Die enge Kooperation mit anderen Berufsgruppen, der Wissenschaft und der Politik, aber auch die stetige Schärfung des Berufsprofils sind so zu zentralen Elementen der Fortschreibung der Geschichte der Schulpsychologie in Deutschland geworden.
1.8 Vernetzung und Kooperationen
Nachdem Ende der 1990er Jahre noch Kürzungen und Stellenstreichungen die Schulpsychologie beherrschten, ist die Schulpsychologie seit den 2000er Jahre geprägt von Aufbruch und dem Streben nach Vernetzung.
Vor Ort wird die Schulpsychologie immer stärker in Konzepte der Jugendhilfe, der Polizei, der Sonderpädagogik und medizinischer Einrichtungen wie der Kinder- und Jugendpsychiatrie eingebunden. Kooperationsverbünde entstehen und schulpsychologische Kompetenzen werden auch auf landespolitischer Ebene bei der Umsetzung der Inklusion in Schulen, Gewaltprävention und Kriseninterventionen, Maßnahmen zum Kinderschutz in Schulen, gegen Rassismus oder gegen Schulverweigerung angefragt (
Teil III
– Fokus Lehrkräfte und System Schule).
Inzwischen ist die Schulpsychologie als Profession, die alle an Schule beteiligten Personen und das System Schule als Ganzes unterstützt, fest verankert. Wenige Felder der psychologischen Arbeit sind so breit aufgestellt wie die Schulpsychologie: Neben einzelfallbezogener Beratungsarbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen – oft mit therapeutischen Anteilen – finden sich Elemente der Erwachsenenbildung durch vielfältige Fortbildungsangebote, Supervision und Coaching, aber auch arbeits- und organisationspsychologische Anteile bei Team- und Schulentwicklungsprozessen im Aufgabenfeld. Krisenintervention und Gewaltprävention sind weitere Schwerpunkte. Die Begleitung von Schulen und allen daran beteiligten Personen in ihren aktuellen Themen und Herausforderungen aus schulpsychologischem Blickwinkel ist zu einem zentralen Baustein des Selbstverständnisses schulpsychologischer Arbeit geworden.
Außergewöhnliche Ereignisse sowie immer schnellere gesellschaftliche Veränderungen mit Auswirkungen auf das Leben und Lernen in der Schule erfordern laufend flexiblere und schnellere Antworten der Schulpsychologie in der Einzelfall- sowie in der Systemberatung. Dies führt zu einem Spannungsverhältnis zwischen wissenschaftlich evaluiertem psychologischen Handeln und der flexiblen Übertragung psychologischer Kompetenzen auf aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen.
So stellten Anfang 2020 die enormen Anforderungen an neue Unterrichtsformen mit Präsenz-, Distanz- und hybriden Lernformen durch die Corona-Pandemie sowie die folgende dynamische Digitalisierung von Schule und Unterricht alle Beteiligten vor ganz neue Aufgaben. Auch die Familien standen durch Distanzlernen im häuslichen Umfeld vor einer ganz neuen Situation. Oft selbst im Homeoffice tätig und mit eigenen Belastungen konfrontiert, mussten die Schulpsychologischen Beratungseinrichtungen sich als Unterstützung für Schulen und Familien bewähren und neue Beratungsformen entwickeln.
Zwar war die Schulpsychologie bis dahin geübt, auf schulische Krisenereignisse zu reagieren und Schulen konkrete Maßnahmen zur Stabilisierung anzubieten. Neu war jedoch die eigene Betroffenheit durch die Pandemie sowie das Herunterfahren der bestehenden Organisationsformen.
Solche Ereignisse und auch der deutliche Generationswechsel bei den Schulpsychologinnen und Schulpsychologen in den letzten Jahren werden immer wieder zu neuen Entwicklungen und Impulsen in der Schulpsychologie führen. Jedoch hat sich die Schulpsychologie als abwechslungsreiches Arbeitsfeld und unverzichtbares Unterstützungssystem für Schulen etabliert.
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2 Wissenschaftliches Selbstverständnis schulpsychologischen Handelns
Marcus Hasselhorn, Stefan Drewes und Klaus Seifried
2.1 Einleitung
2.2 Grundlage: Theorien und Befunde der wissenschaftlichen Psychologie
2.3 Herausforderung: Handeln unter Unsicherheit bei hohem Handlungsdruck
2.4 Umsetzung: Hypothetisch-deduktives Denken
2.5 Ausblick
Literatur
Schulpsychologie ist »angewandte Psychologie für die Schule« (BDP, 2018, S. 3) und basiert als solche auf den Erkenntnissen der akademischen Psychologie. Sie bedient sich der Theorien, Befunde und Methodologie der gesamten Psychologie. Insbesondere die Klinische Psychologie, die Pädagogische Psychologie und die Entwicklungspsychologie spielen als zentrale Bezugsdisziplinen eine große Rolle. Zudem greift sie auf die Theorien, Befunde und Werkzeuge der psychologischen Diagnostik, Sozialpsychologie, Arbeits- und Organisationspsychologie und anderer psychologischer Teildisziplinen zurück.
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