• Kaspar 1975: Die Fremdenverkehrslehre im Grundriss: Wesentlicher Beitrag zur Modellbildung im Tourismus auf der Basis der Systemtheorie, Entwicklung der Grundlagen für eine systemorientierte Betrachtung des Phänomens Tourismus.
• Krippendorf 1986: Alpsegen – Alptraum: für eine Tourismus-Entwicklung im Einklang mit Mensch und Natur: Wesentlicher Beitrag im Sinne eines explorativen bis präskriptiven Ansatzes, Aufzeigen der Entwicklung im Tourismus unter Nutzung systemorientierter Modelle mit Warncharakter |20◄ ►21| und Ansätzen für eine neue Tourismusentwicklung. Zudem werden die Tourismussysteme dynamisiert.
• Müller 1997: Freizeit und Tourismus – Einführung in Theorie und Politik: Wesentlicher aktualisierter Beitrag unter Einbezug des Phänomens Freizeit.
Abbildung 1: Differenzierung des vorliegenden Buches – Entwicklung der Tourismusforschung
Das hier vorgelegte Buch folgt diesen Entwicklungslinien. Im Sinne der St. Galler Tradition soll auf systemischen Grundlagen ein Fach- und Lehrbuch für Praxis und Unterricht geboten werden. Mit einer überblickbaren Zahl von Konzepten, Modellen und Strukturen soll eine Grundlage für die wissenschaftliche Analyse und Interpretation der Erscheinungen der Praxis geschaffen werden. Gleichzeitig legt es jedoch Wert auf den Einbezug moderner theoretischer Grundlagen.
In diesem Sinne versucht es, an die Tourismuslehre im Grundriss von Prof. Dr. h.c. C. Kaspar, die im Zeitraum von 1975 und 1996 in fünf Auflagen erschienen ist, anzuknüpfen. Es unterscheidet sich von seinem „Vorgängerwerk“ durch
• den Fokus auf die immer wichtigeren Veränderungs- und Transformationsprozesse,
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• die in der Folge theoretische Orientierung an der Systemlehre der „dritten Generation“ mit dem Konzept der selbstreferentiellen Systeme, die sich in ihrer Struktur ständig verändern,
• die Betonung des wissenschaftlichen Arbeitens im Tourismus.
Die entsprechende Positionierung des Buches ist auf dem Hintergrund der Entwicklung der Systemtheorie (vgl. Abschnitt 3.5) zu sehen. Es will in diesem Sinne die Grundlagen für ein neues konzeptionelles Verständnis für die Tourismusforschung und Tourismuspraxis legen und eine neue, aktualisierte modelltheoretische Grundlage für den Tourismus schaffen.
1.2. Aufbau des Buches
Dieses Buch legt großen Wert auf die Modellbildung und deren forschungsbasierte Überprüfung. In dieser Einführung wird deshalb bereits auch eine vereinfachte Übersicht zur Methodik in der anwendungsorientierten Forschungsarbeit gegeben. Danach soll in Kapitel 2 das Phänomen Tourismus sauber definiert und in seinem Wirkungsrahmen in Praxis und Theorie abgegrenzt werden. Kapitel 3 legt die Modellgrundlage in Form eines „selbstreferentiellen“ Tourismussystems dar. Die nachfolgenden Kapitel behandeln die einzelnen Subsysteme mit ihren Wechselwirkungen.
Kapitel 8 aggregiert die Erkenntnisse der Analyse der einzelnen Subsysteme, indem die Wechselwirkungen des System Tourismus als ganzes zu seinen Umwelten beschrieben werden. In Kapitel 9 werden auf dieser Grundlage Erkenntnisse zur Entwicklung des Tourismus und zu deren Steuerung mit den Instrumenten der Tourismuspolitik aufgezeigt.
Im Sinne eines forschungsorientierten Buches werden in jedem Kapitel in Form eines Kurzfalles konkrete, anwendungsorientierte Forschungsprojekte dargestellt. Diese sollen die Praxis zu Anwendung wissenschaftlicher Methoden animieren und relevante Resultate aufzeigen. Für den Unterricht und die Theorie sollen sie Beispiele für den Aufbau eigener Projekte, beispielsweise auch für Seminar- und Diplomarbeiten sein.
