Kai von Westerman
Herr Maiwald,
der Armin und wir
In der Werkstatt der Sachgeschichten
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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar.
Abbildungsnachweis
Philipp Abresch ( S. 89
, 95
oben + unten, 99
); FLASH Filmproduktion (S. 59, 87, 95
Mitte, 103, 104); FLASH Filmproduktion, Jan Marschner (S. 80, 81); FLASH Filmproduktion, Anna-Lena Vogel (S. 143, 172
); Stephan M. Neuhalfen ( S. 61
); Peter Torringen (S. 136)
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Universitätsstr. 55 | D-35037 Marburg
www.schueren-verlag.de
© Schüren Verlag 2021
Alle Rechte vorbehalten
Gestaltung: Erik Schüßler
Gestaltung Umschlag: Wolfgang Diemer, Frechen;
Foto: Kai von Westerman
ISBN PRINT 978-3-7410-0399-8
ISBN eBook 978-3-7410-0157-4
Vorwort oder: Die andere Seite der Medaille von Armin Maiwald
1Was ist eine Sachgeschichte?
2Wer war «der Spatz vom Wallrafplatz»?
3Wie die Wirklichkeit ins Kinderfernsehen kam
4Wenn Kinder fernsehen
5Bezugspunkt: Wirklichkeit
6Warum «der Spatz vom Wallrafplatz» hier wichtig ist
7Bei den Fernsehnachrichten
8Im Haus des Filmemachers
9Die vergessenen Akkus
10Filmaufnahmen als neue Wirklichkeit
11Stress in der LINDENSTRASSE
12Warum man richtig Klappe-schlagen muss
13Neu im Biotop
14Maiwalds Filmteam
15«Wer das sieht, hat den Film nicht verstanden»
16Der Augenblick der Wahrheit
17«Eine Fabrik ist kein Filmstudio»
18Nichts gebaut, nichts gestellt – nur gut beobachtet
19Das eineindeutige Bild
20Der Filmhandwerker
21Köln, Altstadt-Nord von oben
22Dreh, Schnitt, schlafen, Dreh
23Pappkulissen, finstere Filmtricks und ein Kilo echtes Gold
24Ein großer Junge
25Eine ganz einfache Aufnahme
26Bloß kein Denkmal!
27Teil der Erzählung werden
28Ein erprobtes Filmteam
29Abbildungen der Wirklichkeit
30Kleinasien im Keller
31«Planung ist, wenn’s trotzdem klappt»
32Das Leben beim Film
33Die Möglichkeit des Scheiterns
34Teilnehmende Beobachtung
35«Wir hatten nichts»
36Aus nichts etwas machen
37Das Archiv unseres Alltags
38Der rohe Blick auf die Wirklichkeit
39Im Biergarten
40Besuch von einem alten Bekannten
Herr Maiwald, der Armin und – wer ist WIR? Nachwort von Heidrun Wilkening
Abspann
Anhang
Im Text erwähnte Film-/Serientitel von Armin Maiwald
Sonstiges
VORWORT
ODER: DIE ANDERE SEITE DERSELBEN MEDAILLE
VON ARMIN MAIWALD
Ja, ja, der Kai und ich. Mittlerweile arbeite ich mit ihm länger zusammen als mit jedem Kameramann zuvor. Aber unser Anfang war etwas holprig. Als ich ihn zum ersten Mal kennen lernte, hatte er noch ein paar spärliche Haare (hellblond) und einen dünnen Schnäuzer (auch hellblond). Das war bei der Geschichte mit dem «Fliegenden Schachbrett» (und dem vergessenen Kamera-Akku). Da war er noch Kamera-Assistent. Außerdem war er noch ein wenig übereifrig, wollte wahrscheinlich keine Fehler machen, was sich dadurch kundtat, dass er etwas vorlaut war. Das ist halt bei jungen Leuten so, wenn manchmal auch ein wenig nervig.
Als er dann später als Kameramann bei uns arbeitete, waren die Haare und der Schnäuzer weg. Die Glatze wurde sein Markenzeichen. Bei Sonnenschein durch eine Mütze geschützt. Und wir mussten uns erst zusammenraufen. Er hatte es auch wirklich nicht leicht mit mir. Ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt schon mit zahllosen erfahrenen Kameraleuten gedreht, zum Teil noch mit solchen, die die Stummfilmzeit noch mitgemacht hatten. Und jetzt kam da ein Neuer. Was Kai bis dahin gelernt hatte, waren Nachrichtenbilder. Aus dieser Zeit hat er auch heute noch jede Menge Anekdoten über Politiker und Pressekonferenzen parat. Gelegentlich lässt er davon eine vom Stapel und wir lachen uns schlapp.
