Eine solche Diskussion um die Kritik an einem methodologischen Nationalismus prägte umfassend die sozialwissenschaftliche Diskussion der letzten beiden Jahrzehnte. So unterscheiden beispielsweise die Migrationsforscher Andreas Wimmer und Nina Glick Schiller (Wimmer/Glick Schiller 2002: 302–308) drei Modi des methodologischen Nationalismus: Der erste Modus ist bereits durch die von Beck erwähnten Klassiker der Soziologie benannt. Er zeichnet sich dadurch aus, dass Nation zwar eine implizite Zentralität für die entwickelten Konzepte des Sozialen hat (»die Gesellschaft des Nationalstaats«), dies gleichzeitig aber nicht reflektiert wird und so ein »blinder Fleck« der eigenen Betrachtung entsteht. Der zweite Modus ist der der »Naturalisierung des Nationalstaats«. Bei diesem wird der Nationalstaat nicht weiter problematisiert und zum Bezugspunkt jeglicher Forschung gemacht. Ein dritter Modus des methodologischen Nationalismus ist der des generellen »Fokus auf die Grenzen des Nationalstaats«. Bei sozialwissenschaftlichen Analysen geht es dann um die Beschreibung von nationalstaatlichen Prozessen »innerhalb« von Nationalstaaten in Abgrenzung zu Phänomenen »außerhalb«. Folgt man Wimmer und Glick Schiller, gehen diese drei Modi im Diskurs des methodologischen Nationalismus ineinander über und kennzeichnen ihn so insgesamt.
Im Diskursfeld um transkulturelle Kommunikation als methodologische Reflexion finden sich vielfache Bezüge auf die Kritik des methodologischen Nationalismus. Dass dabei allerdings nicht von Transnationalismus sondern von Transkulturalismus gesprochen wird, verweist darauf, dass das Konzept des Nationalen selbst aus kulturanalytischer Perspektive problematisiert wird. Ein wichtiger Bezugsautor ist hierbei der Kulturgeograf und Kommunikationswissenschaftler Kevin Robins. Dieser hat seine Überlegungen zu Transkulturalität und transkultureller Kommunikation im Rahmen seiner empirischen Forschung zu Medien und Migration entwickelt. Dabei weist Robins darauf hin, dass ein Transnationalismus, der Diasporas mit den identischen Konzepten beschreibt wie Nationen bzw. Nationalstaaten, dieser Sozialform nicht hinreichend gerecht wird (vgl. Robins 2003).
Der von Kevin Robins umrissene Zugang postuliert jedoch nicht das Ende des Nationalstaats. Vielmehr geht es ihm darum, das Wechselverhältnis von nationalen und transnationalen Dynamiken in einem weitergehenden transkulturellen Rahmen[33] zu fassen. An dieser Stelle führt er den Begriff der »transkulturellen Vielfalt« (Robins 2006a: 31; siehe auch Robins 2006b: 276) ein, um die Kritik des methodologischen Nationalismus um eine Kritik an Vorstellungen von Kultur als homogener Nationalkultur (im Sinne der eingangs erwähnten territorialen Kulturvorstellung) zu erweitern. Er weist darauf hin, dass gerade Debatten um Vielfalt in Europa letztlich im nationalen Rahmen erfolgen, indem Kultur mit Nationalkultur gleichgesetzt wird und Vielfalt in Europa entsprechend die Vielfalt unterschiedlicher Nationalkulturen bedeutet. Problematisch dabei ist jedoch nicht nur die Nationalisierung von Kultur, sondern darüber hinaus der damit verbundene Kulturbegriff als solcher:
»Letzten Endes ist die Konzeption von Kultur problematisch, wie sie in einer solchen Agenda mobilisiert wird, in der sich der scheinbar neutrale Ausdruck ›Kultur‹ tatsächlich als Kultur in einer nationalen Vorstellung herausstellt. Folglich wird eine Kultur als eine einheitliche und umgrenzte Entität angesehen, als der Besitz einer bestimmten ethnischen oder nationalen Gruppe, als unterschiedlich von den Kulturen anderer Gruppen und als über die Zeit hinweg festgelegt und konstant.« (Robins 2006a: 31)
Betrachtet man jedoch Europa mit seinen vielfältigen Kommunikationsbeziehungen genauer, ist es – wie andere Regionen der Welt – sowohl historisch als auch gegenwärtig durch umfassende transkulturelle (Kommunikations-)Prozesse gekennzeichnet, die es vergleichend in einem komplexeren methodischen Rahmen zu analysieren gilt. Für die Gegenwart lässt sich auf die vielfältigen (Trans-)Migrantinnen und Migranten verweisen, die jenseits der »umgrenzten« Vielfalt nationaler Kulturen in Europa transkulturelle Kommunikation eröffnen. Ein transkultureller Blickwinkel bricht also methodologisch insofern mit Fragen des Nationalen und Transnationalen, als er die Möglichkeit der Verfasstheit von Kultur jenseits von Nationalität untersucht: »Transkulturalismus […] war ursprünglich vor-national und entsprechend vor-transnational« (Robins 2006a: 31).
