Das war noch lange kein Grund mich mit Barbie persönlich zu bestrafen. Sie sieht aus wie Polizeibarbie in Zivil, die gab es doch ganz bestimmt auch schon. Gab es Barbie nicht als alles Mögliche?
„Wir arbeiten zusammen, wir müssen uns nicht anfreunden.“ Mir reichen die amüsierten Blicke der Kollegen auch so schon. Ein Polizeirevier ist immer noch eine Männerwelt, egal, ob das im 21. Jahrhundert so sein sollte oder nicht. Niemand nimmt meine Partnerin ernst, die als kurvenreiche Blondine eben nicht wie der typische knallharte Cop wirkt. Da ich mit ihr zusammenarbeite, habe ich in etwa das gleiche Ausmaß an Respekt zu erwarten. Als ich letzte Woche Catlin im Louie‘s getroffen habe, hat er mich Ken genannt. ‚Ihr zwei seid das Vorzeigepaar des LAPD, Barbie und Ken, hübsch anzusehen bei jedem Fall.‘ Catlin hält sich selbst für sehr komisch. Und anscheinend sind Sam und ich gerade die Lachnummer unter L.A.s Gesetzeshütern. Das einzig Gute daran ist, dass nicht mehr jeder mit mir über Nat sprechen will.
Und ja, ich bin pathetisch, hey, das sehe ich selbst, aber der Grund ist, dass ich tatsächlich nicht mehr weiß, wer oder was ich eigentlich bin. Geschweige denn, was ich will. Diesen Mist kann ich da oben drauf wirklich nicht auch noch gebrauchen.
„Simmons, Caihill! Ihr habt einen Fall!“ Die Stimme des Captains reißt mich aus meinen Gedanken. Das ist zumindest ein Lichtblick in diesem Chaos.
***
Die Gerichtsmedizin ist bereits vor Ort und in voller Aktion, als wir an dem Apartmentkomplex eintreffen, in dem die Leiche einer jungen Frau gefunden wurde. Überall außerhalb des Fundorts im Schlafzimmer wimmeln zudem die Forensiker in ihrer Wohnung herum. Es tut ja auch durchaus gut, wieder im Sattel zu sitzen. Funde wie dieser sind jedoch eher weniger eine Wohltat. Bei solchen Tatorten bin ich für die Schutzkleidung und den Mund/Nasenschutz dankbar, die eigentlich uns davor bewahren sollen, den Tatort zu verunreinigen. Er hält jedoch auch ein wenig von dem Verwesungsgeruch ab. Einen Hauch Tigerbalsam unter der Maske zu verteilen, hilft zusätzlich.
Die junge Frau, die wir vorfinden, muss schon ein paar Tage tot sein. Das können wir sehen und riechen, ohne dass uns der Gerichtsmediziner darüber informiert. Im frühsommerlichen Los Angeles bei nicht klimatisierter Zimmertemperatur hat sie sich bereits in ein vollständiges Ökosystem verwandelt.
„Das ist die Mieterin der Wohnung. Lilly Ann Parsons, 25 Jahre alt, sie ist vom Rettungsdienst gefunden worden, nachdem die Nachbarn den Geruch gemeldet haben.“ Der Gerichtsmediziner könnte keinen neutraleren Tonfall haben, vielleicht gehört diese Kunst der Nichtbetonung sogar ausdrücklich zur Jobbeschreibung.
Im nächsten Augenblick wächst mein Respekt vor Barbie, als sie sich mit dem Gerichtsmediziner über die Leiche beugt, die nackt und in seltsam fötaler Stellung auf ihrem Bett liegt. Ein langer, ordentlich geflochtener Zopf liegt hinter ihr auf dem Kopfkissen und ihr dunkelbraunes Haar wird dabei von einem leuchtend roten Haargummi fixiert. Abgesehen von der Delle, die ihr Körper im Bett verursacht, wirkt dieses vollkommen glatt. Natürlich hat der Tod seine Spuren auf dem Laken hinterlassen, aber sie muss hier ursprünglich wie ein Ausstellungsstück platziert worden sein.
„Sie ist post mortem so drapiert worden, oder?“ Sams Gesichtsausdruck ist konzentriert, aber beeindruckend unbeeindruckt.
Ich habe bei meiner ersten halbverwesten Leiche gekotzt, sie hingegen stellt sachliche Fragen. Mein Gehirn beginnt anscheinend aber auch, plötzlich wieder zu arbeiten und ich bin endlich bereit meinen neuen Partner mit anderen Augen zu sehen. Verwesungsgeruch ist anscheinend so etwas wie eine Aufweckdroge für mich.
Der Gerichtsmediziner nickt. „Davon ist auszugehen, ja. Vermutlich ist sie im Nachbarzimmer gestorben.“
„Im Wohnzimmer? Sie ist erdrosselt worden, nicht wahr?“ Sam zeigt auf die Verfärbungen am Hals, die noch deutlich zu erkennen sind.