Aber bei uns kamen nun ganz andere Anforderungen auf ihn zu. Dinge, um die er sich vorher nicht kümmern musste. Vor allem das Denken in dramaturgischen Zusammenhängen und Erzählbögen in einer längeren Geschichte. Davon ist bei den ‹NiFs› (Nachrichten im Film) kaum etwas vonnöten. Und wohlgemerkt: alles auf ‹richtigem› Film, mit Perforationslöchern und so, nicht auf Elektronik mit Kontrollmonitor, wo man alles sofort kontrollieren kann. Da muss man sich komplett auf den Kameramann verlassen, denn er ist der Einzige, der wirklich das sieht, was später für alle zu sehen sein soll.
Und was haben wir ihm nicht alles vor die Füße geworfen: Zeitraffer, Zeitlupen, knifflige Modellaufnahmen, Mikroskopaufnahmen, Animationen von Serienfotos (Beispiel: «Was macht Vitamin C in meinem Körper»…), unmögliche Kamerapositionen (hoch oben im Hubschrauber in der offenen Tür hängend) oder tief unter der Erde (im Abwasser oder im Gully oder auch in der Dekoration «Dünndarm»). In dampfenden und stinkenden Fabriken oder in solchen, wo man sein eigenes Wort nicht versteht. Und überall sollten es die richtigen (ich sage immer «zweckdienlichen») Bilder sein. Bilder, die dem «Zweck» «dienen», eine Geschichte spannend zu erzählen. Außerdem sollte er sich noch mit alten analogen Filmtricks auskennen, mit denen er im Nachrichtengeschäft nie etwas zu tun hatte.
Wir mussten auch erst ein Gefühl füreinander entwickeln, was der Eine meint, wenn er etwas sagt. Denn unsere Sprache (das Einzige, womit wir uns verständigen können) ist eine unerschöpfliche Quelle für Missverständnisse, und die waren anfangs nicht ausgeschlossen (Beispiel «Bauerntheater»). Und «den Augenblick der Wahrheit», also den Take beim ersten Versuch ‹in den Kasten zu kriegen› mussten wir uns erst erarbeiten.
Möglicherweise auch eine Art Allergie bei mir, aus der Zeit meiner eigenen Ausbildung. Ich war zum Klappe-schlagen eingeteilt und fuhr mit einem WDR-Team ins Ruhrgebiet. Dort sollte eine Episode von «Kumpel Anton und Cerwinski» (zwei Witzfiguren aus dem Ruhrgebiet) gedreht werden. Selbstredend auf Film.
Drehort war eine Wohnküche mit einer unglaublichen Atmosphäre, «echtes Ruhrgebiet», einfach toll und nicht zu erfinden. Der damalige Kameramann fing damit an, die Lampe über dem Küchentisch wegzuhängen, dann den Küchenschrank rauszutransportieren, das Fenster zu verhängen, dann Licht zu setzen, darauf fingen alle Kacheln an, zu glänzen. Und immer so weiter. Damals dachte ich, (ich war ja noch ganz neu) das müsste wohl so sein, aber ich fand es jammerschade. Und weil ich lernbegierig war, habe ich mir das fertige Stück dann in der Sendung angeschaut. Es war grauenhaft. Die ganze ehemals wundervolle Stimmung war im Eimer, das hätte man ebenso gut in einer Studioecke drehen können. Und ich schwor mir schon damals: Sollte ich jemals in die Verantwortung kommen (damals war noch nicht ansatzweise zu erwarten, dass aus mir irgendwann mal ein Regisseur werden könnte), so etwas darfst du nie, nie, nie machen. Daher mein Spruch «Fernsehen verändert die Wirklichkeit».
Und so musste ich mit Kai auch erst darauf hinarbeiten, die Stimmung eines jeden Drehortes so weit wie nur eben möglich zu erhalten. Eine Gratwanderung zwischen «gerade mal so hell, dass das Filmmaterial exponiert» und «studiomäßige Ausleuchtung» und dabei immer im Hinterkopf behalten: die technische Abnahme beim Sender, der immer alles gerne so hell und freundlich haben will, wie bei Sonne in der Südsee, und scharf von hier bis zum Nordpol. Bei jedem Dreh eine neue Herausforderung.
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