BJÖRN FRANK
Zu Keynes passt das nicht
Vom Leben und Sterben großer Ökonomen
Wenn ich dann höre, dass eine Shaw-Biographie in vier Bänden gibt, mit 2000 Seiten, dann sage ich, mein lieber Freund, das ist ja gründliche Arbeit, vielen Dank, aber du hättest es eher auf den Punkt bringen können, durch Weglassen .
HANS MAGNUS ENZENSBERGER
Jede Biographie ist ein Roman, der seinen Namen nicht zu sagen wagt .
ROLAND BARTHES
Vorwort: Über dieses Buch und warum es nicht dicker ist
Cantillons letztes Problem
Bentham: Keine schöne Leiche (aber nützlich)
Lists letzter ökonomischer Triumph
Thünen und seine Grabsteinformel
Tschajanow: Tod in der Hölle
Keynes: Der unter anderem auch Ökonom war
Stackelberg: Der Bundesverdienstkreuzträger
Schumpeter betet zu den Hasen
Von Neumann und der Preis atomarer Abschreckung
Schmölders’ Traum von Amerika
Vickreys sehr kurze Freude über den Nobelpreis
Coase und die ökonomischen Probleme ewigen Lebens
Variationen über Themen von Friedrich List: Henri de Saint-Simon, Alexander Hamilton, Elizabeth Boody Schumpeter, Karl Marx und Rosa Luxemburg
Anmerkungen und Quellen
Literatur
Vorwort: Über dieses Buch und warum es nicht dicker ist
Am 9. Juni 2013wurde der schwedische Biochemiker Alf Stefan Andersson, Professor an der Universität Houston (Texas), von seiner Freundin mit dem Stiletto-Absatz ihres Schuhs erschlagen. Auch eine Möglichkeit, als Wissenschaftler in die Medien zu kommen, dachte ich damals. Aber doch sinnlos – eine Nachricht war das, keine Geschichte. Über Biochemie lernt man daraus nichts.
Mir fielen die Ökonomen ein, die ein romanhaftes Leben gelebt hatten, als hätte es sich jemand ausgedacht: nicht nur wie sie lebten, sondern auch wie sie starben. Ob sie sich nun umbrachten, umgebracht wurden, ihren Tod vortäuschten oder elend an Krankheiten zugrunde gingen – immer schien es, als hätte ihr Werk damit zu tun. Das gilt zum Beispiel für Jeremy Bentham, der »das größte Glück der größten Zahl« wollte und damit das philosophische Fundament der Wirtschaftswissenschaft legte. Oder für Friedrich List, der für Freihandel kämpfte, für Schutzzölle und die Entwicklung der Eisenbahn. Und auch für John Maynard Keynes, den Schöngeist unter den Ökonomen. Über sie wollte ich so schreiben, als seien es keine Biografien, sondern Erzählungen, die in einen Tod münden, der ein letztes Schlaglicht auf ihr Leben und ihr Werk wirft.
Es ist mir ganz recht, wenn Sie sich beim Lesen fragen: Kann das wirklich sein? Die Antwort ist in jedem Fall ja, denn ich habe mir nichts ausgedacht. Höchstens ein bisschen ausgewählt, aber es ist alles wahr und belegt (fast alles – die wenigen Passagen, in denen ich ein bisschen spekulieren und meine Phantasie bemühen musste, sind als solche erkennbar). Noch eine Regel habe ich mir gegeben: Ein eigentümlicher Tod reicht nicht aus. Alle Ökonomen, die in diesem Buch vorkommen, sind bedeutend. Einige, wie zum Beispiel John von Neumann, sind Jahrhundertgenies, andere sind Initiatoren eines ganzen Forschungszweiges, wie Joseph Alois Schumpeter. Oder sie sind als Namensgeber von Gesetzen oder Phänomenen – wie dem Cantillon-Effekt – unvergessen.
