Juon Rita - Tod in Andeer

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Nach einem Unwetter wird im Hinterrhein bei Andeer eine Tote gefunden, die zwar keinen Ausweis, jedoch einen hohen Geldbetrag auf sich trägt. Wer ist die Frau, was hatte sie in Andeer zu suchen und was hat es mit dem vielen Geld auf sich? Briefträger Beni und seine Grossmutter Annetta kommen den Ereignissen auf die Spur, nicht aber ihren Hintergründen. Diese kennt nur die Dorfbewohnerin Marlene, doch sie zieht es vor, aus Andeer zu verschwinden – was sich als folgenschwerer Fehler erweist. Woher das Geld stammt, entdeckt schliesslich Lindiwe, die in Südafrika im Gästehaus der Toten arbeitet. Doch statt zur Aufklärung des Falls beizutragen, nutzt sie ihr Wissen auf unkonventionelle Weise.

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Rita Juon

Tod in Andeer

Kriminalroman

2021 by orte Verlag CH9103 Schwellbrunn Alle Rechte der Verbreitung auch - фото 1

© 2021 by orte Verlag, CH-9103 Schwellbrunn

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Radio und

Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger,

elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck,

sind vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Brigitte Knöpfel

Umschlagbild: Carmen Wueest

Gesetzt in Times New Roman

Herstellung: Verlagshaus Schwellbrunn

ISBN: 978-3-85830-290-8

ISBN e-Book: 978-3-85830-294-6

www.orteverlag.ch

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Fremdsprachige Ausdrücke

Dank

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Über den Autor

1

September 2019

Die beiden Buben schrien sich schon den ganzen Nachmittag an. Nicht etwa, weil sie im Streit lagen. Auch nicht, weil keiner dem anderen zuhören wollte. Erst recht nicht, weil ihre Ohren wieder einmal geputzt werden sollten. Sie mussten schreien, um das Rauschen des Hinterrheins zu übertönen.

«Wieder nichts», rief der eine. «Ob wir wohl überhaupt jemals Gold finden?»

«Das muss man üben!», brüllte der andere. «Parker Schnabel hatte auch nicht auf Anhieb Erfolg.»

«Wer?»

«Parker Schnabel! Der Goldsucher aus Alaska, der im Fernseher kommt. Papa und ich schauen uns die Sendung immer an.»

Ursin schaufelte erneut Sand und Kies aus dem Fluss in das Kunststoffbecken. «Ein richtiges Goldwaschbecken wäre zehnmal praktischer als diese Teigschüssel meiner Mutter», maulte er.

«In einem Monat habe ich Geburtstag, dann wünsche ich mir eines.» Frederik rüttelte an der selbst gebauten Goldwaschrinne, um sie besser zu platzieren. «Für eine richtige Goldwaschrinne wird es nicht reichen, aber diese hier ist gar nicht schlecht.»

«Und wenn es im Hinterrhein gar kein Gold gibt?», wandte Ursin ein.

«Gibt es!», beharrte sein Freund. «Ich habe es selbst gehört, als zwei Männer darüber redeten. Ich erzählte meinem Papa davon, und der hat im Internet nachgeschaut. Es gibt Gold im Hinterrhein.»

«Da!», brüllte Ursin aufgeregt, während er die Teigschüssel im Kreis drehte. «Schau hier, am Rand, das, was so glitzert!»

So schnell er mit den hohen Gummistiefeln konnte, eilte Frederik zu ihm. Andächtig betrachteten sie das winzige glitzernde Teilchen im Sand auf dem Boden der Schüssel. Fast gleichzeitig liessen sie ein enttäuschtes Brummen vernehmen.

«Glimmer», stellte Ursin fest. «Wieder nur Glimmer.»

Frederiks Gesicht hellte sich auf. «Aber wir werden immer besser», meinte er. «Letztes Mal haben wir überhaupt nichts gefunden und heute schon zum zweiten Mal Glimmer!»

Ursin leerte die Schüssel aus und klemmte sie sich zwischen die Knie, um sich die klammen Finger warm zu reiben. Als er den Reissverschluss seiner Jacke bis zum Kinn hochzog, blieb sein Blick an einem dunklen Fleck flussaufwärts haften. «Schau, dort liegt etwas im Wasser», sagte er. «Was kann das sein?»

Trotz der unförmigen Stiefel bewegten sich die Buben gewandt über Kies und Steine am Ufer flussaufwärts.

