Ein unbändiger Ehrgeiz stachelte Klimaschefski an, wie Homburgs damaliger Spieler Harald Diener einmal der Presse verriet: „Wenn unser Trainer mit seiner Mannschaft im Rückstand liegt, dauert ein Spiel oft drei Stunden. Wenn man dann heimkommt, sind die Filets so hart, dass man sie nicht mehr essen kann.“ Niederlagen nahm der Bremerhavener persönlich. Nach einer verlorenen Partie bei einem Hallenturnier raunzte er seine Spieler an: „Jetzt zieht euch warm an. Ich reiße euch den Arsch auf. Bis zur Naht!“
So manches Mal saß er nach einer Niederlage im Presseraum, schaute kurz die Journalisten an und eilte dann hinfort: „Weitere Fragen kann ich nicht beantworten. Ich muss jetzt zu meinen Spielern. Die sind so blind, dass sie den Weg von der Kabine zum Bus nicht finden.“
Als ein Pressevertreter einmal wissen wollte, wann der Trainer denn die nächsten Spieler verkaufen würde, antwortete Klimaschefski: „Wenn die Schrottpreise wieder steigen!“ Mit seinen Profis ging er gerne verbal hart ins Gericht: „Unsere Spieler können 50-Meter-Pässe spielen: fünf Meter weit und 45 Meter hoch.“
Berühmt-berüchtigt waren auch des Trainers Scherze mit neuen Spielern. Bei einer Übungseinheit besorgte Klimaschefski eine Platzwalze und gab das Kommando aus: „So, Jungs, wir machen heute einen Härtetest. Jeder zieht die Walze 400 Meter. Dabei fahren wir die Löcher zu, die die Leichtathleten mit ihren Schuhen aufgerissen haben. Der Neue da fängt an.“ Auf den ersten 100 Metern rollte die Walze gut an. Der Ehrgeiz, sich nicht zu blamieren, zog kräftig mit. Nach 200 Metern wurde der Neuling so klein, dass er die grinsenden Spieler auf der anderen Seite nicht mehr sehen konnte. Ins Ziel kam er beinahe auf allen vieren. „Gut gemacht“, lobte ihn der Trainer, „aber ich habe gesehen, dass die Übung doch wohl etwas zu schwer ist und außerdem zu gefährlich. Die Walze hätte dich ja beinahe überrollt. Wir brechen ab!“
Einen spanischen Testspieler ließ Uwe Klimaschefski einmal in voller Fußballkluft unter der Dusche mit dem Ball jonglieren: „Lass mal sehen, wie du bei Regen spielst!“ Und als Dieter Müller aus der Schweiz in die Bundesliga zum 1. FC Saarbrücken zurückkehrte, sah Klimaschefski noch viel Arbeit auf seinen Stürmer zukommen: „Von seinem Grasshopper-Trip hat er eine Menge Schweizer Speck mitgebracht.“
Spieler lehnten sich gegen den Trainer eher selten auf. Doch in seiner Zeit beim FC Homburg gab es dafür einen anderen harten Brocken. Ein Unerschrockener mit dem Spitznamen „Underberg“ leistete dem Trainer von Zeit zu Zeit Widerstand. Es war der Platzwart des FC. An einem Rosenmontag befahl Klimaschefski seinen Spielern, den Mann am Pfosten mit Springseilen festzubinden. Anschließend machte die Mannschaft Torschusstraining. Der ganze schaurige Spuk endete nach knapp fünfzehn Minuten. Die Frau des Platzwarts kam mit einem Brotmesser aus der Vereinsgaststätte gestürmt und schnitt ihren Mann vom Pfosten los.
Doch schon bald sollte „Underberg“ wieder für Ärger sorgen. In einem DFB-Pokal-Viertelfinale gegen den HSV lagen die Hamburger 2:1 in Homburg in Führung – doch dann gab es einen Elfmeter für den FC. Den Ball parierte HSV-Torwart Rudi Kargus nur knapp. Homburg schied aus, und Klimaschefski war sauer. Am nächsten Morgen wandelte er schon früh durch das leere Waldstadion. Auf dem Rasen blieb er am Elfmeterpunkt stehen. Klimaschefski schaute sich die Entfernung vom Punkt zum Tor mehrmals aus allen möglichen Perspektiven an. Dann stand für ihn fest: Hier stimmt etwas nicht! Er holte sich einen Zollstock und maß nach: 2, 4, 6, 8, 10, 12 …! Etwas mehr als zwölf Meter war der Elfmeterpunkt von der Torlinie entfernt. Sofort zitierte er den Platzwart herbei. Doch „Underberg“ war sich keiner Schuld bewusst. Schulterzuckend meinte er nur: „Wenn der den Ball von zwölf Metern nicht reinkriegt, dann hätte er den von elf auch nicht reinbekommen.“ Über ein Vierteljahr hat Klimaschefski anschließend kein Wort mit dem guten Mann geredet.
