Nelli Kossko
Wege und Irrwege einer Deutschen aus Russland
Nelli Kossko
In den Fängen der Zeit
Wege und Irrwege einer Deutschen aus Russland
Trilogie
1. Teil: Die geraubte Kindheit, 2003
2. Teil: Am anderen Ende der Welt, 2004
3. Teil: Wo ist das Land …, 2007
Titelzeichnung: © Andrej Stoppel
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eISBN 978-3-96136-044-4
Print-ISBN 978-3-96136-043-7
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Teil I: Die geraubte Kindheit Teil I Die geraubte Kindheit
Die Vergangenheit lässt uns nicht los …
Kein Zug fährt in diese Gegend
Heute gibt es kein Frühstück
Verbannt für alle Zeiten
Die Russen haben auch einen Führer!
Hier werdet ihr auch verrecken
Alle Deutschen müssen in die Baracken
Sie sind schon komisch, diese Russen
Werde erst mal ein bisschen älter
Die „Weihnachtsverschwörung“ der Verdammten
Die Fremden in unserem Dorf
Die grausame Welt der Erwachsenen
Die „Fritzen“ kommen!
Mein Freund Karl Marx
Nichts als Hunger
Auf Kriegsfuß mit den Geboten
Der Wolf
Das Hochwasser
Der Hund
Mit letzter Kraft
Meine neue Freundin
Die „Liebste“
Die Reichtümer der Wildnis
Die Bürde
Soika
An die Arbeit
Neues Unheil
Mama ist wieder da
Ich führe ein Doppelleben
Du darfst nicht sterben, Mama
Wir lernen Deutsch
Die Zauberwelt des Buches
Wie alle anderen sein …
Die Ächtung
Weiter in den Norden
Teil II: Am anderen Ende der Welt
Züge lassen sich nicht aufhalten
Wo gehobelt wird, da fallen auch Späne
„Zebrikowo“ hieß auf Deutsch „Hoffnungstal“
In den unendlichen Weiten Russlands …
Die unberührte Schönheit Sibiriens
Und ewig lebe Genosse Stalin …
Wunder gibt es doch!
Der Major
Auf hoher See
Am Kältepol
Auf zu neuen Ufern?
Wenn die Spucke im Fliegen gefriert …
Ein Tod, der hoffen lässt
Der Wind der Veränderungen
Der Neue
Politisch von der Wiege bis zur Bahre
Mama heiratet
Der Skandal
Wenn man den Deutschen ihren Willen lässt …
Die Antwort aus Moskau
Ein echter Laubbaum und noch mehr …
Zurück in die Vergangenheit
Manche sind doch gleicher …
Die Hauptstadt
Träume sind Schäume
Darf ich bitten, Prinzessin?
Teil III: Wo ist das Land …
Verweile doch …
Lustig ist das Studentenleben
Das Tauwetter
Der Sieg der „Lyriker“ über die „Physiker“
Arbeitseinsatz auf den Kartoffelfeldern
In der Nähe der ehemaligen Heimat
Emmis erstes Kind
Das Mutterglück
Habt doch Mitleid mit Sisyphus!
Das Klavier
Der Prager Frühling
Neue Horizonte
Die neue Völkerwanderung
Genau wie bei Orwell
Die Hatz
Vogelfrei
Der Glaube an die Gerechtigkeit
Persona non grata
Der Wettlauf mit der Zeit
Nachwort
ANHANG
1000 Jahre deutsche Spuren in Russland
Erläuterungen
Über den Autor
DIE „ODYSSEE“
Wege und Irrwege der Autorin
in einer aus den Fugen geratenen Welt
Der lange Weg der Protagonistin Emma Wagner fängt 1944 in Marienheim/Ukraine an und verläuft weiter über Bessarabien-Rumänien-Ungarn-Polen bis nach Dresden, dann macht sie einen Knick, schlängelt sich über Polen nach Russland zurück und zieht sich von Kostroma über den Ural, West- und Ostsibirien bis hin zum Ochotkischen Meer, strebt dann gen Norden über Magadan Richtung Kolyma, das ist die rote Linie. Die grüne setzt sich erst 1956 durch, ist ruhiger, etwas kürzer und bringt die Autorin langsam, fast schrittweise zurück in den Westen, zunächst in den Ural, dann nach Moldawien, in die Nähe der Heimat ihrer Eltern, und schließlich nach Deutschland, dem Endpunkt ihrer Irrungen. Hier hat sie Wurzeln geschlagen, und ihre Wege führen sie nur noch in die vielen Urlaubsländer, aus denen sie immer wieder gerne heimkehrt.
