Gesetze wie Plebiszite waren auf ein Thema beschränkt. Sie setzten den Antrag eines führenden Beamten (z. B. eines Konsuln oder Volkstribuns) voraus, über dessen Annahme bzw. Ablehnung die Anwesenden entschieden. Der Name des jeweiligen Antragstellers wurde zur Bezeichnung der Rechtsetzung verwendet (z. B. Lex Aquilia, s. Rn. 59).
30. Bedeutung
Während des Prinzipats (s. Rn. 23) verlor die Volksgesetzgebung an Bedeutung. In den Vordergrund traten Rechtsetzungen des Senats. Beim Senat handelte es sich um eine Versammlung, die zunächst aus den Oberhäuptern patrizischer Familien und später vor allem aus Personen bestand, die hohe Staatsämter innegehabt hatten (insbesondere das Amt des Konsuln [s. Rn. 22] oder Prätors [s. Rn. 53]). Aufgabe des Senats war die Beratung der Magistrate. Ein Beschluss des Senats (senatus consultum) hatte zunächst nur den Charakter einer Empfehlung. Während des Prinzipats setzte sich jedoch die Ansicht durch, dass ihm Gesetzeskraft zukomme.
Wie Gesetze der Volksversammlung enthielten auch die Senatsbeschlüsse nur punktuelle Regelungen und wurden üblicherweise nach dem jeweiligen Antragsteller benannt. Den Beschlüssen lagen zunehmend Anträge des Kaisers zugrunde, der damit die Rechtsetzung des Senats lenkte.
31. Edikte, Reskripte, Dekrete, Mandate
Seit dem Prinzipat wurde auch den Kaisern eine Rechtsetzungsbefugnis zuerkannt. Als Legitimation diente die Übertragung der Herrschaftsgewalt auf den Prinzeps. Eine solche Übertragung erfolgte durch den Senat und teilweise auch durch die Volksversammlung. Sie fand jeweils zu Beginn der Amtszeit eines neuen Kaisers statt. Die vom Herrscher erlassenen Bestimmungen (constitutiones principis: Kaiserkonstitutionen) blieben auch nach dessen Tod in Kraft. Die Regelungen betrafen Einzelpunkte und erfolgten in unterschiedlichen Kontexten und in verschiedener Gestalt. Sie ergingen als allgemeine Verlautbarungen an die Öffentlichkeit (Edikte); als Briefe, in denen der Kaiser Anfragen von Beamten und Bürgern beantwortete, die nicht selten zweifelhafte Rechtsfragen betrafen (Reskripte); als richterliche Entscheidungen des Prinzeps, die nach einer Verhandlung vor dem Kaisergericht ergingen (s. Rn. 56, Dekrete) oder als Dienstanweisungen an Beamte oder Behörden (Mandate). Bei der Abfassung der Konstitutionen wurden die Kaiser von Beratern unterstützt, zu denen regelmäßig auch Juristen gehörten.
In der späten Kaiserzeit (s. Rn. 24) enthielten die kaiserlichen Konstitutionen nicht mehr primär einzelfallbezogene Anordnungen, sondern zunehmend allgemeine Regeln. In inhaltlicher Hinsicht wurden dabei nicht selten erhebliche Veränderungen gegenüber dem bisherigen Recht vorgenommen.
32. Anlass
Die Kaiserkonstitutionen wurden nicht amtlich verbreitet, sondern allein in kaiserlichen Archiven verwahrt. Damit war die Kenntnisnahme durch Richter und Anwälte nicht gesichert. Auch bei den Juristenschriften wurde nicht für eine allgemeine Verbreitung gesorgt, obwohl sie als Rechtsquellen galten (s. Rn. 38). Dieser Zustand führte zum Bedürfnis nach offiziellen Zusammenstellungen. Der oströmische Kaiser Theodosius ließ eine Auswahl von Kaiserkonstitutionen erstellen, die 438 n. Chr. im Osten und ein Jahr später auch im Westen als Gesetz verkündet wurde (Codex Theodosianus). In der westlichen Reichshälfte fanden zudem Aufzeichnungen des römischen Rechts – in Gestalt des Vulgarrechts (s. Rn. 26) – nach dem Untergang des Weströmischen Reichs statt. Sie wurden von Herrschern germanischer Stämme veranlasst, die auf vormals römischen Gebieten siedelten (s. Rn. 63). Ausschlaggebend für diese Aufzeichnungen war die Ansicht, dass Römer auch unter germanischer Herrschaft einen Anspruch auf eine Beurteilung ihrer Rechtsfälle nach römischem Recht hatten.
