„Wie krank ist das denn?“, stellte die Staatsanwältin die Frage. Kaspar nickte. „Das war ein geplanter Mord bis ins Detail. Danke Wilfried.“
„Welches Motiv hatte der Täter?“
„Wahnsinn und unglaublicher Hass“, führte Frank aus. Jeder schätzte ihn in seiner gelassenen Art eine Situation auf den Punkt zubringen. Kaspar nickte.
„So schnell findest Du ein Motiv?“, platzte Guido heraus und schaute Frank schief an.
„Kollejen, wie weit seid Ihr mit möglichen Zeugen?“, erkundigte sich Kaspar laut, um die Lage zu entschärfen.
„Wir müssen noch vor Ort“, antwortete Frank und schüttelte leicht den Kopf in Richtung Guido.
„Und ich bespreche mit Justus Tanner die herausgerissene Seite des Heimatbuches“, sagte Kaspar und schloss die blaue Mappe. Wie immer am Anfang eines Falls, herrschte Nervosität und es war Kaspar noch nicht gelungen, dass ein Rädchen ins andere griff.
Sinnierend sagte er „Wat net ös, dat kann noch wäde.“
„Wir treffen uns morgen um 12 Uhr hier. Jeder weiß, was zu tun ist. Die Ergebnisse besprechen wir morgen. Als die Kommissare den Raum verlassen hatten, hielt die Staatsanwältin Kaspar Heimberg noch kurz am Arm.
„Sie müssen ein harmonisches Zusammenwirken Ihrer Abteilung im Auge behalten, Herr Hauptkommissar. Ich könnte Ihnen einen Fachmann für Coaching empfehlen.“ Frau Dr. Blum schaute auf ihre Uhr.
„Wir reden nächste Woche noch mal drüber.“ Kaspar schaute ihr unwirsch auf den Rücken. „Druck von ovve und von unge. Heinrich wat häs Du mir eenjebrok“, murmelte er vor sich her. Sein Kopf brummte und die Gedanken schossen wie eine Achterbahn. Sein Magen knurrte. „Ich muss zom Schorsch in die Wiertschaft, jett esse.“
7:Dienstag, 20 Uhr, Beim „Schorsch“
Kaspar wohnt in Troisdorf-West in der sogenannten „Roten Kolonie“ mit ihren zahlreichen denkmalgeschützten Häusern, die ihren Namen von den roten Dachziegeln erhielt. Sein Vater war einst Facharbeiter der ansässigen Mannstaedt-Werke. Er fuhr nachdenklich mit seinem Fahrrad vom Kommissariat nach Hause. Im fahrradfreundlichen Troisdorf war er damit gut unterwegs. Nach dem Tod seiner Eltern hatte er das Häuschen übernommen. In dem kleinen Flur stand eine Wellington-Kommode, Mahagoni im englischen Stil. Dieses Schmuckstück erwarb er auf einem Flohmarkt. Dorthin hatte ihn Schorsch und Grete mitgeschleppt. Freiwillig wäre Kaspar nie auf einen Flohmarkt gegangen. Der Postberg auf der Kommode stapelte sich. Er schaute nur kurz die Post aus dem Briefkasten durch, brummte „net wischtisch“ vor sich her, legte sie auf den Stapel und ging gleich wieder aus dem Haus. Schorsch, sein Freund, war der Wirt der Eckkneipe „Op de Eck“.
Als Kaspar die schwere alte Holztür der Gaststätte öffnete, schlug ihm der Duft von gebratenem Fleisch entgegen. An einem Vierer-Tisch saßen die üblichen Gäste beim Kartenspiel. Jeder brummte „Tach“. Kaspar grüßte zurück mit einem „Tach zesamme“ und glitt auf den dreibeinigen Barhocker vor der runden Schanktheke aus Massivholz. Mit gesammelten uralten Flaschen, Vasen und Schüsseln bepflanzt mit frischem Grün, war diese Theke ein echter Hingucker.
„Dat es jo och et Häz von der Wiertschaft“, nickte Schorsch und freute sich über das Kompliment seines liebsten Gastes. Die frisch gestrichene lindgrüne Wandfarbe hing noch in der Luft. Die Schiebetür zu dem kleinen Sälchen war geschlossen. Das Plakat „Sonntag ist hier Tatortzeit. Es gibt den Kölner Tatort. Einlass 20 Uhr!“ wurde von Grete neu angebracht. Grete rief ihm freundlich zu: „Tach Kaspar, ich han frisch jekocht.“ Er stützte beide Ellenbogen auf die Theke und seufzte: „Schorsch, dann einmal Gretes Julaschsuppe und een Flasch Wasser!“
„Häste wedder Druck von ovve und unge?“ Kaspar nickte und stöhnte halblaut.
