Interkulturell relevant werden Bedeutungssysteme, wenn bestimmte Symbole von Interagierenden nicht verstanden werden, da diese nicht über das jeweilige Regelwissen verfügen und bestimmte Symbole nicht kennen. Außenstehende sehen sich deshalb mit einer »Vielfalt komplexer, oft übereinander gelagerter oder ineinander verwobener Vorstellungsstrukturen [konfrontiert], die fremdartig und zugleich ungeordnet und verborgen sind.« (Geertz 1973, 15). Dabei entsteht in der interkulturellen Situation etwas Uneindeutiges, Vages und Neuartiges, das als bedrohlich oder anregend wahrgenommen werden kann. Die Relativität von Bedeutungssystemen und die in interkulturellen Situationen möglichen Irritationen werden im Kapitel »Sprache und Kommunikation« vertieft.
Kultur als System der Problembewältigung und Zielerreichung
Nach den Kulturanthropologen Kluckhohn und Strodtbeck (1961) ist Kultur eine Art und Weise der Problemlösung. Dies bedeutet, dass Akteure in sozialen Systemen spezifische Formen und Wege finden, Ziele zu erreichen. Auch wenn eine Vielzahl von Lösungsmöglichkeiten existiert, werden aufgrund von (unbewussten) Werten, Erfahrungen und Ansprüchen bestimmte bewährte, ›dominante‹ Lösungen zur optimalen Regulierung zwischenmenschlichen Handelns und zum Überleben und Fortbestand des Systems vorgezogen (Parsons 1952). Diese Lösungen können z. B. Regeln oder Methoden, aber auch Institutionen sein. Wenn relativ ähnliche Wertorientierungen in Gemeinschaften bestehen und sich diese als erfolgreich herausgestellt haben, entwickeln Gemeinschaften bestimmte Lösungsmuster mit besonderer Häufigkeit und Ausprägung. Kluckhohn und Strodtbeck formulieren diesbezüglich drei Annahmen:
»First it is assumed that there is a limited number of common human problems for which all peoples at all times must find some solution. This is the universal aspect of value orientations because the common human problems to be treated arise inevitably out of the human situation. The second assumption is that while there is variability in solutions of all the problems, it is neither limitless nor random but is definitely variable within a range of possible solutions. The third assumption […] is that all alternatives of all solutions are present in all societies at all times but are differentially preferred. Every society has, in addition to its dominant profile of value orientations, numerous variant or substitute profiles. Moreover it is postulated that in both the dominant and the variant profiles there is almost always a rank ordering of the preferences of the value-orientation alternatives.« (Kluckhohn/Strodtbeck 1961, 10)
Somit bilden Gesellschaften ein bestimmtes Wertesystem heraus, das deren Verhalten und Handlungen im Sinne von Problemlösung beeinflusst (Parsons 1937; Kluckhohn 1953). Zur Einordnung werden fünf allgemeinmenschliche Probleme erarbeitet:
1.Wie ist das Wesen der menschlichen Natur? (Human Nature)
2.Wie ist die Beziehung des Menschen zur Natur? (Man-Nature)
3.Wie ist die Zeitorientierung des Menschen? (Time)
4.Wie ist die Aktivitätsorientierung des Menschen? (Activity)
5.Welche Art von Beziehung hat ein Mensch zu anderen aus der Gruppe? (Human Relations)
Auf dieser Basis entwickelten die Forscher eine allgemein anwendbare Methode mit Kategorien, um einen Vergleich unterschiedlicher Kulturen zu ermöglichen: die Value Orientation Method ( Tab. 19).
Orientierung |
Möglicher Variationsbereich |
Menschliche Natur |
Schlecht |
Gut und schlecht/Neutral |
Gut |
Veränderlich – unveränderlich |
Veränderlich – unveränderlich |
Veränderlich – unveränderlich |
Beziehung des Menschen zur Natur |
Unterwerfung des Menschen unter die Natur |
Harmonische Beziehung zwischen Mensch und Natur |
Beherrschung der Natur durch den Menschen |
Zeitorientierung des Menschen |
Vergangenheit |
Gegenwart |
Zukunft |
Aktivitätsorientierung des Menschen |
Sein |
Werden |
Handeln |
Beziehung des Menschen zu anderen Menschen |
Linearität |
Kollateralität |
Individualismus |
Tab. 19: Fünf Wertevariationen (Kluckhohn/Strodtbeck 1961, 12, unsere Übersetzung)
Der Kultur-Ansatz von Kluckhohn und Strodtbeck, ihre Wertevariationen und ihre Methodik haben die Interkulturelle Managementforschung – insbesondere die kontrastive – über Jahrzehnte hinweg geprägt.