Beim Schreiben musste ich öfter daran denken, wie wir jugendliche Tennisspieler uns Anfang der achtziger Jahre lächerlich gemacht haben, wenn wir beim Aufschlag die Füße hintereinander, aber beide parallel zur Grundlinie stellten: Jeder konnte sehen, dass wir John McEnroe nacheiferten. Mein Vorbild für dieses Buch ist vielleicht nicht so leicht zu erkennen, es ist der McEnroe des biografischen Schreibens, Lytton Strachey. Beide sind zweifellos genial, in den Augen ihrer Zeitgenossen Enfants terribles , und es ist unmöglich, sie zu imitieren. In einem der folgenden Kapitel kommt Strachey ganz kurz als Liebhaber eines sehr bekannten Ökonomen vor, aber viel wichtiger ist etwas anderes: Er hat gezeigt, dass der Grundton einer Biografie nicht feierlich sein muss, sondern ironisch sein kann. Das gilt selbst im Angesicht der Tragödie, und sei es die eigene – die letzten Worte des an Magenkrebs erkrankten Strachey waren: »Wenn das Sterben ist, halte ich nicht viel davon.« Seine Lebensgefährtin, die Malerin Dora Carrington, verkraftete seinen Tod nicht und erschoss sich, sie wurde 38, er wurde 51 Jahre alt. Statistisch gesehen sind sie beide Ausreißer, besonders Carrington, denn im Durchschnitt sterben Autoren deutlich früher als Maler oder andere Künstler, was vermutlich daran liegt, dass Autoren nur selten Kontakt mit dem Publikum haben; jahrelang schreiben sie an einem Buch und dürfen ausgesprochen selten die Befriedigung erfahren, etwas Herzeigbares fertiggestellt zu haben. Auch der Produktionsprozess bei Autoren ist freudlos im Vergleich zu Schauspielern und Musikern, die auf Proben mit anderen Kreativen zusammenarbeiten dürfen, und selbst die einsame Malerei spricht wenigstens verschiedene Sinne an und kann sich an wechselnden Orten abspielen. Gleicht man die triste Tätigkeit am Schreibtisch durch extremes Verhalten in der Freizeit aus, ist das der Gesundheit und Lebenserwartung auch nicht zuträglich.
Ich habe versucht, diese Erkenntnisse ernst zu nehmen. Keines der Kapitel ist länger als nötig. Dicke Biografien gibt es sowieso genug. Außerdem habe ich versucht, nicht allein vor mich hin zu schreiben, zum Beispiel habe ich viele Kapitel dieses Buches so früh wie möglich vorgelesen und verschickt. Die Zahl derer, die mir schon vor Jahren das Gefühl gegeben haben, ein Produkt in den Händen zu halten, obwohl es eigentlich erst ein Fünftel eines Buches war, ist so groß, dass ich hier unmöglich eine Liste von Namen einfügen kann.
Besonders dankbar bin ich für die Ermutigung durch jene, die mit Wirtschaftswissenschaft eigentlich nicht viel am Hut haben und die sonst nichts über Ökonomie lesen; für sie ist dieses Buch geschrieben.
Cantillons letztes Problem
RICHARD CANTILLON (CA. 1680–1734)
Was soll man nurmit seiner Zeit anfangen, wenn man gestorben ist, wenn man sich aus der Welt, in der zu leben man gewohnt war, verabschieden musste? Noch etwas Neues beginnen, etwas Versäumtes nachholen? Richard Cantillon jedenfalls, das wissen wir sicher, schrieb ein Buch über die Wirtschaft, ein richtiges Buch, kein Hauch im Friedhofsnebel, sondern ein Werk, das 1755 gedruckt wurde.
Das alles wäre fast in Vergessenheit geraten, hätte der britische Ökonom und Philosoph William Stanley Jevons das Buch nicht wiederentdeckt und 1881 in der Contemporary Review gewürdigt – was dadurch sehr erleichtert wurde, bemerkte Jevons in einer Fußnote, dass er eines der wenigen erhaltenen Exemplare in seiner privaten Bibliothek »gefunden« hatte, nachdem er es viele Jahre zuvor in Paris »zufällig gekauft hatte«.
Man kann Jevons nicht nur zu seinem Fund gratulieren, sondern auch zu seiner disziplinierten Lektüre – ein Lesevergnügen ist das Buch nicht. Die drei Kapitel, die den bedeutendsten Beitrag zur Geldtheorie leisten, heißen
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