»Jetzt hast du wieder Farbe im Gesicht. Gleich ist es besser«, erklärte er mitfühlend.
Sie atmete tief durch und tastete nach den Wannenrändern, um sich aufzustützen. »Ich muss schlafen. Bitte!«
Da war so ein Flehen in ihrer Stimme, das ihm gar nicht passte. Auch wenn sie zweifellos müde war, musste sie doch jetzt nicht weinerlich werden. Wasser war doch ihr Element. Ihr jämmerlicher Anblick machte ihn ein bisschen ärgerlich. Sie versuchte tatsächlich sich hochzuziehen, aber er hatte damit gerechnet. Schnell beugte er sich zu ihr hinunter und legte seine Hände um ihre Schultern. Sie streckte Hilfe suchend die Arme aus. Glaubte sie denn wirklich, dass er ihr wieder raushelfen würde? Jetzt, wo er sie endlich hier hatte? Als er sie tiefer drückte, öffnete sie irritiert die Augen. Selbst als sie unter Wasser war, starrten diese Augen ihn noch fassungslos an. Plötzlich war sie voller Energie. Wo nahm sie nur die Kraft her? Vor ein paar Minuten war sie doch kaum noch bei Bewusstsein gewesen. Sie kämpfte verzweifelt. Er hatte sie unterschätzt. Sie wand sich wie ein Fisch und schlug mit Armen und Beinen um sich. Sie trug noch immer ihren Neoprenanzug. Es war nicht einfach sie in dem engen Ding zu fixieren. Langsam stieg eine maßlose Wut in ihm auf. Warum musste sie es ihm so schwer machen? Er tat das hier doch nicht zum Vergnügen. Es musste sein. Der Gewissheit wegen. Plötzlich ließ sie sich zur Seite rollen und packte seinen linken Unterarm. Mit aller Kraft drückte sie dagegen. Seine Hand rutschte für einen Moment von ihr ab. Sie nutzte die Gelegenheit und bäumte sich auf. Sie versuchte zu schreien, doch ihrer Kehle entrang sich nur ein müdes Krächzen. Sie verpasste die Chance, neuen Atem zu holen, bevor er sie wieder unter Wasser drückte. Er konnte fühlen, wie ihre Kräfte schwanden. Es war fast komisch. Sie versuchte tatsächlich, unter Wasser zu atmen. Natürlich musste sie husten. Aber diese angstgeweiteten Augen passten nicht in sein Bild. Nein, so hatte er das nicht geplant. Sie sollte doch glücklich sein. Mit diesem Gesichtausdruck konnte sie ja Kinderherzen zu Eis gefrieren lassen. Er riss sie wütend hoch. Sie musste doch kapieren, um was es eigentlich ging. Sie spuckte Schaum und rang verzweifelt nach Luft. Er bemühte sich, seine Liebe in seine Stimme zu legen. »Was ist denn?«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Du liebst das Wasser doch. Du sollst in Frieden schlafen. Wehr dich nicht dagegen. Schlaf. Schlaf einfach ein!«
Er war fast verzweifelter als sie. Sie hustete noch immer und in ihren Augen lag das blanke Entsetzen. Warum verstand sie denn nicht, dass sie ihr Schicksal annehmen musste? Es kostete ihn unendliche Kraft, seine Enttäuschung zu verbergen und sie anzulächeln. »Keine Angst, ich bringe dich nicht in dein nasses Grab zurück. Ich lege dich in den warmen Sand.« Das dumme Ding hatte gar nicht zugehört. Fast gelangweilt brachte er es zu Ende. Nach ein paar Minuten schnappte sie nur noch wie ein kleiner Fisch. Es war fast niedlich. Seine Laune besserte sich. Er formte mit seinem Mund ein Fischmaul und schnappte synchron mit. Einen Moment später war es vorbei. Sie rührte sich nicht mehr. Er beschloss, auf Nummer sicher zu gehen und wartete noch ein paar Minuten, bevor er seine Hände löste. »Ausgeschnappt«, murmelte er und rieb sich die kalten Finger. Erschöpft stand er auf und streckte sich. Erledigt. Neugierig betrachtete er das Ergebnis. Sie sah einfach nur tot aus. Ohne große Lust nahm er den Fotoapparat und machte ein Bild. Und wenn es gar nicht stimmte? Wenn Ertrinken doch kein angenehmer Tod war? Ihm lief ein kalter Schauer über den Rücken. Gott, was für eine entsetzliche Vorstellung. Damit würde er nicht zurechtkommen. Er atmete tief durch. Wahrscheinlich war sie einfach nur das falsche Mädchen.
Freitag
Sophie Sturm stand mit den anderen Redakteuren und dem Chefredakteur der ›Stars & Style‹ im gläsernen Konferenzraum des Verlagshauses. Der Champagnerkorken knallte und die Gläser wurden vollgeschenkt.
»Auf Sophie!«, rief jemand.
Sophie nickte und hob ihr Glas. Ihre blonde Mähne war lässig zusammengebunden und ihre langen Beine steckten in einer Designerjeans. Über dem schlichten T-Shirt trug sie eine cremefarbene Chaneljacke. Sie wusste, dass sie gut aussah, doch sie fühlte sich nicht wohl in ihrer Haut. Obwohl der Erfolg der neusten Ausgabe des Hochglanzmagazins allein auf ihr Konto ging, war sie nicht in Feierlaune. Natürlich war das Aufdecken von Geheimnissen der Stars und Sternchen das tägliche Brot einer Klatschredakteurin, doch dieses Mal hatte sie nicht professionell gearbeitet. Ihr Motiv war rein persönlich gewesen. Sophie blickte aus der riesigen Glasfront auf den Hamburger Hafen. Die Sonne glitzerte auf der Elbe und ein Containerfrachter machte sich, von Schleppern gezogen, auf in Richtung See.
