Ein weiterer Teil der nicht konsumierten Güter aber kann unverbraucht beim Produzenten oder ungenutzt bei den anderen Unternehmen im Vorratslager auf Halde liegen. Änderungen dieser Bestände (LagerinvestitionenLagerinvestitionen I L) können auch negativ sein, wenn Lagerbestände abgebaut werden. Beide Arten von InvestitionenInvestitionen zusammen umfassen also alle nicht konsumierten Güter. Daher gilt immer:
(2.1) S = I A + I L
Diese definitorische Gleichheit überdeckt, dass es für den Produzenten einen großen Unterschied macht, ob er die von ihm produzierten Güter verkaufen kann oder ob sie unverwendet im Lager liegen bleiben. Werden hier nämlich alle von ihm produzierten Güter verkauft, hat er keinen Anlass, sein Produktionsvolumen zu verändern. Bleibt dagegen ein Teil im Lager liegen, wird er veranlasst, seine Produktionsmenge zu reduzieren. Gesamtwirtschaftliches GleichgewichtGleichgewicht (definiert als Situation, in der im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt die Unternehmen keinen Anlass haben, ihr Produktionsvolumen zu verändern) kann also nur vorliegen, wenn insgesamt keine Lagerveränderungen erfolgen (I L= 0). Daher gilt im Gleichgewicht und nur dann:
(2.2) S = I A
Keynes (1930) bezeichnet die Lagerbestände als liquides Kapitalliquides Kapital und unterteilt sie zusätzlich in „normale Vorräte, die zur Führung des Geschäfts erforderlich sind“ (1930/32, S. 105) und Überschussvorräte. Verwirrend ist, dass Keynes bei der Produktion von Investitionsgütern die Überschussvorräte mitzählt, bei der Definition von Kapitalgütern dagegen nicht. Außerdem geht Keynes häufig implizit so vor wie die traditionelle Gleichgewichtsanalyse, bei der die LagerinvestitionenLagerinvestitionen gleich Null gesetzt und vernachlässigt werden, mit dem Argument, dass im GleichgewichtGleichgewicht Angebot (Produktion) und Nachfrage nach Gütern in der Gesamtwirtschaft übereinstimmen.
Damit aber dennoch S und I Aauseinander fallen können, wählt Keynes (1930/1932) für seine Analyse eine spezielle Definition von Einkommen und Ersparnissen, indem er aus beiden solche GewinneGewinne ausschließt, die über die normalen Profite hinausgehen. Auch dies deutet darauf hin, dass Keynes damals noch dem Denken in einem ständigen GleichgewichtGleichgewicht verhaftet war; denn im Gleichgewicht gibt es keine ungeplanten InvestitionenInvestitionen, sodass sie auch keine Quelle eines Auseinanderfallens von geplanten Investitionen und Ersparnis sein können.
Im Vorwort zur deutschen Übersetzung (Keynes, 1930/1932) bemerkt Keynes: Hätte er die „windfall profitswindfall profits“, die nicht konsumiert, sondern gespart werden, in die ErsparnisseErsparnisse einbezogen, so würden InvestitionenInvestitionen und Ersparnisse definitionsgemäß übereinstimmen und könnten gar nicht voneinander abweichen. Dies bestätigt, dass für Keynes die Investitionen auch ungeplante Vorratsinvestitionen enthalten; denn nur dann umfassen die Investitionen alle Güter, die nicht konsumiert, also gespart worden sind.
Insgesamt werden die Zusammenhänge zwischen InvestitionenInvestitionen und Ersparnissen durch Keynes’ spezielle Definition der ErsparnisseErsparnisse eher verdunkelt als erhellt.
Wodurch werden die Ersparnisse bestimmt?
ErsparnisseDa nach traditioneller Lehre InvestitionenInvestitionen und ErsparnisseErsparnisse durch den ZinssatzZinssatz in Übereinstimmung gebracht werden, bleibt zu klären, ob sich beide Variablen aneinander anpassen oder ob eine der beiden die andere dominiert, sodass sich entweder die Investitionen an die Ersparnisse oder letztere sich an die Investitionen anpassen. Geht man – wie damals üblich – implizit von VollbeschäftigungVollbeschäftigung aus, so sind die Ersparnisse durch den Spareifer der Bevölkerung gegeben, der je nach Höhe des Zinssatzes angeregt oder gedämpft wird. Der Zinsmechanismus sorgt dann dafür, dass Investitionen in Höhe der Ersparnisse vorgenommen werden, sodass die Vollbeschäftigung erhalten bleibt.