Veränderungen und Entwicklungen kultureller Systeme geschehen, wenn Menschen feststellen, dass bestimmte Lösungsmuster nicht mehr geeignet sind, bestehende Herausforderungen oder Probleme zu meistern. Durch die Suche nach wirksamen neuen Lösungen hinterfragen sie Selbstverständlichkeiten und erlangen somit mehr Bewusstsein über ihre Problemlösungen. Neue Strukturen und Prozesse können somit zu einer Veränderung und Entwicklung von Systemen beitragen.
»The values of any living culture had helped it survive in the environment where it found itself. Borrowing from evolutionary theory, it has become common to ask how well these cultural values fit the environment so that the culture survives. These survival values are passed down the generations. There are therefore as many sets of different cultural values as there are environments across the globe. These are not good or bad, high or low, civilized or primitive. They are to be judged, if at all, by their evolutionary fit.« (Hampden-Turner/Trompenaars 2006, 57)
Je mehr Werte im Gegensatz zueinander stehen, desto konfliktreicher ist ihr Einfluss auf ein soziales System. Je mehr sie in Einklang gebracht werden, desto stabilisierender wirken sie auf ein soziales System. Eine wichtige Funktion einer ausgeglichenen und wirkungsvollen Interkulturalität besteht also darin, Gegensätze, Wertedifferenzen als gegenseitige Kräfte positiv aufeinander wirken zu lassen (Demorgon 1998; Hampden-Turner/Trompenaars 2000). Im Sinne eines Konstruktiven Interkulturellen Managements geht es um die komplementäre, synergetische Findung von Lösungen.
Zusammenfassend werden Merkmale und Funktionen der drei komplementären Kulturkonzepte dargestellt ( Tab. 20).
Kultur als |
Merkmal |
Funktion |
Einfluss auf das Management |
1. Wertesystem |
›Mentale Software‹: Bestimmte und spezifische, durch Sozialisation erworbene Muster des Denkens, Fühlens und Handelns, die ein emotionales und kognitives System konstituieren. |
Orientierung und »Selbstverständlichkeiten«, die wiederum Entscheidungen beeinflussen und die optimale Regulierung zwischenmenschlichen Handelns ermöglichen. |
Ausrichtung und ethische Orientierung: Welche Ziele werden als erstrebenswert erklärt? Wie werden Entscheidungen und Verhaltensweisen begründet? |
2. Referenz- und Bedeutungssystem |
›Semantisches Inventar‹: Geteilte Wissensbestände, Symbole und Bedeutungsinhalte führen zu gemeinsamen Grundannahmen, Erwartungen, Vorstellungen und Interpretationen. |
Eindeutigkeit, Klarheit, Sinnstiftung, zielführende adäquate Interpretation kommunikativen Handelns. |
Kommunikatives Handeln und Sprache: Welchen Sinn ergeben Symbole und Verhaltensweisen? Wie werden sie verstanden, bzw. interpretiert? |
3. System der Problembewältigung und Zielerreichung |
›Problemlösung‹: Spezifische Bewältigung von grundsätzlichen universellen Herausforderungen und Problemen. |
Bewährte Muster der Problembewältigung und Zielerreichung werden reproduziert und verfestigen sich. Trotz der Vielfalt an Lösungsmöglichkeiten weisen Gesellschaften bestimmte Lösungsmuster mit besonderer Häufigkeit und Ausprägung auf. |
Arbeits- und Organisationspraktiken: Wie wird mit Herausforderungen umgegangen? Wie werden Ziele erreicht? Wie wird organisiert, gesteuert, gestaltet? |
Tab. 20: Merkmale und Funktionen drei komplementärer Kulturkonzepte und ihr Bezug zum Management
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