»Bis Montag!«, rief ihr ein Kollege zu.
Sophie schüttelte den Kopf. »Nix da! Ich habe Urlaub!«
»Saint-Tropez? Oder Shopping in New York?«
»Viel exotischer.« Sie grinste. »Die kalte Ostsee! Fehmarn!«
Während der Kollege über den vermeintlichen Witz lachte, verschwand Sophie mit Pelle im Fahrstuhl. Sie konnte es nicht erwarten, endlich auf der Ostseeinsel zu sein. Sie brauchte dringend eine Luftveränderung und Zeit, über ihr Leben nachzudenken. Sie hatte es tatsächlich getan! Es war ihr nur um Rache gegangen, nachdem sie wusste, dass es aussichtslos war, von einer gemeinsamen Zukunft zu träumen. Aber Felix van Hagen hatte sie zuerst verraten.
Tina Sperber legte das Telefon zurück auf den Küchentresen. Sie war ziemlich überrascht gewesen, als Sophie sich vor ein paar Tagen spontan eingeladen hatte. Das letzte Mal hatten sie sich vor zwei Jahren gesehen und auch die Telefonate waren seltener geworden. Sie hatten nicht mehr viel gemeinsam. Mal wieder über alte Zeiten quatschen, hatte Sophie gesagt. Tja, die alten Zeiten, als sie noch Medizinstudentinnen waren und sich mit Modeljobs über Wasser hielten. Für ein paar Monate hatten sie sich sogar eine kleine Wohnung geteilt. Tina lächelte. Wie viele Nächte hatten sie auf dem winzigen Balkon Zigaretten geraucht und über ihre Zukunft spekuliert? Es kam ihr heute vor wie ein anderes Leben. Das Studium hatten sie beide nicht beendet. Sophie hatte damals abgebrochen, um professionell zu modeln und sie war Stefan über den Weg gelaufen. Eigentlich war sie mit dem Auto unterwegs gewesen und das mit Promille. Der nette Polizist hatte sie mit einem blauen Auge davonkommen lassen, nachdem er ihre Personalien aufgenommen hatte. Einen Tag später hatte er angerufen und sie zum Essen eingeladen. Als Stefan ihr einen Antrag gemacht hatte, hatte sie nicht eine Sekunde gezögert. Ihr Glück war perfekt, als sie nach einem Jahr schwanger wurde. Jetzt waren sie zu fünft. Stefan war mittlerweile Kriminalhauptkommissar in Lübeck. Dort hatten sie die ersten Jahre gelebt, bis zum plötzlichen Unfalltod ihrer Eltern vor drei Jahren. Tina hatte das Haus auf Fehmarn geerbt und sie hatten beschlossen, es zu einem neuen Heim für ihre eigene Familie zu machen. Sie wollten ihre Kinder an der Ostsee aufwachsen sehen. Es hatte fast zwei Jahre gedauert, bis der alte Kasten modernisiert und zu einem echten Schmuckstück geworden war. Stefan versuchte jeden Abend nach Hause zu kommen und blieb nur in Lübeck, wenn es gar nicht anders ging. Seit Finn auf der Welt war, verbrachte er jede freie Minute bei seiner Familie. Wie auf ein Stichwort begann Finn zu krähen. Tina ging nach oben ins Schlafzimmer, um ihr Baby zu stillen. Von ihrem Schaukelstuhl konnte sie auf das Meer sehen. Kleine Schaumkronen kräuselten sich im Sonnenlicht. Am Himmel waren nur wenige Wolken zu sehen. Der Juli feierte seinen Einstand mit traumhaftem Wetter. »Wir werden einen tollen Sommer haben, kleiner Schatz.« Ihr Blick fiel auf die neuste Ausgabe der ›Stars & Style‹, die auf dem antiken Beistelltischchen lag. Das Titelblatt zeigte den mit Baseballkappe getarnten Felix mit einem kleinen Mädchen. Im Magazin waren noch weitere Bilder. Natürlich war die Qualität der Paparazzifotos nicht die beste, doch was machte das schon? Van Hagen stand als Lügner da. Warum ließ Sophie zu, dass man ihn auf so üble Weise an den Pranger stellte? Hatte sie es nicht verhindern können? Sie war doch ganz froh gewesen, dass Felix in Wirklichkeit nicht der treue Gatte war. Tina war am Anfang skeptisch gewesen. Sie wünschte Sophie eine ehrliche Beziehung mit einem Mann, den sie nicht teilen und verheimlichen musste. Doch Sophie schien glücklich zu sein. Zumindest behauptete sie das immer am Telefon und schwärmte von den unglaublichen Reisen, die sie zusammen machten. Sophie konnte sich köstlich darüber amüsieren, wie Felix und sie die Öffentlichkeit austricksten, damit ihre Affäre nicht aufflog. Und jetzt veröffentlichte ausgerechnet die ›Stars & Style‹ diesen Artikel. Das war doch kein Zufall. Tina zuckte zusammen. Hatte Sophie den Artikel gar nicht verhindern wollen? War die Affäre beendet? Aber auch wenn es zwischen den beiden aus sein sollte, war das keine ausreichende Erklärung für so einen Vernichtungsschlag. Schaudernd erinnerte sie sich an den Kinofilm ›Eine verhängnisvolle Affäre‹. Die Tür flog auf und Antonia und Paul stürmten ins Zimmer.
