22. Republik
Nach der Gründung Roms, die vermutlich im 7. Jahrhundert v. Chr. erfolgte, stand die Stadt zunächst unter der Herrschaft etruskischer Könige. Nach deren Vertreibung kam es um 500 v. Chr. zur Errichtung einer Republik. Die politische Gewalt lag bei den Inhabern hoher Beamtenstellen (Magistrate), die von einer Volksversammlung gewählt wurden. Zur Verhinderung von Machtmissbrauch war die Amtsdauer der Magistrate auf ein Jahr beschränkt. Außerdem wurden wichtige Positionen regelmäßig mit zwei Personen besetzt, von denen jede ein Einspruchsrecht gegen die Entscheidung des Kollegen hatte. An der Spitze des Staates standen zwei sog. Konsuln. Nur für Notsituationen war die befristete Herrschaft einer Person (Diktator) vorgesehen.
Zunächst gelangten nur Adelige (Patrizier) in hohe Beamtenpositionen. Ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. kämpfte die übrige Bevölkerung (Plebejer) um eine Beteiligung an der Herrschaft. Als Erstes erreichten die Plebejer, dass besondere Organe eingeführt wurden, die sie vor Willkürakten der Magistrate schützen sollten (sog. Volkstribune). Später wurden Plebejer auch zu wichtigen Staatsämtern einschließlich des Konsulats zugelassen.
In der Zeit der Republik gelang es den Römern vor allem durch militärische Erfolge, ihr Staatsgebiet erheblich auszudehnen. Die eroberten Gebiete außerhalb Italiens wurden in Provinzen eingeteilt und von römischen Statthaltern verwaltet. Zudem wandelte sich das Reich vom agrarisch geprägten Stadtstaat zur führenden Macht im Mittelmeerraum, die ausgedehnten Handel trieb.
23. Prinzipat
Im 1. Jahrhundert v. Chr. errichtete Gaius Julius Cäsar, der als Feldherr zahlreiche Siege für den römischen Staat errungen hatte, eine Alleinherrschaft. Entgegen der bisherigen Verfassungstradition ließ er sich zahlreiche Ämter (unter anderem das Amt des Volkstribuns, Diktators und Konsuls) für lange Zeiträume übertragen. Nachdem Cäsar 44 v. Chr. einem Attentat zum Opfer gefallen war, stellte sich sein Adoptivsohn Oktavian an die Spitze des Staates. Er tastete die republikanische Verfassung und deren Organe nicht an. Oktavian übernahm kein Staatsamt, sondern trat als „princeps“ (der Erste, im Sinne von: die führende Person im Staat) neben die Magistrate. Damit begann eine Phase des Römischen Reichs, die als (der) Prinzipat bezeichnet wird.
Begriffliches: Oktavian erhielt vom Senat den Ehrentitel „Augustus“ (der Erhabene). Außerdem übernahm er von seinem Adoptivvater den Beinamen „Cäsar“. Alle diese Bezeichnungen dienten auch als Anrede für die Nachchfolger Oktavians. Aus dem Beinamen „Cäsar“ entstand später die deutsche Amtsbezeichnung „Kaiser“. Daher wird im Folgenden neben Prinzeps auch der Ausdruck Kaiser verwendet.
Dem Prinzeps wurden zentrale Vollmachten zuerkannt. Er war der eigentliche Herrscher, der auch regelmäßig zu Lebzeiten seinen Nachfolger bestimmte. Die Bedeutung der Magistrate nahm infolgedessen ab. Dazu trug auch der Umstand bei, dass die Kaiser einen zusätzlichen Verwaltungsapparat installierten. Die Inhaber der neu geschaffenen Ämter übten ihre Tätigkeiten nicht nur für ein Jahr, sondern unbefristet aus.
24. Späte Kaiserzeit
Seit dem 3. Jahrhundert n. Chr. verzichteten die Kaiser auf die fiktive Einbindung in das republikanische System und traten als absolute Herrscher auf. Damit verloren die traditionellen Organe und Ämter endgültig ihre Bedeutung. Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. erfolgte eine Teilung des Römischen Reichs. Fortan hatten die westliche und die östliche Reichshälfte jeweils eine eigene Hauptstadt: Rom im Westen und Konstantinopel (auch genannt: Byzanz, heute Istanbul) im Osten. Außerdem gab es zwei Kaiser, deren Zuständigkeit sich jeweils auf einen Reichsteil beschränkte.
Die Absetzung des letzten weströmischen Kaisers im Jahr 476 n. Chr. (s. Rn. 63) gilt als Endpunkt des Weströmischen Reiches. In der östlichen Reichshälfte begann nach dem Tod des Kaisers Justinian (565 n. Chr.) die Umbildung zu einem byzantinischen Kaiserreich, das 1453 durch die Türken erobert wurde.
