„Schonen, recht schonen soll er sich!“, ließ ihm Ludwig ausrichten, der inzwischen König geworden war. Aber Sailer, dessen robuste Natur mehrere Schlaganfälle überstand, widmete sich seinen Amtsgeschäften mit Hartnäckigkeit und Freude: Er führte regelmäßige Priesterexerzitien ein, baute den Unterhaltsfonds für alte und kranke Kleriker aus. Das Wichtigste war ihm die innere Erneuerung in den Reihen der Seelsorger, an denen er Habsucht, Anmaßung und Herzenshärte kritisierte.
Am 20. Mai 1832, mit achtzig Jahren, gab er Gott sein Leben zurück.
„Ich kann nicht halb lieben, dies kalte Blut fließt mir nicht in den Adern“
„Mein Herz hat noch keine Rinde angesetzt“
Wie die letzte Kurfürstin Maria Leopoldine (1776–1848) ihre Bayern vor dem Machtpoker der Habsburger rettete
So ein prächtiges Fest hatten die Münchner wohl noch nie gesehen, wie es Graf Rumford im Februar 1795 im Englischen Garten veranstaltete: Auf dem Kleinhesseloher See gab es Lustfahrten, im Apollo-Tempel wiegten sich die neun Musen im Tanz, eine Blaskapelle lud zu einer perfekt nachgestellten Bauernhochzeit, mit Hochzeitslader, Brautzug, Festschmaus und allem, was sonst noch dazu gehört. Am Abend tauchten Tausende von Lampions den ganzen Park in buntes Licht, und ein gerade in München eingetroffener Chinese in Nationaltracht hielt eine wunderliche Gratulationsrede an den Kurfürsten und seine Gemahlin.
Um die beiden ging es nämlich bei dem Spektakel: um Kurfürst Karl Theodor und seine bezaubernde Gattin Maria Leopoldine, die gerade geheiratet hatten, in Innsbruck. Die Münchner schauten sich die neue Regentin an, wie sie in Andacht versunken vor der Muttergottes in der Herzogspitalkirche kniete, und sie waren sofort begeistert. Die Gerüchte hatten nicht gelogen, die Maria Leopoldine ein apartes Äußeres, ein fröhliches Wesen und das Fehlen jeglicher Allüren bescheinigten.
Ein ungeliebter Hochzeiter
Eine peinliche Sache war diese Eheschließung trotzdem – zählte die hübsche Braut doch erst achtzehn Lenze, während der kurfürstliche Gatte im einundsiebzigsten Lebensjahr stand, körperlich verbraucht und geistig, nun ja, schon ein wenig senil. Die Münchner Lästermäuler hatten auch gleich ein hundsgemeines Couplet parat, das sie dem ungleichen Paar an allen Straßenecken hinterhersangen:
„O lieber Herr und Heiland,
was schickt der Herr aus Mailand?
Eine schöne Frau
für unsre alte Sau!“
Was erst einmal verrät, wie wenig die Bewohner der Residenzstadt – und nicht nur die – für ihren Kurfürsten übrig hatten. Man hielt ihn für einen misstrauischen Despoten, schwankend in seinen Überzeugungen, ohne Gefühlsbeziehung zu seinem Volk, einzig und allein interessiert an Erhalt und Vergrößerung der eigenen Macht. Er war ja ein importierter Herrscher ohne altbayerischen Stallgeruch, geboren in Drogenbusch bei Brüssel, lange Zeit in Mannheim residierend, ein kleiner Provinzfürst, der von seinem Großvater Pfalz-Neuburg und die Kurfürstenwürde geerbt, durch die (erste) Heirat mit seiner Cousine die wittelsbachischen Besitzungen am Niederrhein gewonnen und nach dem kinderlos gestorbenen bayerischen Kurfürsten Max III. Joseph auch noch ein vereinigtes Kurfürstentum Pfalz-Bayern bekommen hatte.
Ein „Glücksschwein“ nannte ihn sein Zeitgenosse Friedrich der Große respektlos, weil Karl Theodor, ohne sich anzustrengen oder auch nur einen Tag Krieg zu führen, ein riesiges Territorium zusammengerafft hatte. Über Nacht war er der drittmächtigste Regent im Reich geworden, nach dem deutschen Kaiser und dem König von Preußen. Glücklich war er trotzdem nicht mit dieser Konstellation. München, das erschien ihm als Provinz, bäuerlich, rückständig, viel zu bieder, verglichen mit dem weltläufigen Mannheim, das er in seiner Ägide zu einer Art westdeutschem Weimar ausgebaut hatte.