»Mama! Paul ist so doof! Er hat meinen Teddy mit Sonnenmilch eingeschmiert!«
»Pst! Seid bitte leise.« Tina seufzte und sah die beiden ernst an. Die zwei waren einfach so niedlich und es fiel ihr immer schwer, zu schimpfen. »Paul! Du sollst Antonias Sachen doch in Ruhe lassen!«
Der kleine Kerl blickte verschmitzt aus der Wäsche. »Sonst macht Sonne aua, Mami.«
»Und ihr sollt hier nicht reinplatzen, wenn ich Finn stille. War das nicht so abgemacht?« Beide Kinder nickten brav. »Antonia, bitte pass ein bisschen auf Paul auf. Du bist doch mein großes Mädchen.«
Ihre Tochter strich sich mürrisch eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Bringt Tante Sophie Pelle mit?«
Die Kleine verblüffte sie immer wieder. Das letzte Mal hatte Antonia den Hund vor über zwei Jahren gesehen und da war sie grade mal drei gewesen. Offensichtlich hatte sie den schokoladenfarbenen Labrador nicht vergessen.
»Pelle, Pelle!«, schrie jetzt auch der dreijährige Paul.
Tina lachte leise. »Aber Paul, du kannst dich doch gar nicht mehr an Pelle erinnern.«
Paul stampfte mit dem Fuß auf. »Wohl!«
Antonia verschränkte die Arme vor der Brust und stellte sich auf Zehenspitzen. »Kannst du nicht! Mama hat recht! Du warst doch noch ein klitzekleines Baby.«
Paul warf seiner großen Schwester einen wütenden Blick zu.
»Schluss jetzt! Pelle ist in zwei Stunden hier. Dann könnt ihr ihn streicheln und mit ihm spielen. Aber jetzt geht ihr in den Garten und streitet euch nicht. Ihr dürft euch ein Eis nehmen.« Die beiden stürmten aus dem Zimmer. Tina atmete durch und legte den satten Finn zurück in sein Bettchen. Sophie war eine vernünftige Frau. Wenn sie mit der Enthüllungsstory etwas zu tun hatte, musste sie einen triftigen Grund haben. Tina schluckte. Alles passte zusammen! Über alte Zeiten quatschen? Zwei Wochen lang? Nein! Irgendetwas musste passiert sein und aus diesem Grund kroch sie jetzt auch auf Fehmarn unter, anstatt sich in der Karibik zu bräunen. Es gab nur eine Erklärung. Felix van Hagen musste Sophie übel mitgespielt haben. Da gab es definitiv eine viel schlimmere Story hinter der Story.
