Am Ende fiel Maier der Abschied schwer. Denn als er wieder fit war, durfte er nicht spielen. Er war sauer und rief stark angetrunken mitten in der Nacht bei seinem Trainer an, um sich Luft zu machen. Er fühlte sich schlecht behandelt von seinem Coach: „Als Csernai noch Lorants Assistent war, kroch er mir in den Hintern. Ich habe ihm zum Cheftrainerposten mitverholfen, dafür lässt er mich jetzt hängen.“ Csernai reagierte besonnen: „Ich habe doch nicht diesen Unfall gebaut, sondern Sepp! Die lange Zeit, die er wegen seines Unfalls von der Mannschaft getrennt war, hat ihn verändert. Er lebte nur noch in seiner eigenen Welt. Als er zurückkam, machte er nur noch Stunk, das hat ihm die Mannschaft nicht verziehen. Sepp hatte nicht bemerkt, dass mit den anderen in seiner Abwesenheit etwas vor sich gegangen war. Es war plötzlich eine fremde Mannschaft, die er noch dazu durch seinen Unfall in eine schlimme Lage gebracht hatte. Jeder von uns wusste doch, wie der Sepp immer mit dem Auto rast. Der Sepp soll zufrieden sein, dass er noch lebt. Dafür sollte er dankbar sein.“
Diese Erkenntnis setzte sich langsam, aber stetig bei Maier durch. Zum Saisonende war endgültig Schluss: „Fußball, das war meine Welt, meine große Welt! Zuletzt, als ich nur noch auf der Tribüne gesessen bin, als das Flutlicht angegangen ist, habe ich erst gespürt, was mir der Fußball wirklich bedeutet. Jedes Mal lief mir eine Gänsehaut den Rücken runter. Früher, als ich voll dabei war im Spiel, hab ich doch nie mitbekommen, was das für eine Atmosphäre ist!“ Nach 473 Spielen sagte Sepp Maier der Bundesliga vorerst Adieu. Sein Rekord wird als sein Vermächtnis ewig bestehen bleiben. Die diesjährige Rekordablösesumme dürfte hingegen beim nächsten „Deadline Day“ bereits wieder Geschichte sein.
Papa, ich möchte bitte einen anderen Verein! |
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Wie fixe ich mein Kind für meinen Verein an? Darf ich, als Fan eines „Natural Born Loser“-Klubs, überhaupt so egoistisch sein? Ach was, scheiß doch auf den FC Bayern! Das Leben ist doch auch keine Butterfahrt.
Es sind mit die schwersten Momente im Leben eines Vaters. Ein Freund berichtete mir am Mittwoch letzter Woche mit zittriger Stimme, dass sein Sohn ihn gefragt habe, ob es okay wäre, wenn er sich einen neuen Verein suchen würde. Am Abend zuvor war unser gemeinsamer Lieblingsklub, der VfL Bochum, nach einer schlimmen (Nicht-)Leistung in Paderborn aus dem DFB-Pokal ausgeschieden. Nun sehnte sich die unschuldige kindliche Seele ganz offensichtlich nach ein wenig Frieden.
Natürlich schrieb ich dem Kollegen postwendend zurück, dass er seinem Sechsjährigen sagen solle, dass das NICHT okay wäre. Die Liebe zu einem Fußballverein sei schließlich viel tiefer verankert als jedes Eheversprechen – und selbst da heißt es schon: Bis dass der Tod uns scheidet!
Unter Fußballfans gibt es ein unausgesprochenes Gesetz: Hast du jemals dein Herz an einen Klub verloren, so ist es um dich geschehen. Ab diesem Augenblick hast du keine Wahl mehr. Mitgefangen, mitgehangen. In guten wie in schlechten Zeiten. Auf Gedeih und Verderb. Es gibt kein Entrinnen, oder wie es ein Königsblauer mal so treffend formuliert hat: „Schalke ist wie eine schöne Krankheit. Wenn du sie einmal hast, wirst du sie Gott sei Dank nicht mehr los.“ In dieser Aussage steckt so viel tiefere Wahrheit drin, dass man die Sätze ruhig einmal etwas länger auf sich wirken lassen sollte.
