RobertsonRobertson interpretierte die aus diesen kumulativen Prozessen resultierende Krise positiv als „Reinigungskrise“, in der schwache Unternehmen aus dem Markt ausscheiden und Platz für neue, kreative und tüchtigere Unternehmen schaffen. Daher hielt er es für falsch, die Krisen zu verhindern.
Keynes folgt WicksellWicksell und RobertsonRobertson darin, dass Preisänderungen durch Diskrepanzen zwischen den zinsabhängigen InvestitionenInvestitionen und Ersparnissen ausgelöst werden. Damit wendet sich Keynes von der früher von ihm noch vertretenen QuantitätstheorieQuantitätstheorie ab. Wie bei Wicksell und Robertson beeinflussen die BankenBanken den MarktzinsMarktzins durch ihre Kreditvergabe. Keynes geht über beide hinaus, indem er auch die Entscheidungen der Geldvermögensbesitzer einbezieht. Diese nehmen durch ihre Wahl zwischen Spareinlagen, Wertpapieren und Käufen von Investitionsgütern Einfluss auf die Höhe der Marktzinsen. Ihre Anlageentscheidungen hängen von unsicheren ErwartungenErwartungen über die Erträge der einzelnen Anlageobjekte ab.
Keynes betont, dass die InvestitionenInvestitionen (damit sind hier immer Investitionen in Sachwerte gemeint) zwar auch vom ZinssatzZinssatz abhängen, aber vor allem von den ErtragserwartungenErtragserwartungen der Unternehmen, die ihrerseits wegen der UnsicherheitUnsicherheit der Zukunft starken Schwankungen unterworfen sind. Daraus folgert er (1930/32, S. 371): „Wenn zwischen der Spartätigkeit und der Investitionstätigkeit ein Ungleichgewicht besteht, so ist dies sehr viel häufiger auf Schwankungen der Investitionstätigkeit zurückzuführen als auf plötzliche Veränderungen der Spartätigkeit, die vielmehr unter normalen Umständen ziemlich stetig verläuft.“
Wie Wicksell und Robertson konzentrierte Keynes seine theoretische Analyse darauf, die Änderungen des Preisniveaus zu erklären, die damals und wegen des Fehlens statistischer Informationen als repräsentativ für die konjunkturellen Schwankungen angesehen wurden. Im GleichgewichtGleichgewicht, wenn MarktzinsMarktzins und natürlicher ZinssatzZinssatz und damit InvestitionenInvestitionen und ErsparnisseErsparnisse übereinstimmen, erzielen die Unternehmen im Durchschnitt nur ihre normalen GewinneGewinne und sehen keinen Anlass, ihre Produktion auszudehnen. Übersteigen dagegen die Investitionen die Ersparnisse, fallen ExtraprofiteExtraprofite (windfall profitswindfall profits) an, welche die Unternehmen veranlassen, ihre Produktion auszudehnen. Da Keynes – wie in der MikroökonomieMikroökonomie üblich – von steigenden GrenzkostenGrenzkosten ausging, hat dies einen preissteigernden Effekt. Sobald die steigenden Preise weitere Investitionen hervorrufen, weil die Unternehmen höhere Erträge aus ihnen erwarten, setzt ein kumulativer Prozess ein.
Keynes konzentriert seine Analyse auf die Erklärung der Preisniveauschwankungen, obwohl er schon bei seinen Stellungnahmen gegen die Rückkehr zum GoldstandardGoldstandard mit dem Problem der zu niedrigen Beschäftigung argumentiert hatte. Auch in seinem Vortrag an der Universität Chicago im Juni 1931, in dem Keynes die Argumentation seiner „Abhandlung vom Gelde“ vorstellte, führt steigende Nachfrage ausschließlich zu steigenden Preisen. Nur am Rande spricht Keynes von den Möglichkeiten eines sinkenden Produktionsvolumens.
Diese einseitige Ausrichtung auf die PreisstabilitätPreisstabilität ist zum einen auf die geldtheoretische und geldpolitische Tradition zurückzuführen, zum anderen auf das Fehlen jeglicher statistischer Informationen über die gesamtwirtschaftlichen Größen wie Gesamtbeschäftigung, Sozialprodukt, Höhe der InvestitionenInvestitionen, des Konsums oder der Ersparnis. Bekannt waren nur – abgesehen von der Preisentwicklung – Indikatoren über die Produktion einiger wichtiger Erzeugnisse, über die ArbeitslosenquoteArbeitslosenquote bei den versicherten Arbeitskräften und (sehr detailliert) über den Außenhandel.
