( http://www.bild.de/politik/2010/interview/was-ist-fuer-sie-ein-held-12549608.bild.html, Zugriff am 03. 01.2014)
Die von zu Guttenberg geforderte Rationalisierung des Heldenbegriffs hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel gerade nicht vorgenommen, als sie die ersten ‚Ehrenkreuze der Bundeswehr für Tapferkeit‘ im Sommer 2009 verlieh. Den Begriff des ‚Helden‘ sparte sie in ihrer Ansprache nämlich aus. „Die Soldaten bekamen die Tapferkeitsmedaille ausgehändigt, weil sie sich unter Lebensgefahr um verletzte Kameraden gekümmert hatten. Ihr Handeln entsprach damit dem, was auch im zivilen Kontext preiswürdig war: dem selbstlosen Einsatz für andere“ (Frevert 2011: 804). Bei der militärischen Verwendung des Heldenbegriffs tun wir uns also alles andere als leicht.
Dies aber hängt mit der Geschichte des Begriffs zusammen, die hier in aller Kürze vorgestellt werden soll. Denn ‚Held‘ ist zunächst einmal kein Terminus aus Gesellschaft und Politik, sondern ein Begriff aus der mittelalterlichen Literatur. Der Ausdruck ist in der Geschichte der deutschen Sprache erstmals in der frühmittelalterlichen Dichtung belegt, im altsächsischen Heliand (um 830) und im althochdeutschen Hildebrandslied (um 840), jeweils gebunden in Stabreimformeln: heliđos in hallu (‚die Helden in der (Fest)-Halle‘), heliđos ubar hringa (‚die Helden über die Ringe‘, also über ihre Kettenhemden). Wir haben es demnach mit einem Begriff der Dichtersprache zu tun, mit dem Krieger in Rüstung beim Kampf oder bei der anschließenden Feier in der Festhalle beschrieben werden. Mit diesen Belegen aus dem 9. Jahrhundert ist der Begriff ein Element der germanischen Heldendichtung und in ähnlichen Formeln in der altenglischen oder altnordischen Stabreimdichtung vertreten. Im 12. Jahrhundert scheint sich das Wortfeld für den Krieger in der Epik zu erweitern: Neben helt treten recke, wîgant oder degen als Bezeichnungen für den Krieger. Auffallend ist dabei, dass der Ausdruck ‚Held‘ in die moderne höfische Literatur um 1200, Romane auf der Grundlage keltischer oder antiker Stoffe, nicht übernommen wird. Im Parzival, im Iwein oder im Lancelot sind ‚Ritter‘ (rîter) die Protagonisten der Erzählung. Offensichtlich versucht man sich mit dem auch im Alltag und in der Rechtssprache üblichen Ausdruck ‚Ritter‘ von den älteren ‚Helden‘, diesen Kriegern aus der heroischen Vorzeit, abzusetzen. Ab dem 17. Jahrhundert findet der Begriff ‚Held‘ schließlich als „wertfreier Terminus für die literarische Hauptfigur“ Verwendung (Fuchs 1997: 12). Freilich ist diese neutrale Bezeichnung für den Protagonisten nur die eine Seite der geschichtlichen Entwicklung. Denn daneben behauptet sich seit dem 19. Jahrhundert erneut jene Vorstellung des alle Dimensionen sprengenden Einzelkämpfers, die schon der klassischen höfischen Dichtung um 1200 nicht mehr als zeitgemäß erschienen war.
Dieses erneute Anknüpfen an die überholte Bedeutung eines Kriegers aus der Vorzeit hängt unmittelbar mit der Situation im ehemaligen Kaiserreich Anfang des 19. Jahrhunderts zusammen. Um dem politisch und kulturell als überlegen angesehenen Frankreich eine eigene nationale Identität entgegenzusetzen, erkundete das liberale deutsche Bürgertum seine kulturellen Anfänge. Dabei versuchte man auf der Suche nach den eigenen Wurzeln bewusst alles zu übergehen, was an Traditionen und Errungenschaften aus der Romania im Laufe der Jahrhunderte adaptiert worden war. Nördlich vom Limes sei der von äußeren Einflüssen kaum oder spät erreichte, ursprüngliche Kern der deutschen Kultur zu finden, ja Nordeuropa insgesamt schien in seinem Widerstand gegen das römische Imperium Elemente der eigenen Vorzeit bewahrt zu haben. Als Träger dieser Kultur und damit zugleich als Vorläufer der Deutschen wurden die Germanen bestimmt. Einer jener Forscher, die hier ihren Schwerpunkt setzten, war Jacob Grimm. Von der deutschen Philologie gern als einer ihrer Gründungsväter beansprucht, ging es Grimm selbst doch neben der Sprache immer auch um Recht und Religion der Germanen, eben um eine ‚germanische Kulturgeschichte‘. Dies spiegelt sich in seinen Werken, der Deutschen Grammatik, den Deutschen Rechtsaltertümern, der Deutschen Mythologie und der gemeinsam mit seinem Bruder Wilhelm herausgegebenen Sammlung der Deutschen Sagen (1816 und 1818). Dass Grimm mit der kulturgeschichtlichen Zielsetzung seiner Forschungen nicht allein stand, bezeugen die Titel fachwissenschaftlicher Periodika, die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts aufkamen, etwa die 1841 begründete Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur oder die erste Ausgabe des zu Beginn des 20. Jahrhunderts erschienenen Reallexikons für Germanische Altertumskunde. Erkennbar wird diese durch eine Reihe von Philologen betriebene Suche nach den Anfängen der ‚eigenen‘, der ‚germanischen‘ Kultur auch in der Namengebung des Faches: Germanistik. Freilich boten die deutschen Texte für eine Kulturgeschichte der eigenen Vorzeit viel zu wenig Material, und so wurde auch die altnordische Götter- und Heldendichtung als Quelle herangezogen. Dies erklärt, warum die Begründung der Germanistik als Wissenschaft in Deutschland die Gründung des Faches Nordistik nach sich zog (Engster 1986).