Dabei hätten sich die beiden eigentlich ganz gut verstehen müssen – schließlich trank Klimaschefski selbst gerne einen mit. Denn wie sagte er einmal nach einer unglücklichen 1:2-Niederlage seiner Saarbrücker bei Bayer Uerdingen auf der anschließenden Pressekonferenz so schön: „Bitte einen achtfachen Cognac!“
Wie Maier die Luft aus dem Schwachsinn ließ |
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Bald wird er wieder zelebriert, der „Deadline Day“. Zeit, diesem aufgeblasenen Massenbelustigungs-Schwachsinn am Ende der Transferfrist etwas entgegenzusetzen. Zum Beispiel Sepp Maier und einen echt wahnsinnigen Anti-Transferrekord.
Der „Deadline Day“. Am 31.08. ist es so weit. Unglaubliche Spannung, riesige Summen – aufgeblasener Schwachsinn. Es wird Zeit, diesem grotesken Massenbelustigungs-Spektakel etwas entgegenzusetzen. Zum Beispiel einen echten, wahnsinnigen Rekord.
Vor 49 Jahren, am 20. August 1966, startete ein gewisser Josef Dieter, besser bekannt unter seinem Rufnamen „Sepp“, Maier eine unglaubliche Serie. 442 Bundesliga-Partien stand der Torwart des FC Bayern München ununterbrochen im Kasten des Rekordmeisters. Das sind 13 komplette Spielzeiten am Stück für ein und denselben Verein. Kein „Deadline Day“ dieser Welt kann eine spektakulärere Geschichte schreiben als diese.
Und es hätte ewig so weitergehen können, denn Sepp Maier hatte einen festen Plan: „Erst wenn ich Moos auf den Knien habe und die Kameraden mich beim Einlaufen stützen müssen, dann höre ich auf.“ Doch der 14. Juli 1979 veränderte alles. An diesem Tage geriet das Auto des Bayern-Torhüters ins Schleudern und krachte auf regennasser Straße in ein entgegenkommendes Fahrzeug. Es waren die Sekunden, in denen eine große Karriere zu Ende ging. Knapp 24 Stunden nach seinem verheerenden Autounfall fragte die Presse bereits, ob die „Bayern nun einen neuen Torwart holen“ müssten. So ist das Geschäft. Ohne Sentimentalität und ohne ein Gedächtnis. Das musste auch der Weltmeister Maier in diesen Tagen schmerzhaft erfahren. 13 lange Jahre hatte er kein einziges Spiel verpasst und nun das. Katsche Schwarzenbeck gab die einzig richtige Antwort in diesem Moment: „Mich interessiert jetzt wirklich nicht, wer nun bei uns im Tor steht oder ob wir einen anderen Keeper kaufen müssen. Am wichtigsten ist, dass der Sepp schnell wieder gesund wird!“
Und diese Gesundheit hing tatsächlich am seidenen Faden. Am Ende war es Uli Hoeneß, der Sepp Maier das Leben rettete. Als er den Torwart im Krankenhaus besuchte, war Maier nicht der Maier, den der Bayern-Manager kannte. Hoeneß war betroffen. „Sepp, da stimmt doch was nicht. Du brauchst sofort einen Spezialisten“, rief der Ex-Mannschaftskamerad und rannte augenblicklich aus dem Zimmer. Auf Hoeneß’ Drängen wurde Maier in ein anderes Krankenhaus verlegt. Das beherzte Einschreiten seines Freundes rettete dem Torhüter damals das Leben.
Die heute undenkbare Folge von 442 Partien am Stück konnte Maier nur erreichen, weil er auch mit kleineren Blessuren weiterspielte. Nach einem Tritt mit der Stiefelspitze eines gegnerischen Stürmers in die Rippen erzählte der Bayern-Tormann statt zu klagen lieber etwas Humorvolles: „Kennt ihr den Witz vom Neger [dieses Wort galt damals noch nicht als anstößig, Anm. d. Autors], der beim Krieg zweier Stämme einen Speer in die Brust bekommt? Ein anderer fragt den Verletzten: ,Tut’s weh?‘ Er antwortet: ,Nur beim Lachen.‘ Und so ähnlich geht’s mir auch.“
Maier sagte einmal: „Verletzen kann man mich schon, aber ich habe ein gutes Ersatzteillager.“ Er begründete seine Robustheit damit, dass er einer vom Lande sei, der von klein auf mit „Körnern gefüttert“ wurde. Die körperliche Unempfindlichkeit habe jedenfalls nicht an einem speziellen Fitnesstraining gelegen – denn das gab es erst gar nicht: „Bei uns früher sind die Eisen im Keller verrostet.“ Und verletzte er sich doch einmal, so konnte er auch auf seine Fans zählen. Der Rentner Kurt Preisenberger, der damals die Fanpost des FC Bayern betreute, erinnert sich: „Als einmal bei einem Spiel dem Sepp Maier drei Zähne eingeschlagen wurden, kam am nächsten Tag ein Eilpäckchen mit drei Ersatzzähnen.“ Maiers ultimativer Trick: Er stand auch im Winter barfuß in seinen Schuhen. „So habe ich mehr Gefühl für den Boden“, schmunzelte der Bayern-Keeper.
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