Dieses Buch ist eine ergänzte und bearbeitete Sammelausgabe der Trilogie von „Die geraubte Kindheit“, „Am anderen Ende der Welt“ und „Wo ist das Land …“
„Ihr habt euch zu ducken und zu schweigen!“
(Kurt Tucholski)
Teil I
Die geraubte
Kindheit
Die Vergangenheit lässt uns nicht los …
„Beim Eintritt lass alle Hoffnungen fahren.“ (Dante Alighieri)
Hart schlagen die Räder der Aeroflot-Maschine auf dem Rollfeld auf. Ein Ruck, das Flugzeug drosselt allmählich seine Geschwindigkeit und steuert, in allen Fugen krachend und ächzend, auf das Flughafengebäude zu.
Frankfurt am Main. Endstation.
Im Flugzeug herrscht heitere Aufbruchstimmung: Man freut sich, nach Hause zurückgekehrt zu sein. Nach Hause … Mein Gott, wie ich sie alle beneide, die Menschen, die ein richtiges Zuhause haben, diese „echten“ Deutschen, unsere Mitreisenden, die so frei und unbeschwert lachen können und keine Angst haben, keine zu haben brauchen! Keine Angst, die einem die Kehle zuschnürt und einen nicht loslässt, Tage, Wochen, Monate, Jahre.
Mit weit aufgerissenen Augen starre ich wie gebannt zur Tür. Was, wenn sie es sich anders überlegt haben? Wenn sie die Ausreisegenehmigung rückgängig machen, um die wir lange Jahre verzweifelt gekämpft haben, und Schikanen sowie Erniedrigungen über uns haben ergehen lassen? Der Flieger gehört ja immer noch ihnen. Ich kenne die Sowjets zu gut, um noch Vertrauen zu ihnen zu haben.
Verstohlen schaue ich zu meinem Mann hinüber, der zwei Reihen hinter mir mit unseren Töchtern sitzt, und schrecke zusammen: Er, sonst betont ruhig und beherrscht, scheint auch ziemlich nervös und angespannt zu sein. Dann geht endlich die Tür auf. Keiner, der so aussieht, als wolle er jemanden zurückhalten. Ich schnelle von meinem Sitz hoch, packe die kleine Irene an der Hand und zerre sie so heftig zum Ausgang, dass das Kind erschrocken aufschreit. Nun aber schnell weg von hier, hämmert es in meinen Schläfen, weg, möglichst weit, weit weg.
„Ihr Schirm, Madame, Ihr Schirm, Sie haben ihren Regenschirm liegenlassen!“, höre ich die Stewardess mir nachrufen. Doch so eine Lappalie kann mich nicht mehr aufhalten auf meinem Weg in die Freiheit, jetzt nicht mehr. In mein neues Leben möchte ich möglichst wenig von dem mitnehmen, was mich an das Land erinnern könnte, in dem wir oft ärger als stiefmütterlich behandelt wurden.
Ich verlasse fluchtartig das Flugzeug. Mein Mann und die Kinder haben Mühe, mir zu folgen. Da! Die Pass- und Zollkontrolle! Schnell durch … In der Halle muss ich mich erst mal setzen und tief durchatmen. Nun ist es vorbei, alles ist endlich vorbei! Demütigungen, Schmähungen, Drohungen und die Angst sind im anderen Leben geblieben, das ich von nun an vergessen werde, für immer zu vergessen versuchen werde …
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