«Ein Rucksack!», rief Ursin. «Hilf mir», wies er seinen Freund an und begann, Trittsteine zwischen dem Ufer und dem Fundstück ins Flussbett zu werfen. Frederik schleppte einen angeschwemmten Holzprügel heran, an dem sich Ursin festhalten konnte, als er sich zum Fundstück hinüberhangelte. Seine Jacke wurde nass bis zu den Ellbogen, als er die Hände ins eiskalte Wasser tauchen musste, um den Rucksack, der sich im Geschiebe verfangen hatte, zu lösen. Endlich erreichte er mit ein paar Sätzen das Ufer, wo er zitternd vor Kälte auf einen Stein sank.

Frederik nahm ihm die Beute aus der Hand. «Vielleicht ist ein Ausweis drin, dann können wir ihn zurückgeben.» Er schickte sich an, die Schnalle zu lösen. «Ein richtiger Rucksack ist das nicht, er sieht eher aus wie eine grosse Damenhandtasche.»

Tatsächlich enthielt der Beutel die üblichen Utensilien, die Damen nach den Kenntnissen der Buben mit sich führten: Taschentücher, ein Brillenetui, Kaugummi, Lippenstift, ein Röhrchen mit Kopfwehtabletten, die Reste einer Illustrierten, ein kleines Portemonnaie und einen durchnässten Briefumschlag aus Karton.

Frederik griff nach dem Portemonnaie. «Kein Ausweis», berichtete er, als er es untersucht hatte, «und auf dem Couvert steht keine Adresse.» Er drehte es in der Hand. «Es ist verschlossen. Der Inhalt wird wohl völlig aufgeweicht sein.»

«Wie finden wir denn heraus, wem der Rucksack gehört?», fragte Ursin.

Der Freund dachte nach. Erneut untersuchte er das Portemonnaie und entdeckte ein Notenfach mit Reissverschluss, den er jetzt öffnete. «Keine Adresse», stellte er fest, «aber hundertfünfzig Franken.»

Ursin blickte sehnsüchtig auf die Noten. «So viel wie eine Goldwaschrinne und eine Waschpfanne kosten.»

«Stimmt.» Frederik blickte ihn aufmerksam an. «Wir wissen nicht, wem der Rucksack gehört. Darum können wir ihn auch nicht zurückgeben. Also dürfen wir ihn behalten.»

«Bist du verrückt?», fragte Ursin entsetzt. «Er gehört uns doch nicht. Wir müssen ihn abgeben.»

«Wo denn?»

«Das weiss ich nicht. Vielleicht auf dem Fundbüro?»

«So etwas gibt es hier nicht», gab Frederik zurück.

«Dann müssen wir ihn auf der Gemeinde abgeben», sagte Ursin.

«Auf welcher denn?» Frederik wurde ungeduldig. «Andeer? Bestimmt nicht, wir haben ihn ja vor dem Dorf aus dem Rhein gefischt. Er muss von irgendwo oberhalb kommen. Aber wir können doch nicht bis nach Splügen gehen, nur um ihn dort abzugeben!»

Ursin schüttelte den Kopf. «Von dort kann er nicht kommen, er muss nah beim Dorf ins Wasser gefallen sein, unterhalb der Staumauer von Bärenburg.»

«Jetzt sei nicht so ein Besserwisser», raunzte Frederik. «Hat der Stausee etwa keinen Abfluss? Klar hat er! Also kann der Rucksack auch von weiter oben kommen.» Er runzelte die Stirn und überlegte. «Wenn er aber aus dem Rheinwald kommt und schon einen oder sogar zwei Staudämme hinter sich hat, ist er schon länger unterwegs. Dann hat es die Besitzerin längst aufgegeben, ihn zu suchen. Ausser diesen hundertfünfzig Franken ist ja auch nichts Besonderes drin.»

«Was meinst du damit?»

«Ich meine, dass niemand den Rucksack vermisst. Wir brauchen ihn nirgends abzugeben.»

Ursin war empört. «Aber das Geld!»

«So viel ist es nicht. Wenn Mama in Thusis einkaufen geht, braucht sie mehr als das.»

«Schon, ja, aber die Frau, der der Rucksack gehört, wollte doch etwas kaufen damit!»

«Dann hätte sie besser aufpassen müssen», sagte Frederik ungehalten. «Wahrscheinlich war es sowieso eine Touristin, somit ist sie unmöglich zu finden. Vermutlich ist sie längst wieder abgereist.»

«Möglich. Ich kenne jedenfalls niemanden im Dorf mit einem solchen Rucksack.» Ursin betrachtete das Gepäckstück nachdenklich.

«Du hast gesagt, es würde reichen für eine Goldwaschrinne und eine Waschpfanne.»

«Ja.» Abwesend liess Ursin den Blick zur Teigschüssel schweifen. «Es würde genau reichen …»

Eine Zeit lang hing jeder seinen Gedanken nach, die sich unweigerlich in die gleiche Richtung bewegten.

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