2.1.Quellen
2.1.1.Grundzüge
25. Überlieferung
Die zentrale Quelle für die heutige Kenntnis des römischen Rechts bildet das Corpus iuris civilis (s. Rn. 33). Bei dessen Verwendung ist zu berücksichtigen, dass man darin nur aus zweiter Hand über das römische Recht informiert wird. Das Corpus iuris civilis beinhaltet eine Auswahl von Rechtssätzen, die nach dem Ende des Weströmischen Reichs in Konstantinopel zusammengestellt wurde und lediglich einen Bruchteil des römischen Rechts umfasst.
26. Veränderungen
Zudem muss man sich bewusst sein, dass es „das“ römische Recht im Sinne einer einheitlichen Ausgestaltung nicht gegeben hat. Während der langen Dauer des Römischen Reichs haben sich Rechtsinhalte vielfach verändert. Eine besondere Stellung nimmt insofern die späte Kaiserzeit ein. Damals verschwanden die begrifflichen Differenzierungen früherer Zeiten (sog. Vulgarrecht).
Begriffliches: Die Bezeichnung Vulgarrecht stammt aus der modernen rechtsgeschichtlichen Forschung. Sie soll zum Ausdruck bringen, dass das Recht im Vergleich zur klassischen Zeit vereinfacht wurde. Diese Vereinfachungen beruhten auf mangelndem, laienhaftem Verständnis für die Gestaltung der klassischen römischen Prozesse sowie für die Eigenarten und Voraussetzungen früherer juristischer Konstruktionen.
27. Verschiedene Rechtsschichten
Im Römischen Reich gab es nie eine Kodifikation im heutigen Sinn. Rechtsetzungen betrafen immer nur einzelne Themen. Außerdem wurde das geltende Recht keineswegs nur durch Rechtsetzungen bestimmt, sondern daneben auch durch Edikte von Magistraten sowie durch Publikationen von Juristen. Rechtsetzungen, Edikte und rechtswissenschaftliche Publikationen äußerten sich teilweise zu denselben Rechtsfragen. Dabei kamen die verschiedenen Quellen nicht selten zu einander widersprechenden Ergebnissen.
Wenn das römische Zivilrecht in der Literatur als ein einheitliches System dargestellt wird, hat dies somit wenig mit der antiken Struktur zu tun. Eine solche Perspektive ist vielmehr durch wissenschaftliche Konstruktionen späterer Zeiten, insbesondere des 19. Jahrhunderts (s. Rn. 303 f.), geprägt.
2.1.2.Rechtsetzungen
Zwölftafelgesetz
28. Rechtsaufzeichnung in der frühen Republik
Die älteste heute bekannte römische Rechtsetzung stammt aus der Frühzeit der Republik (um 450 v. Chr.). Sie stand vermutlich im Zusammenhang mit den Ständekämpfen, die zu dieser Zeit zwischen Plebejern und Patriziern ausgetragen wurden (s. Rn. 22). Verfasser waren zehn Männer, denen für die Zeit der Gesetzgebung die gesamte politische Gewalt übertragen worden war. Da der Text auf zwölf Tafeln aufgezeichnet und ausgestellt wurde, spricht man vom Zwölftafelgesetz. Der Wortlaut des Zwölftafelgesetzes ist nur fragmentarisch durch Erwähnungen in späteren Schriften überliefert. Es handelte sich nicht um eine umfassende Rechtsetzung, sondern um Regelungen zu Einzelpunkten. Diese betrafen insbesondere das gerichtliche Verfahren sowie die Vollstreckung. Dabei wurde das Recht der römischen Frühzeit aufgezeichnet. Die einzelnen Vorschriften umschrieben jeweils kurz einen Sachverhalt und ordneten für diesen eine Rechtsfolge an (Beispiel s. Rn. 58). Sie spiegeln das Recht eines Agrarstaates wider, das von förmlichen Rechtshandlungen geprägt war.
Beschlüsse der Volksversammlungen
29. Leges und Plebiszite
In der späten Republik bildete die Volksversammlung das zentrale Rechtsetzungsorgan. Die von ihr beschlossenen Bestimmungen wurden als „leges“ (Gesetze; „lex“: Gesetz) bezeichnet. Zunächst konnten Gesetze nur von Versammlungen erlassen werden, an denen alle männlichen römischen Bürger teilnehmen durften. Für die Abstimmungsordnung waren die Vermögensverhältnisse maßgebend, wobei den Besitzenden eine Mehrheit zukam. 286 v. Chr. erhielten auch Versammlungen, bei denen nur Plebejer ein Stimmrecht hatten, die Befugnis, allgemeinverbindlich Recht zu setzen. Entscheidungen der Plebejer (concilium plebis: Beschluss der Plebs, Plebiszite) bildeten zwischen dem 3. und dem 1. Jahrhundert v. Chr. die übliche Form der Rechtsetzung.
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