Zur Krise vertrat Keynes eine andere Position als RobertsonRobertson: Er erachtete es als besser, Abweichungen zwischen den beiden Zinssätzen zu verhindern und damit für PreisstabilitätPreisstabilität zu sorgen, statt in der Krise produktive Ressourcen brachliegen zu lassen. Dafür ist eine GeldpolitikGeldpolitik nötig, die den Marktzinssatz so beeinflusst, dass er dem natürlichen ZinssatzZinssatz entspricht und InvestitionenInvestitionen und ErsparnisseErsparnisse einander gleich werden.
Die damalige KonjunkturanalyseKonjunkturanalyse litt nicht nur unter dem Mangel an gesamtwirtschaftlichen Daten, sondern auch und noch mehr an einer fehlenden Theorie zur Erklärung des Beschäftigungsniveaus. Dies führte dazu, dass in theoretischen Diskussionen zu derartigen Fragen stillschweigend von VollbeschäftigungVollbeschäftigung aller Ressourcen, also auch der Arbeitskräfte, ausgegangen wurde. Zwar erwähnt Keynes des Öfteren, dass sich im Laufe der Konjunkturschwankungen die Beschäftigung ändert, aber diese Änderungen haben keine klaren Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftlichen Größen Volkseinkommen, Konsum und Ersparnis.
Widersprüche und ungelöste Probleme
Keynes war schon bei Erscheinen seiner Abhandlung „Vom Gelde“ mit dem Buch unzufrieden, weil die Teile nicht alle harmonisch zusammenpassten. Die Hauptgründe für die von Keynes empfundenen Mängel liegen zum einen in der stillschweigenden (impliziten) Annahme der Vollauslastung aller Ressourcen einschließlich der VollbeschäftigungVollbeschäftigung aller erwerbswilligen Arbeitskräfte, die der herrschenden Ökonomie zugrunde lag, zum anderen in den ungelösten Fragen zum Zusammenhang von SparenSparen und Investieren und zu den Bestimmungsgründen der Ersparnis. In diesem Abschnitt soll die Problematik dargestellt und entwirrt werden.
Die stillschweigende Annahme der VollbeschäftigungVollbeschäftigung
Die Methode, bei der Analyse ökonomischer Probleme von der Vollauslastung aller Produktionsfaktoren (Arbeit und Sachkapital) auszugehen, hat in der Nationalökonomie eine sehr lange Tradition. Schon die Begründer dieser Wissenschaft (Adam SmithSmith, David RicardoRicardo) gingen von einer solchen Situation aus (kurzfristige Abweichungen waren denkbar). Dies lässt sich darauf zurückführen, dass zu ihrer Zeit (d.h. in den vier Jahrzehnten vor und nach 1800) die materiellen Güter zur Deckung elementaren Bedarfs an Nahrung, Bekleidung und Wohnen sehr knapp waren und die Produktionsmöglichkeiten den Umfang der produzierten Menge begrenzten. Die Vorstellung, es könne an Nachfrage nach Gütern zur Deckung der Grundbedürfnisse fehlen, lag in dieser Situation sehr fern.
Außerdem war ArbeitslosigkeitArbeitslosigkeit in der damaligen, von der LandwirtschaftLandwirtschaft dominierten Wirtschaft nicht so offensichtlich erkennbar, wie wir es heute gewohnt sind. Es gab weder statistische Erhebungen noch Arbeitslosenversicherungen, bei denen man die Zahl der Arbeitslosen hätte erfassen können. Erkennbar waren Armuts- und Hungersnöte. Wenn Industriearbeiter arbeitslos wurden, versuchten sie, durch Mithilfe in der Landwirtschaft ihren kargen Lebensunterhalt zu fristen. Sie kamen bei Verwandten auf dem Lande unter, sammelten Brennholz im Wald und versuchten so, über die Runden zu kommen. Oder sie wanderten aus, insbesondere in die USAUSA.
Sicherlich war in den politisch bestimmenden wohlhabenden Kreisen (1832 hatten in GroßbritannienGroßbritannien, dem fortgeschrittensten Lande Europas, nach einer hart erkämpften Wahlrechtsreform nur erst ca. 20 % der Männer das Wahlrecht) das Vorurteil weit verbreitet: Jeder, der arbeiten will, findet einen Arbeitsplatz.
Diesem Vorurteil entsprach die wissenschaftliche Argumentation; denn die Nationalökonomen betrachteten den ArbeitsmarktArbeitsmarkt prinzipiell als einen Markt wie jeden anderen. Werden z.B. auf dem Wochenmarkt mehr Tomaten angeboten als nachgefragt, so sinkt der Preis der Tomaten. Darauf reagieren die Nachfrager, indem sie mehr Tomaten kaufen, und die Anbieter, indem sie am nächsten Markttag weniger Tomaten anbieten. So ergibt sich alsbald ein Preis, bei dem Angebot und Nachfrage übereinstimmen.
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