In diesem Gedankengebäude bestimmen im Wesentlichen die ErsparnisseErsparnisse die InvestitionenInvestitionen; denn nur Güter, die nicht konsumiert werden, stehen für Investitionszwecke zur Verfügung. Gegen diese Vorstellung wendet sich Keynes und argumentiert, die InvestitionenInvestitionen seien nicht von der Ersparnis abhängig, sondern vom Verhalten des Bank- und Geldwesens (1930 / 1932, S. 416f):
„Die Kraft, welche die UnternehmenstätigkeitUnternehmenstätigkeit treibt, ist nicht die Ersparnis, sondern der Gewinn. Damit nun die Unternehmungstätigkeit lebhaft sei, müssen zwei Bedingungen erfüllt sein. Es müssen Gewinnchancen vorliegen und es muß den Unternehmern möglich sein, Verfügungsmacht über genügend große Mittel zu erlangen, um ihre Pläne zur Durchführung zu bringen, (weil) ihre Fähigkeit, ihre Projekte zu Bedingungen, die ihnen vorteilhaft erscheinen, zur Durchführung zu bringen, fast ganz von dem Verhalten des Bank- und Geldwesens abhängt.“
Diese Hypothese stimmt mit den Überlegungen von SchumpeterSchumpeter – dem zweiten überragenden Ökonomen des 20. Jahrhunderts – überein. Schumpeter erläutert in seiner „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ (1911, 1926 zweite überarbeitete Auflage), dass – ausgehend von einer vollbeschäftigten Wirtschaft – zusätzliche InvestitionenInvestitionen nur möglich sind, wenn der investierende UnternehmerUnternehmer Ressourcen aus ihrer bisherigen Verwendung abziehen bzw. abwerben kann. Zu diesem Zweck nimmt der typische Unternehmer einen Kredit auf oder gibt Aktien aus und kann mit den so erhaltenen Geldmitteln die benötigten Ressourcen an sich ziehen, indem er einen etwas höheren als den bestehenden Preis bzw. Lohn zahlt. Das GleichgewichtGleichgewicht wird damit gestört, und es beginnt ein expansiver dynamischer Prozess, der bei Schumpeter irgendwann zu einem neuen Gleichgewicht führt.
Was aber geschieht bei Keynes (1930)? Es liegt nahe zu vermuten, dass von den höheren Einkommen, die im Zuge des expansiven Prozesses entstehen, ein Teil gespart wird, sodass die zusätzlichen InvestitionenInvestitionen mit der Zeit durch höhere ErsparnisseErsparnisse ausgeglichen werden. Soweit hatte sich Keynes aber 1930 noch nicht von der impliziten Annahme der VollbeschäftigungVollbeschäftigung und der dadurch vorgegebenen gesamtwirtschaftlichen Ersparnis gelöst.
In welchem Ausmaß der Zusammenhang von Ersparnis und Einkommen von ihm wie von anderen Ökonomen jener Zeit unbeachtet und unverstanden blieb, zeigt Keynes’ BananenparabelBananenparabel, mit der er veranschaulichen wollte, welche Wirkungen eine plötzliche Zunahme der Spartätigkeit hat.
In dieser BananenparabelBananenparabel betrachtet Keynes eine geschlossene Volkswirtschaft, in der nur Bananen konsumiert werden. Die Wirtschaft ist in der Ausgangslage im GleichgewichtGleichgewicht, indem die produzierten Bananen alle konsumiert werden. InvestitionenInvestitionen und ErsparnisseErsparnisse stimmen überein, solange die Ersparnisse (der Nichtkonsum) derjenigen, die Bananen produzieren, verwendet werden, um die Arbeitskräfte zu versorgen, die die Plantagen erweitern oder ertragsreicher machen.
Keynes untersucht nun: Was passiert, wenn die Arbeiter plötzlich auf Grund einer Sparkampagne beschließen, mehr zu sparen, d.h. weniger Bananen zu essen? Daraufhin setze – selbst bei flexiblen Preisen und Löhnen – ein kontraktiver Prozess ein. Dieser nimmt, meint Keynes, erst ein Ende, wenn entweder
1 die Bananenproduktion ganz zum Erliegen kommt und die Bevölkerung verhungert, oder
2 die Sparkampagne abgeblasen wird bzw. wegen der zunehmenden Verarmung im Sande verläuft, oder
3 die InvestitionenInvestitionen irgendwie stimuliert werden.
Während die Lösungen (b) und (c) plausibel sind, gilt für die Lösung (a) das Gegenteil: Sie klingt aus heutiger Sicht absurd. Sie kann nur auftreten, wenn die ErsparnisseErsparnisse unabhängig vom Einkommen sind. Trifft man dagegen – wie es Keynes dann in seiner „Allgemeinen Theorie“ von 1936 tut – die realistische Annahme, dass die Spartätigkeit vor allem vom Einkommen abhängt, kann der Fall (a) gar nicht eintreten, weil mit schrumpfenden Einkommen die Ersparnisse auch zurückgehen. Der Abwärtsprozess kommt daher bereits zum Halt, wenn die ursprüngliche kampagnenbedingte Zunahme der Ersparnisse durch deren einkommensbedingte Abnahme wieder kompensiert wird.
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