„Tut mir leid mit Heinrich, han et in de Nachrichten jehört, dat is net zu jlöve“, erwähnte Schorsch, während er Kölschgläser spülte.
„Häste schon mit Marlene jesprochen?“ „Marlene?“, runzelte Kaspar die Stirn.
„Jo, dem Heinrich sing ehemalije Lebensjefährtin. Sie hät doch seit e paar Wochen den ‚Troosdorfer Kiosk‘ eröffnet, in der Kölnerstroß.“
„Ävver die hät doch seit ewig ene Kiosk en Beuel“, meinte Kaspar.
Schorsch nickte, „he in Troisdorf is ihr elderlich Huus, un im Erdjechoß is jetzt der Kiosk. Sehr schön und schmuck herjerischtet. Die Marlene is jo wirklich janz patent.“
„Ja, als attraktive Frau han ich die in Erinnerung“, sagte Kaspar nachdenklich.
„Komisch, der Heinrich hätt nie erwähnt, woröm Schluss wor. Als hätt er dat Marlene us singem Levve ausradiert. Ob sie die letzte Joore Hass empfunde hätt?“
Schorsch war ein kluger Wirt, er bedrängte seine Gäste nicht. Und Kaspar würde erst darüber reden, wenn der Fall geklärt war. Ganz in sich gesunken drangen Erinnerungen an Heinrich hoch. Bis der Duft der Gulaschsuppe seine Sinne beherrschte. Das selbst gebackenen Brot von Grete versetzte ihn endgültig für einen Moment in ein kulinarisches Traumland. „Dann lass dir alles juut schmecken, habe mit Liebe jekocht“, munterte sie Kaspar auf.
„Du bist die Beste“, meinte er zu Grete und das Wasser lief ihm im Mund zusammen.
8:In der Wohngemeinschaft
Staunend hörte Tina zu. Sie war nicht auf den Mund gefallen, aber was hier abging verstand sie nicht. Der nervöse Straßenlärm drang jetzt abgeschwächt in die Wohnung. Tina ging zum Fenster und atmete tief ein und aus. Der Himmel war blau. Eingeklemmt schien der Innenhof zwischen Fronten von Hinterhöfen. Nur die windzerzauste Krone des Kastanienbaumes war das einzige Grün. Ihr Blick verlor sich im wilden Geäst.
„Darum müsste sich jemand kümmern“, dachte sie. Sie drehte sich um und sah Lissy mit einem schmerzverzerrten Gesicht. Diese unglaubliche Nachricht musste sie irgendwie verstehen. „Lissy, dass kann alles nicht wahr sein.“ Lissy kniff die Augen zusammen.
„Tina, dass ist wirklich passiert. Denkt mit mir nach, stellt mir Fragen, zwingt mich, den Tatsachen ins Auge zu sehen.“ In Lissys Stimme klangen Tränen. Für einen Moment herrschte im Raum vollkommene Stille. Tina umarmte sie. „Ich bin für dich da.“
„Dann fahre ich fort“, meinte Shukran verlegen.
„Informationen der Polizei: Heinrich von Berg, gestorben in Bergheim unter dem Pfeiler der Brücke am Bergheimer Siegufer, zehn Meter links neben der Gaststätte Siegfähre. Diese Fläche wird auch als Parkplatz benutzt und endet am Ufergebüsch der Sieg. Tina forschte nach: „Wer fand Deinen Vater?“ „und wer rief die Polizei?“, fragte Tina weiter. „Alex, der Wirt fand ihn.“ „Hast Du eine Kopie des Polizeiberichtes?“, wollte Tina wissen.
Lissy schüttelte den Kopf.
„Hm, Schitt“, meinte Tina. „Wusste Alex, warum Dein Vater dort war?“
„Diese Fragen haben bereits die Kollegen gestellt und die Antwort war unbekannt“, erregte sich Lissy.
Shukran wartete einen Moment und stellte die Frage: „Steht es für die Polizei fest, dass es ein geplanter Mord war?“
Lissy saß kerzengerade auf dem Stuhl und starrte ihn an. „Nein, das ist nur ein erster Verdacht.“
„Hatte die Brücke eine besondere Bedeutung für Deinen Vater?“, erfragte Tina. Lissy stützte ihren Kopf aufs Handgelenk. Die Verspannungen krochen den Rücken hoch bis zum Kopf.
„Ich weiß, dass die Brücke während der Bauzeit einstürzte. Vorher war dort ein Schafweideplatz. Vater wurde damals an die Unfallstelle zitiert, um an der Überprüfung der Bodenproben und den Berechnungen teilzunehmen. Das war fast genau an der Stelle, wo er tot gefunden wurde. Ob der Brückeneinsturz damit zu tun hat?“
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