Der leitende Kriminalhauptkommissar Willi Röttgen im Bonner Präsidium informierte umgehend den Kommissar der Tagesbereitschaft Troisdorf, Kaspar Heimberg.
„Kaspar in Deinem Einzugsgebiet, Bergheim, unter der Brücke L 269, Nähe Siegfähre, liegt eine männliche Leiche. Mordkommissions-Bereitschaft mit Spurensicherung und Gerichtsmedizin sind alarmiert, bin mit der Staatsanwältin in 30 Minuten vor Ort. Bringe Deine Jungs mit.“
„Nach telefonischem Kontakt des L/KK Röttgen und den Polizisten vor Ort, sei kein Menschenauflauf am Fundort, nur Angestellte des Restaurants und zwei Hundebesitzer. Die weiträumige Absperrung erfolgt um 8:05 Uhr. Um 8:15 Uhr wird mit der Aufnahme der Personalien der anwesenden Personen begonnen“, stand später im Einsatzprotokoll.
„An der Siegfähre? Eine Leiche? Do wollt ich eijentlich erst zum Ovendesse hin“, murmelte Kriminalhauptkommissar Kaspar Heimberg und zog seine Augenbrauen zusammen. Fast gleichzeitig nahm er seine, in die Jahre gekommene schwarze Lederjacke von der Stuhllehne, fuhr mit seinen gespreizten Fingern durch sein volles, weißes Haar und rief zu Frank und Guido: „Kollejen, schnell, wir haben Arbeit und fahren mit zwei Autos. Mir reicht der Fiesta, die Leich jeht net loove.“
Kaspar gab die Code-Nummer ein und die Tür zum Fuhrpark öffnete sich.
„Geht es dir nicht gut, Kaspar?“, wollte sein Kollege Frank Junk wissen.
„Een Leiche an der Siegfähre und hück Ovendesse zum 70. Jeburtstag vom Heinrich von Berg, do widd wohl nix us däm jemütliche Ovend.
Seine Stimme klang ungewöhnlich nervös.
„Wenn es spät wird heute Abend, regeln wir das schon, genieße Deine Einladung“, meinte der junge Kollege Guido mit einem Augenzwinkern.
Die kleinen hellblauen Augen unter den buschigen Brauen sandten Blitzpfeile. Das faltenreiche Gesicht seines Chefs, Kaspar Heimberg, veränderte sich in eine furchige Mondlandschaft und ein Blick auf den augenrollenden Kollegen, Frank, zeigten ihm blitzschnell: Falsch gedacht.
„Frank, erzähl mal dem Kommissaranwärter Guido, MK ist eine Mordkommission im Teamwork und der Chef kommt erst zur Ruhe, wenn der Mörder gefasst ist und gönnt sich dann einen gemütlichen Abend mit Herrengedeck in der Kneipe beim Schorsch!“ „Und redet fast nur noch Hochdeutsch, denkt aber im Dialekt“, schmunzelte Frank.
„So isset. Also los!“
Frank grinste und warf Guido den Schlüssel für den Audi zu. Den er mit seinen 1,90 m entspannt aufschnappte.
Kaspar fuhr mit seinem Dienstauto voraus Richtung Neubau Einkaufscenter, das frühere Bürgerhaus, rechts auf den Williy-Brandt-Ring. Guido, wie ein neugieriger großer Junge, spürte die innere Spannung auf diesen neuen Fall und wunderte sich, warum Frank so lange schwieg.
„Wie lange bist Du schon mit dem Alten in der Abteilung?“
„Fünf Jahre arbeiten wir zusammen“, erwiderte Frank ohne seine Augen von der Fahrbahn zu lassen.
„Nervt der Dialekt nicht manchmal?“, meinte Guido und schaute Frank schief an.
„Nä“, versicherte Frank mit einem Lächeln, „es gehört zu ihm.“ Frank schüttelte unmerklich den Kopf. Guido wusste noch nicht so recht, wie er Kaspar Heimberg einordnen sollte. „Hey, neben uns fährt der Sommer“, scherzte er und meinte die junge Frau, die mit fröhlichem Gesicht sich des Lebens zu erfreuen schien. Ihr rotes, langes Haar hatte die gleiche Farbe wie ihr Cabriolet.
„Mensch Guido, Am Autobahnkreuz rechts Dreieck Beuel und rechts den Schildern Richtung Koblenz folgen.“
„Erschrecke mich doch nicht“, entfuhr es Guido und atmete durch.
„Dann fahre bei der Ausfahrt Beuel Richtung Niederkassel und konzentriere dich auf die Siegaue.“ Für die Schönheit der weitläufigen Siegaue mit ihrer urwüchsigen Natur hatten jetzt beide keinen Blick.
„Der Chef hat aber ein Tempo drauf, er biegt bereits von der Oberstraße ab.“
„Tja, Du solltest ihn nie unterschätzen“, meinte Frank dazu.