In diesem Sinne können wir die mit dem Ansatz der transkulturellen Kommunikation verbundene methodologische Reflexion als Zuspitzung der Kritik des empirischen Nationalismus verstehen: Es geht nicht nur darum, die unhinterfragte Anwendung national-territorialer Konstruktionen von Gesellschaft auf jegliche soziale Phänomene zu problematisieren. Diese Kritik des methodologischen Nationalismus wird gesteigert, indem sein impliziter Kulturbegriff in Frage gestellt wird, um die Möglichkeit überhaupt (wieder) zu eröffnen, Kultur jenseits implizit nationaler Konzeptionalisierungen empirisch zu erforschen.
Für einen solchen Zugang stehen neben Kevin Robins auch andere Kommunikations- und Medienwissenschaftlerinnen bzw. -wissenschaftler. Neben den bereits Genannten wie beispielsweise James Lull oder Marwan Kraidy lässt sich auf Ulrike Hanna Meinhof und Anna Triandafyllidou (2006) verweisen. Diese argumentieren,[34] dass traditionelle Ansätze der Beschreibung von Kulturpolitik, die beim Nationalstaat ansetzen, nicht hinreichend sind, um aktuelle Kulturpolitiken in Europa zu erfassen. Notwendig sei vielmehr ein methodisches Ansetzen aus einer »urbanen und metropolen Perspektive« (Meinhof/Triandafyllidou 2006: 6). Ein solcher Zugang zu einem »transkulturellen Europa« eröffnet eine Möglichkeit der Analyse bestehender kultureller Prozesse, die weder auf die Perspektive einer europäischen Kultur im Sinne des kleinsten gemeinsamen Nenners aller Nationalkulturen verkürzt noch auf die Perspektive von Europa als Ansammlung von Nationalkulturen. Joseph Chan und Eric Ma (2002) schlagen einen transkulturellen Ansatz der Medienforschung vor, der einfache Dichotomien wie Mikro vs. Makro oder (in Bezug auf Asien) Staat/Partei vs. Markt/Leute überwindet und komplexere Modelle der (vergleichenden) Medienkulturanalyse entwickelt. Paula Chakravartty und Yuezhi Zhao (2008) fordern eine transkulturelle politische Ökonomie der Medien ein, die jenseits der einfachen Dichotomien (nationalkultureller) politischer Systeme und einem darüber gelagerten supranationalen System operiert, um die globale Verbreitung eines Medienkapitalismus angemessen beschreiben zu können.
Im Kern verweisen solche Argumentationen darauf, in einer komparativen Medienund Kommunikationsforschung einfache Vergleichsmodelle zugunsten komplexerer Ansätze zu überwinden (vgl. zum Folgenden ausführlich Couldry/Hepp 2012; Hepp/Couldry 2009). Methodologisch steht die Zugangsweise der transkulturellen Kommunikation dann für eine bestimmte Vergleichssemantik.
Die internationale und interkulturelle Vergleichssemantik ist dadurch gekennzeichnet, dass der (National-)Staat als ein territorialer Container begriffen wird und als einziger Referenzpunkt von Vergleich fungiert. Konkret heißt dies, dass Mediensysteme, Medienmärkte und Medienkulturen unhintergfragt in Bezug auf (National-) Staaten konstruiert werden und der Staat so von vornherein als Bezugsrahmen einer Auseinandersetzung mit Prozessen der grenzüberschreitenden und grenzziehenden Kommunikation genommen wird. Man kann von einer in ihrer Grundstruktur binären Vergleichssemantik sprechen, weil sie zumindest zwei (National-)Staaten komparativ gegenüberstellt. Dabei kann diese Semantik des Vergleichs auch mit einer größeren Zahl von Staaten weiter gedacht werden. Vor dem Hintergrund der bisherigen Argumentation sollte deutlich geworden sein, dass eine solche Form des Vergleichs auf nicht unerhebliche Probleme stößt. Diese können vor allem an drei Punkten festgemacht werden:
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