1 ...8 9 10 12 13 14 ...46 Olli versuchte, seinem schmerzenden Schädel noch einen klaren Gedanken zu entlocken. »Unsere waren doch am Abend alle wieder da und als wir bei Sonnenuntergang am Strand saßen, war auch sonst niemand mehr draußen.«
»Schon, aber diese Sandra ist auch nachts noch mal raus«, gab er zu bedenken. »Verdammte Scheiße! Wir haben doch so oft vor so beknackten Aktionen gewarnt! Wie kann man überhaupt auf so eine beschissene Idee kommen?«
Olli wusste keine Antwort. Die Männer waren dabei, den leblosen Körper auf die Bahre zu legen. Eine lange blonde Haarsträhne hing seitlich herab. Er kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Nein, das war doch unmöglich! Sarah hatte auch solche blonden Locken. Olli fiel auf die Knie und kotzte.
»Mein Gott!« Ben hockte sich neben ihn und hielt seine Schultern. »Was ist denn?«
Er schaffte es, ihren Namen zu flüstern, bevor er sich erneut übergeben musste. Ben sprang auf und rannte an den Polizisten vorbei. Olli setzte sich erschöpft ins Gras und wischte sich den Mund mit seinem T-Shirt ab. Sein Kopf war kurz davor zu zerspringen. Verdammt, er musste sich erinnern. Was war nur passiert? Sie hatten gestritten. Sarah hatte mit ihm Schluss gemacht. Ja, sie würde einen anderen Mann lieben, das waren ihre Worte. Dann hatte er sich betrunken. Er war so unendlich wütend gewesen. Er hätte sie tatsächlich umbringen können. Ben kam zurück und griff nach seinem Arm.
»Olli, komm! Du musst unter die Dusche. Bitte! Ich bring dich zu deinem Wohnmobil.«
»Sie ist es, oder?«
»Ich weiß es nicht. Sie haben den Reißverschluss zugemacht, bevor ich sie genauer sehen konnte, aber ich fürchte, es ist tatsächlich Sarah.«
»Vielleicht ist es meine Schuld!«
Ben sah ihn verständnislos an. »Deine Schuld? Wie soll das denn deine Schuld sein, wenn sie sich nachts auf dem Wasser rumtreibt? Sie war doch keine Anfängerin. Sie wusste, dass das saugefährlich ist. Du kannst doch nicht hellsehen und außerdem warst du stockbesoffen.«
Olli nickte. Genau das war ja sein Problem. Er konnte sich einfach nicht erinnern. Hatte er wirklich die ganze Nacht in seinem Wohnmobil verbracht?
Tina spürte, wie jemand ihren Arm schüttelte. Verwirrt schlug sie die Augen auf.
»Mama! Gibt es heute gar nichts zu essen?«
»Wir haben doch so Hunger!«, erklärte nun auch Paul.
Ihre beiden Großen standen in Schlafanzügen an ihrem Bett. Finn lag neben ihr und schlief. »Hey, guten Morgen ihr Süßen! Wie spät ist es denn? Halb acht! Ach du liebe Güte! Ihr seid früh dran heute!« Sie rappelte sich hoch und nahm ihren Kleinsten vorsichtig in den Arm, um ihn wieder in seine Wiege zu legen.
»Du musst trotzdem aufstehen«, meinte Antonia ernst. »Du musst Frühstück machen, damit wir Kinder nicht verhungern!«
Tina grinste und legte den Finger auf die Lippen. »Pst. Seid leise, damit Finn noch ein bisschen schlafen kann.« Zusammen schlichen sie aus dem Schlafzimmer. »Antonia, hol dir mal Unterwäsche und ein Kleid aus dem Schrank. Ich ziehe inzwischen Paul an. Wir treffen uns im Bad.« Antonia nickte verschwörerisch und trottete los. Eine Viertelstunde später waren sie in der Küche versammelt. Tina machte den Kindern Kakao und stellte den Backofen an.
»Du, Mama, Pelle ist gar nicht da!«
Tina bekam einen Schreck. Stilldemenz. Das war mal wieder ein Beweis. Sie hatte total vergessen, dass sie Besuch hatte. »Vielleicht schlafen die beiden noch. Ihr esst jetzt erst mal ein paar Kekse und ich sehe mal im Gästezimmer nach.«
»Kekse! Kekse!«, kreischte Paul.
»Sophie ist aber gar nicht in ihrem Bett«, informierte Antonia wichtig. »Ich habe nachgesehen. Aber sie hat etwas auf einen Zettel geschrieben.«
»Und wo ist der Zettel?«
»Und wo sind die Kekse?«
Tina öffnete den Schrank und schnappte eine Packung Butterkekse.
»Keine mit Schokolade?«, beschwerte sich Antonia.