33. Digesten (Pandekten), Institutionen, Codex
Im 6. Jahrhundert n. Chr. initiierte der oströmische Kaiser Justinian weitere Sammlungen des römischen Rechts. Er setzte eine Kommission ein, deren Mitglieder auch als „Kompilatoren“ bezeichnet werden, da sie den Auftrag hatten, Kaiserkonstitutionen und Publikationen von Juristen durchzuarbeiten und wichtig erscheinende Texte auszuwählen (compilare: ausplündern, ausbeuten). Nach einer ersten Durchsicht von Kaiserkonstitutionen legte die Kommission eine Sammlung von Auszügen aus Juristenschriften vor, die im Jahr 533 n. Chr. mit Gesetzeskraft publiziert wurde. Sie erhielt den lateinischen Titel „Digesten“ (digerere: ordnen, zusammenstellen). In der im Osten damals gebräuchlichen griechischen Sprache wurden die Digesten als „Pandekten“ (alles umfassend) bezeichnet. Kurz zuvor war zudem die Arbeit an einem Anfängerlehrbuch für den Rechtsunterricht, den sog. Institutionen, abgeschlossen worden. Da Justinian etliche Zweifelsfragen, die während der Rechtsaufzeichnungen aufgetreten waren, durch Konstitutionen geregelt hatte, entstand Bedarf an einer neuen Sammlung von kaiserlichen Rechtsetzungen. Deren Publikation erfolgte im Jahr 534 n. Chr. unter dem Titel „Codex“ (Buch). Die heute geläufige zusammenfassende Bezeichnung „Corpus iuris civilis“ für Institutionen, Digesten/Pandekten und Codex wurde erst im 16. Jahrhundert geprägt, als nach der Erfindung des Buchdrucks die ersten gedruckten Ausgaben erschienen, die alle drei Teile umfassten (s. Rn. 201). Für Kaiserkonstitutionen, die nach 534 ergingen, erfolgten keine amtlichen, sondern nur noch private Sammlungen (Novellen).
Begriffliches: Der Titel Codex steht sprachlich in engem Zusammenhang mit dem Begriff der Kodifikation. Weder die Sammlung der Kaisergesetze noch das gesamte Corpus iuris civilis entsprechen jedoch dem modernen Kodifikationsverständnis (s. Rn. 208). Allgemeine Regeln, die aus heutiger Sicht ein zentrales Merkmal von Kodifikationen darstellen, finden sich darin nur selten. Das Corpus iuris civilis enthält vielmehr, insbesondere in den Digesten und im Codex, größtenteils Entscheidungen von Einzelfällen. Außerdem ist es nicht primär nach Rechtsmaterien, sondern nach Arten von Rechtsquellen gegliedert.
Justinian setzte jeden Teil des Corpus iuris civilis mit einer kaiserlichen Konstitution in Kraft, in welcher er sich auch zum Ablauf der Arbeiten und deren Bedeutung äußerte. Dabei betonte er, dass das Werk keine inhaltlichen Widersprüche enthalte. Außerdem wurde klargestellt, dass allen Teilen – auch dem Anfängerlehrbuch – exklusive Geltungskraft zukomme und damit ein Rückgriff auf andere Gesetze bzw. Juristenäußerungen verboten sei. Bei neu auftretenden Rechtsfragen sollte ein kaiserliches Gutachten eingeholt werden. Hinter dieser Bestimmung stand der Anspruch des Kaisers, dass ihm allein die Befugnis zur Rechtsetzung zukomme.
Corpus iuris civilis, Digesten, Constitutio Tanta (Konstitution Justinians vom 16. Dezember 533):
Erat enim mirabile Romanam sanctionem ab urbe condita usque ad nostri imperii tempora, quae paene in mille et quadringentos annos concurrunt, intestinis proeliis vacillantem hocque et in imperiales constitutiones extendentem in unam reducere consonantiam, ut nihil neque contrarium (…) in ea inveniatur (…).
15. Contrarium autem aliquid in hoc codice positum nullum sibi locum vindicabit nec invenitur, si quis suptili animo diversitatis rationes excutiet (…). 18. (…) non desperamus quaedam postea emergi negotia, quae adhuc legum laqueis non sunt innodata. Si quid igitur tale contigerit, Augustum imploretur remedium, quia ideo imperialem fortunam rebus humanis deus praeposuit, ut possit omnia quae noviter contingunt et emendare et componere et modis et regulis competentibus tradere.
19. Hasce itaque leges et adorate et observate omnibus antiquioribus quiescentibus.
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