Nur von diesem Punkt aus aber, von der Bedeutung der germanischen Heldendichtung für die Suche nach einer kulturellen Identität, die die fehlende nationale Einheit gewissermaßen ersetzen sollte, nur von dieser Situation in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts her ist die weitere Geschichte des Heldenbegriffs erklärbar. Aus den Kriegern der Heldendichtung wurden unversehens Leitbilder für die Jugend. Diese Entwicklung kann hier nicht in allen Einzelheiten nachgezeichnet werden; einige wenige Beispiele sollen genügen: August Wilhelm Schlegel empfahl im Jahr 1812 das Nibelungenlied als „Hauptbuch bey der Erziehung der deutschen Jugend“ (zit. nach: Heinzle / Waldschmidt 1991: 142). Gustav Roethe, 1859 geborener Mediävist, erklärte zur Relevanz der älteren Texte: „Von deutschen Heldenliedern her rauschen uns diese Töne herüber […]; es ist die Treue, die in Deutschland ebenso den größten Gedanken, dem Kaisertum, der Reformation zum Siege verholfen hat“ (Roethe 1927: 5). Andreas Heusler, 1865 geborener Mediävist, stellte seinem 1905 publizierten Urväterhort, einer mit Illustrationen versehenen Sammlung von Texten der germanischen Heldensage, folgende Ausführungen voran:
„Das Entscheidende ist die Heldengesinnung. Unsere Heroensage ist eine große Verherrlichung der altgermanischen Ehre. Diese heidnische Ehre befiehlt dem Manne, sich nichts bieten zu lassen, kein Recht preiszugeben, seinen Ruhm unvermindert ins Grab zu nehmen; in unbeugsamem Trotze in den Tod zu gehen, ein Lachen auf den Lippen; sie macht ihm zur obersten Pflicht die Rache für die eigene Kränkung und für den Tod des Angehörigen; sie gebietet dem Gefolgsmanne, mit freudigem Stolze für den Herrn zu sterben. […] Urväterhort mögen diese Sagen mit Recht heißen: den Alten haben sie ihr Kriegerleben verklärt; dem Nachkommen sind sie das Vermächtnis, woraus ihm die Stimme der Vorzeit vernehmlich entspringt.“ (Heusler / Koch 1905: 5)
Bei Heusler wird, wie bei Schlegel und Roethe, die Gegenwart auf eine ‚heroische‘ Tradition verpflichtet, aus der Werte wie Ehre, Treue und Todesbereitschaft abzuleiten seien. Die Textausgaben von Heldendichtungen und Heldensagen, die der Grimmschen im 19. Jahrhundert folgten, sind bislang noch nicht systematisch zusammengestellt und gedeutet. 2Reihentitel von Büchern mit Heldensagen wie Jugend- und Hausbibliothek oder Leitfaden für den ersten Geschichtsunterricht an höheren Mädchenschulen zeigen aber an, dass Heldensagen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jenen von Schlegel geforderten festen Platz in der Jugenderziehung erlangt hatten.
Die in der Öffentlichkeit, aber auch in Teilen der Fachwissenschaft betriebene Engführung der mittelalterlichen Literatur auf die Heldendichtung und den Heldenbegriff war von Anfang an ideologisch, „die Moderne [band] den Heldenbegriff fest in das Projekt der Nationsbildung ein“ (Frevert 2011: 804). Dieser ‚treue‘ und ‚todesbereite‘ Held wurde in dem Moment instrumentalisiert, als die kriegerischen Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts anstanden. Der ‚neue‘ Held in der Nachfolge der heldenepischen Krieger sollte nun der Soldat sein, der sich für die Nation opfert. Auch hier haben Germanisten argumentativ mitgeholfen. Wilhelm Scherer entwirft als Grundhaltung der Germanen bzw. Deutschen im Jahr 1871 Folgendes:
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