Als Kaspar in die Siegfährenstraße einbog, spürte er, wie tief im Innern seines Körpers eine ihm wohlbekannte Unruhe aufzog. Heinrich von Berg hat ihm die Siegaue ans Herz gelegt. Jeden Meter weiter bis unter der Brücke L 269 war ihm alles so wohl vertraut. Ein großes Aufgebot an Polizeiwagen war vom Dorf aus zu sehen. Das Dorf lag erhöht hinter ihm und vor sich der Beginn der urwüchsigen Siegauenlandschaft. Kaspar fragte sich, ob das Wirklichkeit sei, eine Leiche an der Siegfähre.
„Die Halunke losse sich noch net mol von der wunderbaren Natur ablenke.“
Die Dammwege kreuzten die Siegfährenstraße. Sie parkten vor den Absperrungen, hinter dem Streifenwagen von Gerd Knecht. 08:35 Uhr wurde im Protokoll festgehalten, als die Troisdorfer Tagesbereitschaft vor Ort eintraf.
„Hier ist es“, wies Willi Röttgen hin, der bereits am Tatort eingetroffen war. Kaspar sah ungläubig auf die leblose Gestalt, ein beängstigendes Zittern seiner Lippen ließen keinen Laut heraus. Sein Atem stockte, seine Gesichtshaut glich einem weißen Blatt. Für einen kurzen Moment schwammen seine Augen wie in einem schwarzen Vulkansee. Frank und Guido hatten ihn noch nie so erregt gesehen.
„Kaspar, was ist los“, wollte Frank wissen und zupfte ihn behutsam am Ärmel.
Kaspar war irritiert über die Ungeheuerlichkeit dieses Geschehnisses und fragte sehr leise „Was ist hier passiert?“ Mehr bekam er nicht raus.
„Ich bin Dr. Tim Baltes und der diensthabende Pathologe“, stellte sich ein jugendlich, sympathisch wirkender Mann vor. Seine auffallend hellblauen Augen waren auf Kaspar gerichtet.
„Das ist Heinrich von Berg, sein Personalausweis war in seiner Geldbörse. Er war wohl eine bekannte Persönlichkeit, bekundete der Wirt.“
„Seine Einladung“, hauchte Guido Frank ins Ohr.
„Ich kenne ihn“, brachte Kaspar mühsam heraus.
„War es ein Unfall oder ein Tötungsdelikt?“, stellte Willi Röttgen die Frage mit einem besorgtem Blick auf den Troisdorfer Kollegen Kaspar Heimberg.
„Auf den ersten Blick könnte man von einem Unfall ausgehen, vielleicht ein Herzinfarkt und das Opfer schlägt unglücklich auf einen Stein.“
„Und der zweite Blick?“ Frank wurde ungeduldig. Tim Baltes holt tief Luft.
„Eine Atemlähmung wie bei einer Vergiftung führte wahrscheinlich zum Tod. Getrockneter Schaum ist an seinen Mundwinkeln und ich rieche säuerlich erbrochenen Tabak. Der Wirt gab zu Protokoll, dass er Nichtraucher war.“
Kaspar nickte. Das Handy von Willi Röttgen meldete sich und er ging ein paar Schritte seitwärts bis zur Absperrung. Kaspar trug bereits seine Handschuhe.
„Was ist mit der Kopfwunde, durch einen Sturz entstanden?“, wollte Kaspar wissen.
„Nein, die muss ihm vom Täter zugefügt worden sein, so wie die liegt. Du kennst doch die Hutkrempenregel, oder? Der Schlag war kräftig, aber nicht tödlich. Diente wohl zur Ablenkung.“
Kaspar schaute sich die Wunde am Hinterkopf an.
„Ja, klar kenn‘ ich die Regel. Verletzungen über der gedachten Hutkrempe stammen in den allermeisten Fällen von Schlägen und nicht von Stürzen.“
„Und er wurde gefesselt, ich erkenne Druckstellen wie ein Armband an den Handgelenken“, gab Guido zu bedenken, der mit flinken Augen die Leiche begutachtete.
„Ja, genau“, nickte Baltes zu Guido.
„Wie lange ist Heinrich von Berg tot?“, erkundigte sich Kaspar, der zuvor ein lobendes Nicken Guido zeigte.
„Ungefähr 10-12 Stunden“, antwotete Baltes.
„Tod am späten Abend, vor Mitternacht. Heinrich wat wollste he um die Zigg?“, murmelte Kaspar vor sich her und rieb sich das Kinn. Die Staatsanwältin sah ihn erwartungsvoll an.
„Das wusste man nie so genau bei ihm, wenn ihn ein Thema packte, war er unterwegs“, sagte er zu ihr.
„Herr Heimberg, auf ein Wort“, unterbrach Frau Dr. Blum und ging mit ihm zu Willi Röttgen.
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