tun und wodurch ertragen wir diese zu erwartende höchste aller Kränkungen – nämlich die, dass wir eines Tages aufhören werden zu existieren, vollkommen verschwunden sein sollen, während alles andere weitergeht? Aber ein kleiner Trost, der uns jedoch nicht wirklich trösten wird: Auch „alles andere“ geht nicht ewig so weiter, alle anderen werden auch sterben, und letztlich, ja, wird auch die gute alte Erde verglühen und von der Bildfläche unserer Milchstraße verschwunden sein. Bemerken wir es? Es gibt keinen Trost gegen diese Kränkung des Todes! Nicht den geringsten.

Diese Fragen begleiten mich schon viele Jahre in meiner Arbeit, treiben mich um und haben mich auch immer wieder einmal die Perspektive auf das Thema wechseln lassen. Als Sanitäter zum Beispiel, der ich jahrelang war, hatte ich mich dem Kampf ums Über- und fürs Leben verschrieben. Bin immer wieder vollgepumpt mit körpereigenem Adrenalin zu den Einsatzorten gefahren, habe mich innerlich hochgefahren und aufgerüstet, indem ich die wichtigsten Rettungsmaßnahmen im Geiste abgespult habe und durchgegangen bin, während ich mich gleichzeitig darauf konzentriert habe, ruhig und sachlich zu bleiben. Denn niemand ruft nach einem aufgewühlten und nervösen Retter. Oft habe ich dabei erlebt, dass mir – nicht nur von den Patientinnen und Patienten – große Dankbarkeit und Anerkennung entgegengebracht worden ist. Als potenzieller Lebensretter, aber zumindest als gut ausgerüsteter Beschwerdenlinderer, ist man in unserer Gesellschaft natürlich ein willkommener Gast, erfüllt eine für alle offensichtlich wichtige Rolle und genießt einen angesehenen Status.

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