»Sophie? Alles klar? Du guckst ja aus der Wäsche, als hätte ich dich gerade gefeuert«, scherzte ihr Chefredakteur. Die Kollegen kicherten und genehmigten sich noch ein Schlückchen. »Dabei bist du doch heute unser Star!« Feierlich wandte er sich wieder allen zu. »Leute, ich hab die neusten Verkaufszahlen. Pole Position! Diesmal haben wir die anderen Blätter weit abgehängt.«
Es wurde gejohlt und geklatscht. Sophie setzte ein Lächeln auf und schielte auf ihre Uhr. Eine Viertelstunde würde sie den Quatsch zwangsläufig noch mitmachen müssen, aber keine Minute länger.
»Auf Sophie! Und auf Felix van Hagen und sein kleines Geheimnis!«, riefen die Kollegen.
Das kleine Geheimnis war fünf Jahre alt und geheim war es seit heute nicht mehr, dafür hatte sie gesorgt. Der beliebte Showmaster hatte eine uneheliche Tochter. Nicht mal Boris Becker und die Wäschekammeraffäre hatten die Nation so empört. Van Hagen war seit zwölf Jahren mit einer hübschen Französin verheiratet und hatte zwei Kinder. Er präsentierte seine perfekte Familie gerne vor der Presse und gab sich als strenger Moralapostel, für den vor allem Treue und Familienglück zählten. Sophie fröstelte. Nun wusste jeder, wie verlogen er wirklich war. Die Enthüllungsstory war die Geschichte des Jahres. Auch wenn ihr Name nicht auftauchte, konnte Felix sich denken, dass sie für den Artikel verantwortlich war. Sophie nahm die Glückwünsche entgegen und versuchte gelassen zu wirken. Sie war froh, dass sie nicht allein war. Pelle wich nicht von ihrer Seite. Der braune Labrador verstand sie ohne Worte. Er gähnte mehrmals lang und ausgiebig, um ihr zu zeigen, dass er sich langweilte. Sophie zwinkerte ihm zu und gab ihm zu verstehen, dass sie nicht mehr lange bleiben würden. Plötzlich wurde wieder gejubelt. Die Boulevardnachrichten hatten die explosive Meldung natürlich zum Hauptthema gemacht. Felix’ Gesicht flimmerte über den Fernsehbildschirm. Sophie kannte es sehr gut. Sie hatte ihn geliebt. Aber wer liebte ihn nicht? Seine Shows waren Straßenfeger und er war der ungeschlagene Quotenkönig. Auch wenn er mit 58 nicht mehr der Jüngste war, gab es keine Altersstufe, die von seinem Charme und seinem Witz nicht verzaubert war. Bis jetzt. Sie hatte nur den Stein ins Wasser geworfen. Für die Wellen konnte sie nichts, versuchte sie sich zu beruhigen. Geld hatte Felix zwar mehr als er jemals ausgeben könnte, doch der Imageverlust würde ihm schwer zu schaffen machen. Sie hatte eine Lawine losgetreten. Er steckte in echten Schwierigkeiten und das hatte sie beabsichtigt. Trotzdem fühlte sie nicht den erhofften Triumph. Sophie stürzte den Rest Champagner hinunter. Es wurde Zeit, dass sie abhaute. Sie musste noch schnell heimfahren, sich umziehen und ihren Koffer holen. Sie musste mal weg von allem. Ihr Arzt hatte ihr eine Auszeit dringend ans Herz gelegt. Sophie entschuldigte sich bei der Schampus trinkenden Meute, die sofort aufheulte, dass sie doch noch nicht gehen könnte. Pelle sprang auf und folgte ihr. Sophie wusste, dass die Kollegen nur darauf gewartet hatten, dass sie verschwand. Jetzt konnten sie endlich laut aussprechen, was ihnen unter den Nägeln brannte. Warum hatte Sophie als Einzige davon gewusst? War an den Gerüchten doch was dran? Sophie und Felix? Hatte er sie abserviert? War sie es leid, nur die Geliebte zu sein? Sophie konnte spüren, wie sie ihr nachstarrten. Sie eilte zu ihrem Schreibtisch. Pelle sah sie fragend an. »Ich bin gleich so weit mein Dicker«, beruhigte sie ihn und sammelte ihre wichtigsten Unterlagen zusammen. Dann griff sie ihr Handy. Während sie tippte, kraulte sie dem Labrador den Nacken. »Gleich sind wir raus hier!« Am anderen Ende der Leitung wurde abgenommen. »Tina? Hallo! Nee, ich habe nur mit Pelle gesprochen. Wir sind noch in Hamburg, aber wir fahren jetzt los.« Während Sophie telefonierte, packte sie die letzten Sachen in ihre Tasche und lief los. Pelle tänzelte hinter ihr her. »Wir müssten so in zwei Stunden bei euch sein. Ich freu mich! Bis nachher!« Sie klappte ihr Handy zu.
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