»Nein! Wo?«
»Auf ihrem Bett.«
Tina marschierte nach oben. Tatsächlich. Auf dem Kopfkissen fand sie die Nachricht: ›Wir sind joggen!‹ In diesem Moment meldete sich Finn. Tina nahm ihn mit nach unten. In der Küche war bereits der erste Streit ausgebrochen.
Antonia brüllte ihren kleinen Bruder an. »Pelle ist mein Hund! Ich kenne ihn schon viel länger.«
»Aber mich mag er lieber!«
Gleich würde wieder einer heulen. Schon schluchzte Antonia los. »Paul ist so fies!«
Tina sah die beiden ernst an. »Pelle liebt Sophie am allermeisten, okay? Aber er hat euch beide sicher gleich gern. Es gibt gleich Frühstück.«
Sie war gerade dabei, die Eier abzuschrecken, als sie den Wagen hörte. »Da kommt Papa!«, rief sie den Kindern zu. Der Audi stoppte quietschend auf der Einfahrt. Tina lief zur Haustür und öffnete. Stefan sah furchtbar aus, doch, was sie noch mehr irritierte, war, dass auch Sophie und Pelle bei ihm waren. »Was ist denn?«, fragte sie verwirrt. Stefan gab ihr einen flüchtigen Kuss. Er roch grauenhaft.
»Lass dir die Geschichte doch von Miss Marple erzählen. Mir reicht es für heute!«
Tina sah erschrocken zu Sophie, doch die schüttelte nur den Kopf und ging mit Pelle nach oben. Irgendwas stimmte da ganz und gar nicht! Was war denn nur passiert?
Stefan wollte nur noch unter die Dusche und endlich schlafen. Vorher musste er aber noch den Staatsanwalt informieren, dass er die Leiche ohne wirkliche Begründung nach Lübeck hatte bringen lassen. Nichts konnte schlimmer sein als das, was in den letzten Stunden geschehen war. Und dann noch Sophie! Er hatte jetzt schon genug von ihr und das Wochenende hatte noch nicht einmal richtig angefangen. Stefan wusste, dass sie sich nicht vom Herumschnüffeln abhalten lassen würde. Er hätte sich die Warnung auch sparen können.
»Papa! Papa, Pelle ist hier und er hat Sophie mitgebracht!«
Antonia und Paul warfen sich in seine Arme. Stefan drückte sie fest an sich. In diesen Sekunden vergaß er alles. Er war ein glücklicher Mann. Ohne seine Familie wäre er sicher schon im Irrenhaus. »Hey! Ich hab euch vermisst! Was macht denn euer Bruder?«
Paul zuckte mit den Schultern. »Ach, der sagt nie was.«
»Natürlich nicht!«, kommentierte Antonia. »Er ist doch noch ein Baby. Komm Papa! Wir haben Frühstück gemacht.« Sie nahm seine Hand und zerrte ihn zum Esstisch. Auch wenn alles sehr lecker aussah, verspürte er keinen Hunger. Sein Kleinster lag in der Wippe und maulte leise. Beim Anblick seines kleinen Sohnes musste er wieder an das Baby vom Dach denken. Er musste sich zusammenreißen. »Na, kleiner Mann!« Stefan strich Finn über die Wange. »Ich bins, Papa! Da musst du doch nicht meckern.«
»Er verlangt sein zweites Frühstück und er hat die Hose voll«, erklärte Tina.
Stefan hatte sie gar nicht kommen hören.
»Setz dich doch.«
»Ich würde gern duschen und muss telefonieren.«
»Gleich, Schatz.« Tina gab ihm einen Kuss und nahm das Baby auf den Arm. »Ich leg Finn in Antonias Zimmer, dann hast du im Schlafzimmer deine Ruhe. Sei so lieb und pass kurz auf die Kinder auf. Fangt doch schon mal an zu essen!«
Stefan schüttelte schweigend den Kopf. Er würde auf der Stelle einschlafen und mit dem Gesicht in einem belegten Brötchen landen.
»Ich will Kinderwurst!«, forderte Paul.
»Kann Sophie denn nicht kurz aufpassen?«, fragte er hoffnungsvoll.
»Sophie duscht gerade. Ich bin doch gleich wieder da.«
Sie duscht gerade! Neue Wut kroch in ihm hoch.
»Papa, du musst auch mal wieder duschen.«
Er sah seine Tochter an. Sie war wirklich das hübscheste kleine Mädchen, das er je gesehen hatte. Und sie war mindestens genauso pfiffig. Da stand ihm noch was bevor.
»Papa duscht ja gleich. Nun hole ich mir einen großen Becher Kaffee und dann schmieren wir Brötchen. Alles klar?« Die Kinder nickten zufrieden. Stefan ging um den Tresen herum zur Espressomaschine. Er zitterte und war sich nicht sicher, ob aus Erschöpfung oder vor Wut.
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