Doch wie gelingt es einem Vater, seinen Nachwuchs auf die rechte Bahn zu bringen? Oder anders ausgedrückt: Wie fixt ein Vater seine Kinder an, ausgerechnet ihr Herz an „Natural Born Losers“ wie den VfL Bochum, die Offenbacher Kickers oder den Karlsruher SC zu verlieren? Wenn du selbst in jungen Jahren nicht zufällig mit einem Gewinner-Verein von deinem Papa (oder deiner Mama oder anderen Familienmitgliedern) infiziert worden bist, dann hast du nun das schwere Los erwischt, das scheinbar Unmögliche wahr werden zu lassen.
Ich hatte schon immer großen Respekt vor dieser Herausforderung – lange Jahre bevor ich überhaupt Kinder bekommen habe. Denn ich werde nie die Worte des Vorsitzenden unseres ältesten Fanklubs, der „Bochumer Jungen“, vergessen, der damals für meinen Film „Wer braucht schon ein Sektfrühstück bei Real Madrid?“ stotternd und mit belegter Stimme erklärte: „Ich weiß noch, als mein Junge, der jetzt auch im Fanklub ist und ’ne Dauerkarte hat, tatsächlich mal eine Zeit lang – allerdings auch bedingt durch seine Fußballmannschaft, wo er gespielt hat – in der großen Ära von Borussia Dortmund – als sie die Champions League gewonnen haben und alles nur noch in Schwarz-Gelb herumlief –, als er da plötzlich auch so, ja, in Schwarz-Gelb herumgelaufen ist. Da habe ich nur gedacht, ich werde bekloppt – das war ja unglaublich!“
Natürlich gibt es da draußen immer noch Unwissende, die fragen, was denn so schlimm daran wäre, wenn die eigenen Kinder einen anderen Verein mögen würden als man selbst. Das sind in der Regel aber auch Leute, die sich für ihre 0,33-Liter-Flasche Bier einen Silikon-Kronkorken kaufen, weil sie das Getränk nicht auf einmal austrinken und es sich anschließend gut verschlossen und „vor Insekten geschützt“ (so die Werbung) in den Kühlschrank stellen. Mit rationalem Fußball-Irrsinn braucht man denen also gar nicht erst zu kommen.
Kein Vater sollte sich schlecht dabei fühlen, wenn er das eigene Kind sehenden Auges ins vermeintliche Unglück führt, weil er es für einen Klub begeistert, der viel häufiger verliert, als dass er siegt. Oder wie es einmal ein Anhänger so drastisch korrekt formulierte: „VfL-Fan zu sein, ist, wie wenn dich jedes Wochenende deine Frau verlässt.“
Denn umgekehrt wird auch ein Schuh draus: Aus pädagogischer Sicht kann es durchaus sinnvoll sein, sein Kind nicht einem Gewinner-Verein in den Rachen zu werfen. Das Leben ist schließlich keine Butterfahrt. Die nächste Niederlage wartet zumeist direkt hinter der nächsten Ecke. Wer das früh genug lernt, den schmeißt nichts mehr so leicht aus der Bahn.
Also, liebe Väter da draußen, die nicht die Daumen für einen der Big Player drücken: Lasst euch nicht unterkriegen. Die „Natural Born Loser“-Klubs brauchen uns – und wir sie! Und wenn ihr einmal an euch selbst zweifeln solltet, denkt an die großen Worte des Radiokommentators und VfL-Fans Günther Pohl. Der hat uns allen einmal so wundervoll pointiert ins Stammbuch geschrieben: „Das Besondere ist, einen Verein zu haben, der manchmal gewinnt. Weil man die Erfolge viel intensiver genießt und auskostet als bei einem Verein, der jede Woche gewinnt. Wenn man 3:0 gegen Dortmund siegt, muss man den Abend rausgehen und bis morgens die Nacht durchfeiern, weil man nie weiß, ob es das letzte Mal ist. Auch ’nen Abstieg muss man den Tag feiern, weil an dem Tag ist man ja noch Bundesligist, an dem Tag ist man ja noch dabei gewesen. Man weiß ja auch nicht, ob das noch einmal wiederkommt. Deshalb ist jedes Erfolgserlebnis des VfL ein Grund zum Feiern!“ Und am schönsten ist es, wenn man an diesen ganz besonderen Tagen seine Liebsten um sich weiß.
Wenn es Größeres gibt als den WM-Titel |
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Die offenen Worte von Fußballprofi Timm Klose über seine Alkoholsucht sorgten für Schlagzeilen. Das Thema bleibt ein Tabu, obwohl jeder fünfte Profi mit Süchten kämpft. Auch Ex-Nationalspieler Uli Borowka trank. Heute hilft er anderen.
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