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Abbildung 2: Aufbau des Buches
1.3. Wissenschaftliche Methoden der Tourismusforschung und des Tourismusmanagements
Die Tourismuspraxis ist in den traditionellen Tourismusländern Europas durch eine außerordentliche Kleinstrukturiertheit geprägt. Entsprechend fehlten die notwendigen konzentrierten Mittel für die Entwicklung von modernen Managementkonzepten, die Durchführung von professionellen Forschungsarbeiten beispielsweise zu Fragestellungen des Konsumentenverhaltens oder auch für die Anstellung wissenschaftlich ausgebildeter Manager (zu den typischen KMU-Spezifika vgl. u.a. Pleitner 1991 oder im Tourismus Weiermair/ Wöhler 1998, aktuell auch Fueglistaller 2008). Wie in vielen ähnlichen Branchen (vgl. Landwirtschaft oder vor ca. einer Generation der Finanzbereich) entwickelte sich deshalb eine gewisse Skepsis der Praxis gegenüber wissenschaftlicher Vorgehensweise und Arbeitsweise. Oft wurde sogar bewusst in der politischen Diskussion eine Kluft zwischen Theorie und Praxis postuliert (vgl. auch Bieger 2000b).
Eine ganz andere Entwicklung nahm die Zusammenarbeit zwischen Forschung und Praxis z.B. in Nordamerika. Die schwächere Bindung zum Standort|23◄ ►24| und zum Wohnort und entsprechend die geringere Bereitschaft der Unternehmer, an wenig einträglichen Tourismusanlagen festzuhalten, erleichterte die Konsolidierung einer fragmentierten Branche. So wurden in den 90er Jahren beispielsweise eine große Zahl von Skigebieten von den Gründern aufgrund der lukrativen Angebote der damals auftauchenden Skigebietskonzerne, wie der American Skiing Company oder Intrawest, verkauft. Oft wurden auch die Tourismusanlagen erst später und damit bereits von großen Konzernen entwickelt. Weniger geeignete Standorte werden oft schlicht aufgegeben. Dies führt zu einer fortschreitenden Professionalisierung und größeren Unternehmensstrukturen. Dies wiederum erlaubt grössere Investitionen in Konzepte, in Forschung und Management. Die große Zahl von Universitäten und Colleges, die im Tourismus aktiv sind, sind ebenfalls Zeichen dieser Entwicklung. Wissenschaftliches Arbeiten ist nicht Selbstzweck. Wissenschaftliches Arbeiten ist eine Arbeitsweise, die sich auszeichnet durch (vgl. u.a. auch Booth/Colomb /Williams 1995; Theisen 1998, Yin 1999):
• Objektivität (oder mindestens den Versuch dazu resp. die Offenlegung der eigenen Perspektiven) und entsprechend das Bestreben, eine Frage aus verschiedenen Gesichtspunkten zu analysieren und zu würdigen.
• Intersubjektive Nachvollziehbarkeit, d.h. die Möglichkeit, dass gewonnene Resultate nachträglich in ihrer Herleitung und Gültigkeit überprüft werden können. Der Einsatz anerkannter Methoden erleichtert die Sicherstellung der Nachvollziehbarkeit.
• Einsatz von anerkannten Methoden – dabei handelt es sich um anerkannte und dokumentierte Vorgehensweisen für die Gewinnung wissenschaftlicher Resultate, die aufgrund ihrer Standardisierung und Verbreitung die Nachvollziehbarkeit und die Objektivität oder mindestens nachvollziehbare Perspektivität der Resultate sicherstellen.
Diese Anforderungen müssen auch an einen Managemententscheid gestellt werden können. Ohne die Erfüllung dieser Anforderungen ist das Risiko für einen Investor zu groß, dass ein Management seine Entscheide zu einseitig zu seinen eigenen Gunsten oder mangels besseren Wissens resp. Wollens suboptimal fällt (zur Moral Hazard Problematik, vgl. bspw. Milgrom/Roberts 1992). Die Gefahr, dass Managemententscheide unwissenschaftlich, quasi aus dem Bauch heraus gefällt werden, ist besonders im Falle der Einheit zwischen Manager und Eigentümer groß, da in diesem Falle eine externe Kontrolle entfällt. Dies ist bei einem 100%-Eigentum allenfalls volkswirtschaftlich problematisch, da damit produktives Kapital gefährdet wird. Im Falle einer hohen Kreditfinanzierung wird durch eine solche Konstellation auch fremdes Geld gefährdet. Die Bereitschaft, Kredite an KMUs im Tourismus zu erteilen, ist |24◄ ►25| deshalb teilweise reduziert. Insgesamt entstehen große Kosten für das Aushandeln und Überwachen von Krediten (vgl. auch zum Transaktionskostenansatz Williamson 1979; Williamson/Masten 1995, zur Finanzierung im Tourismus generell Bernet/Bieger 1999). Ein wissenschaftlicheres Management ist deshalb auch im KMU-Tourismus der europäischen Kernländer angezeigt.
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