Am meisten nahmen ihm seine Bayern übel, dass er das weißblaue Territorium allen Ernstes gegen die habsburgischen Niederlande tauschen wollte, um König eines neu zu schaffenden burgundischen Reiches mit den Städten Brüssel, Düsseldorf, Mannheim zu werden. Zum Glück stemmten sich Friedrich der Große und die anderen deutschen Fürsten mit Händen und Füßen gegen eine solche Machterweiterung des habsburgischen Imperiums.
Fairerweise muss man dem ungeliebten Karl Theodor aber auch ein paar gute Seiten zugestehen. Er milderte die damals noch allgemein übliche Folterpraxis, verbesserte die Stellung der unehelichen Kinder, machte das sumpfige Freisinger Moos für eine Armensiedlung urbar, öffnete den Hofgarten für die Allgemeinheit, legte der eigenen Zensurbehörde Fesseln an – wenigstens zeitweise.
Im Ehebett ging es „nicht ganz gut“
Sei’s drum. Der Kurfürst mag nicht der menschenverachtende Popanz gewesen sein, den man zu Lebzeiten und auch noch später aus ihm machte – für die taufrische Italienerin kam die Ehe mit dem abgetakelten Lebemann einem Fegfeuer gleich. „Was schickt der Herr aus Mailand?“, sangen die Münchner. Maria Leopoldines Vater war der Erzherzog von Modena in der Lombardei, ein Sohn der Kaiserin Maria Theresia, er residierte in Mailand und hatte dort das berühmte Teatro della Scala gebaut. Eheschließungen in diesen Kreisen hatten wenig mit Liebe zu tun, dafür umso mehr mit Politik.
Maria Leopoldine, ein aufgewecktes, manchmal wildes Kind, verbrachte eine glückliche Jugend am Mailänder Hof, musste aber früh begreifen, dass ihr junges Leben Manövriermasse in der Hand des Habsburgerclans war.
Ich ward in einer Zeit erzogen, wo man dachte, dass die Damen und besonders die Prinzessinnen nicht viel Bildung nötig hätten (…), und man vernachlässigte das Wichtigste, unser Herz und unseren Geist zu bilden. Bestimmt, Opfer des Herkommens der Politik der Höfe zu werden, verfügte man über unsere Persönlichkeit und fand es sehr bequem, über kleine sehr willige Dummköpfe zu verfügen, die unfähig waren, den Zwang zu empfinden, den man auf ihre Persönlichkeit ausübte, und folglich keinen Widerstand dagegen leisteten.“
„Gottlob, dass er schon so alt ist!“, hatte sie erleichtert ausgerufen, als sie ihren künftigen Ehemann zum ersten Mal auf einem Aquarell erblickte. Nun war die Mailänderin also Karl Theodors Gemahlin geworden, und es kam, wie es kommen musste. Worüber man in München alsbald leise tuschelte oder auch laut lachte, das formulierte der österreichische Gesandte Graf Lehrbach in seinen Berichten an den Wiener Hof mit vornehmer Zurückhaltung: Man spreche davon, „dass es im Ehebett nicht ganz gut gehe“.
Es konnte ja auch nicht gut gehen. Auf der einen Seite das quirlige, springlebendige, unverschämt junge Mädchen mit dem Temperament einer Italienerin, der Neugier einer Philosophin und den Umgangsformen eines ungebärdigen Teenagers; wenn sie aufgeregt sei, verfalle sie in einen entzückenden alpenländischen Dialekt, erzählte man sich. Klassisch schön ist sie nach den erhaltenen Porträts nicht gewesen, aber schwarze Glutaugen, eine gerade Nase, tadellos weiße Zähne und dichte dunkle Haare verliehen ihr einen eigenartigen Reiz.
Auf der anderen Seite der Kurfürst, immer noch eine attraktive Erscheinung von „kräftiger Leibesbeschaffenheit“, wie Graf Lehrbach nach Wien schrieb, aber nach einem zügellosen Lebenswandel und mehreren Schlaganfällen in seiner Gesundheit merklich beeinträchtigt. Seiner blutjungen Gattin hatte er anfangs generös zugestanden, Hauptsache, sie schenke ihm einen Thronerben, er werde nicht danach fragen, wer der Vater sei. Aber als Maria Leopoldine Gebrauch von dem freundlichen Angebot zu machen begann und sich mit hübschen Männern ihres Alters umgab, war er seine Großvaterrolle schnell wieder leid. Er machte ihr lächerliche Vorschriften, ließ jeden ihrer Schritte überwachen, doch sie trickste seine Spione aus.
Читать дальше