Sophie lenkte ihr BMW-Cabriolet auf den freien Parkplatz vor ihrer Altbauwohnung in Eppendorf. »Mein Glückstag!«, rief sie. Pelle sah sie vom Beifahrersitz erstaunt an. Sie sprang aus dem Wagen und öffnete ihm die Tür. »Ein Parkplatz! Und das am Freitagnachmittag! Der Urlaub beginnt doch toll!« Sophie merkte, wie der Stress von ihr abfiel. Sie würde diese gute Laune festhalten und versuchen, nicht mehr an Felix zu denken. Statt den Fahrstuhl zu nehmen, rannte sie die Treppe hoch bis in den 4. Stock und schloss ziemlich außer Atem die Tür zu ihrer 120 Quadratmeter Jugendstilwohnung auf. Pelle hechelte und seine rosa Zunge schlurfte fast über das Parkett. »Mein Dicker, wir sind nicht gerade fit, was?«, stellte sie lachend fest und schleuderte die teuren Schuhe in die Ecke. »Aber wir werden die zwei Wochen nutzen und uns ein bisschen in Form bringen!« Ihr Koffer stand bereits gepackt im Flur. Eigentlich hatte sie noch kurz duschen wollen, aber jetzt konnte sie gar nicht schnell genug aufbrechen. Sophie schlüpfte in einen bequemen Kapuzenpulli und Turnschuhe. 10 Minuten später saß sie mit Pelle schon wieder im Wagen. »Nun machen wir Ferien: Strand und Meer, joggen und kleine Kinder.«
Pelle bellte zustimmend, als ob er jedes Wort verstanden hätte. Fehmarn! Unspektakulär, aber sie freute sich trotzdem. Wahrscheinlich brauchte sie dringender etwas Ruhe, als sie sich eingestehen wollte. Natürlich war es schön Tina zu sehen, aber dazu hätte auch ein verlängertes Wochenende gereicht. Der wahre Grund für ihren Besuch war, dass sie auf der Insel genug Zeit haben würde, über die Geschehnisse der letzten Wochen nachzudenken und Kraft für einen neuen Start zu tanken. Eine unspektakuläre Gegend mit Deichen, Kühen und Seeluft würde sie nicht von ihren Problemen ablenken. In den letzten zwei Jahren hatte sie die schönsten Ecken der Welt gesehen. Felix hatte immer traumhafte Hotels gebucht. Diese gemeinsamen Wochen mit ihm waren wirklich die schönsten ihres Lebens gewesen. Und nun blieb dieser üble Nachgeschmack. »Vorbei!«, sagte sie laut und stellte das Radio an. Seit ihrer Kindheit war sie nicht mehr mit dem Auto in den Urlaub gefahren. Sie konnte sich noch gut erinnern, wie sie sich auf dem Rücksitz zwischen der Kühltasche und dem eingepackten Zelt gelangweilt hatte. Während des Studiums war sie zu Modeljobs um die halbe Welt geflogen. Irgendwann war sie mehr in Fotostudios und auf Laufstegen als in der Uni gewesen. Sie hatte beschlossen, erst einmal ein paar Jahre Geld zu verdienen. Das Studium wollte sie später wieder aufnehmen, doch es kam anders. Sie bekam das Angebot, eine Kolumne für ein Modemagazin zu schreiben. Die Arbeit hatte ihr so viel Spaß gemacht, dass sie sich nicht mehr vorstellen konnte etwas anderes zu ihrem Beruf zu machen. Sie hatte bei verschiedenen kleinen Zeitungen hart gearbeitet und später bei einem Fernsehsender volontiert. Dort hatte man sie als Polizeireporterin eingesetzt. Das war zwar absolut nicht die Art von Arbeit, die sie machen wollte, doch sie hatte viel gelernt. Nach einem Jahr hatte sie eine feste Stelle als Redakteurin bei einer Tageszeitung bekommen. Ihr Bereich war Mode und Gesellschaft, und sie hatte sich schnell einen Namen gemacht. Vor zweieinhalb Jahren wurde sie von der ›Stars & Style‹ abgeworben. Als Klatschredakteurin war es nun ihr Job, alles über die Prominenz in Erfahrung zu bringen. Sie flog für das Magazin überall dorthin, wo die Schönen und Reichen feierten. Außerdem berichtete sie von den Aftershowpartys der großen VIP-Veranstaltungen und Preisverleihungen. Auf so einer Party hatte sie auch Felix kennengelernt. Sophie schaltete das Autoradio lauter. Bei guter Popmusik würde sie schon nicht melancholisch werden. Es war eben vorbei und sie hatte wieder Zeit für ihre alten Freunde. Sie musste nicht mehr auf einen Anruf von Felix oder seinem Assistenten warten, der ihr dann mitteilte, wo die Flugtickets für ihr Wochenende hinterlegt waren und in welchem diskreten Luxushotel sie sich treffen würden. Einen Skandal durfte sich der Saubermann des deutschen Fernsehens auf keinen Fall erlauben. Er war wirklich ein guter Schauspieler. Sie selbst hatte ihm doch auch geglaubt. Dabei war er schon immer skrupellos gewesen. Dass er seine Frau betrog, scherte ihn einen Dreck. Sophie hatte anfangs ein schlechtes Gewissen gehabt, doch Felix hatte ihr immer wieder versichert, dass seine Ehe nur noch auf dem Papier bestand. In ein paar Jahren, wenn er nicht mehr im Rampenlicht stehen würde, würde er sich scheiden lassen. Warum war sie nur so naiv gewesen? Er hatte sie mit der Scheidungsgeschichte doch nur beruhigen wollen. Er hätte sich nie von seiner Frau getrennt. Warum sollte er auch? »Fahr zur Hölle!«, zischte Sophie in den Gegenwind. »Du hast keine Ahnung, was ich durchmachen musste!«
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