„Ja, danach sieht es zumindest aus. Näheres kann ich natürlich erst nach der Autopsie sagen.“
Im Wohnzimmer stehen zwei Cocktailgläser, sie sind mit Obstscheiben dekoriert, die vermutlich einmal zu einer Kiwi gehörten. Jetzt sind sie eher von einer weißlich bis blaugrünen Farbe. Sehr appetitlich! Meine Partnerin läuft beim Anblick der Gläser zielgerichtet ins Bad. Wie jetzt? Bei den Gläsern wird ihr schlecht, aber nicht bei der Leiche? Ein wenig irritiert laufe ich ihr nach. Dort allerdings hält sie eine Flasche Schaumbad in die Luft, zwischen ihren behandschuhten Fingerspitzen. Ihr Gesichtsausdruck ist triumphierend. „Bingo!“, sagt sie leise.
„Hä?“ Also jetzt komme ich definitiv nicht mehr mit.
„Pfirsichduft! Später!“ Dann stellt sie die Flasche zurück an ihren Platz. Nun, dann bin ich ja mal auf später gespannt. Warum es so relevant ist, welches Schaumbad unser Opfer benutzt hat, leuchtet mir zumindest bislang nicht ein.
Wir beenden die Tatortbegehung nach Protokoll. Ich halte mich selbst mit Fragen zurück, und beobachte Barbie … Sam. Ihre Fragen sind mehr als auf dem Punkt, so als wäre ihr die Antwort bereits bekannt. Deswegen lasse ich sie mehr oder weniger ihr Ding machen und halte Augen und Ohren offen. Ja, ich habe mich ihr gegenüber bislang wie ein ziemliches Arschloch benommen. Aber was ich sehe, bringt zum einen meine Cop-Instinkte zum Klingeln und zum anderen sehe ich, dass sie in Ihrem Element ist, dass ich sie gewaltig unterschätzt habe. Eine schöne Lektion!
Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass unser Opfer hier schon längere Zeit gewohnt hat oder dies ernsthaft vorhatte. Ihrer Wohnung fehlt jegliche persönliche Note, dafür scheint sie aus dem Katalog einer Möbelfirma zu stammen. Vermutlich wird sie vollständig möbliert vermietet.
Als wir aus dem Wohnblock herauskommen, übergebe ich meiner Partnerin wortlos die Wagenschlüssel, weil mir gerade bewusst wird, dass ich dies bis zu diesem Zeitpunkt tunlichst vermieden habe. Macho-Modus aus, willkommen zurück im 21. Jahrhundert. Ja, ich habe mich wirklich wie ein ziemlich großer Arsch aufgeführt. Ich gebe es ja zu.
Sie schaut mich mit großen Augen skeptisch und überrascht an und nickt dann, bevor sie, ebenfalls wortlos, einsteigt. Sie fährt jedoch nur um die Ecke und biegt dann auf einen Supermarkt-Parkplatz ab.
„OK?!“ Ich sehe sie fragend an. „Ich weiß, ich schulde dir mehr als eine einfache Entschuldigung, Sam. Du hast mich gerade wirklich beeindruckt, aber das können wir genauso gut während der Fahrt besprechen, oder?“
Sie schüttelt den Kopf. „Angenommen! Ich habe schließlich bewusst nach einem Partner wie dir gefragt, einer Herausforderung. Ich wollte niemanden als Partner, der es mir zu leicht macht. Ich wusste vorher schon, dass ich dich von mir überzeugen muss. Jetzt bin ich ehrlich gesagt überrascht, dass das so einfach war. Aber das hier können wir nicht während der Fahrt besprechen.“ Sie atmet tief aus und macht eine Pause, bevor sie weiterspricht. „Was hat deine Meinung so plötzlich geändert? Nicht mehr Barbie oder Caihill?“
„Cop-Instinkt? Ich schätze, ich habe so tief in meiner Scheiße gesteckt, dass ich ihn fast vergessen habe. Es tut mir leid, dass ich sinnlos um mich gebissen habe!“ Ich sehe zu ihr hinüber, in der Hoffnung, dass sie jetzt nicht nachfragt, von welcher Scheiße ich rede. „Eigentlich bin ich kein so großes Arschloch. Du kannst schließlich nichts für meine Probleme oder die Meinung der Kollegen.“ Ich schaue sie schließlich kopfschüttelnd an. „Du willst jetzt aber nicht behaupten, dass das deine erste Leiche war, oder?“
Ihre Antwort ist ein Kichern. „Kennst du die Serie Quincy?“
„Schon was älter, aber ich glaube, das habe ich mal irgendwann gesehen, wieso?“
„Erinnerst du dich noch an den Vorspann?“
Читать дальше