In Formgedächtnislegierungen wie Nitinol (NiTi) ist die sogenannte Zwillingsbildung ein wichtiger plastischer Verformungsmechanismus bei Raumtemperatur, wenn die sogenannte martensitische Phase vorliegt. Wird die Legierung erwärmt, so dass sich die martensitische Struktur in eine austenitische Struktur umwandelt, verschwinden die durch mechanische Verformung erzeugten Zwillinge wieder und damit auch die plastische Verformung, bevor die Legierung durch Abkühlen wieder in den martensitischen Zustand übergeht. Die Legierung hat sich an ihre ursprüngliche Form vor der plastischen Verformung ,,erinnert“.

Abb. 2.21 Drei Stapelfehler in Ni 3Al-Ausscheidungen einer einkristallinen Nickelbasis-Superlegierung für Turbinenschaufeln nach Verformung bei 950 °C (flächige Streifenmuster in der linken Aufnahme mit dem Transmissionselektronenmikroskop TEM mit Einstrahlrichtung [001]). Die Partialversetzung, die den Stapelfehler oben links verursacht hat, ist auf einer (111)-Ebene in die Ausscheidung eingedrungen, hat dann die Gleitebene gewechselt und die Ni 3Al-Ausscheidung über eine (111)-Ebene wieder verlassen. Die Partialversetzung, die den Stapelfehler unten rechts hinterlassen hat, ist komplett auf einer (111)-Ebene durch die Ausscheidung durchgelaufen und hat einen großen Stapelfehlerbereich hinterlassen. Die Partialversetzung unten links ist noch innerhalb der Ni 3Al-Ausscheidung sichtbar. Sie befindet sich aufderGleitebene (111) und erzeugt gerade einen Stapelfehler. Damit sind alle vier Gleitebenen an der plastischen Verformung bei dieser hohen Temperatur beteiligt. In der rechten Aufnahme wurde die Probe so gekippt, dass der Elektronenstrahl parallel zur [011] Richtung liegt und zwei der vier Gleitebenen, nämlich (111) und (111), auf Kante stehen. So konnten alle vier Gleitebenen vom Typ {111} eindeutig identifiziert werden.
Bei hohen Temperaturen wird die plastische Verformung verstärkt durch Diffusion. Dabei diffundieren die Atome und nehmen neue Plätze ein, um der äußeren mechanischen Spannung auszuweichen. Die Diffusion erfolgt sehr stark entlang der Korngrenzen, wo eine größere Unordnung als im Kristallgitter und damit mehr Platz für die Atome vorliegt. Das ist der Grund, warum im heißen Bereich einer Flugzeug- oder Gasturbine direkt hinter der Brennkammer einkristalline Turbinenschaufeln ohne Korngrenzen verwendet werden.
2.6 Zusammenhang zwischen Gitterstruktur und plastischer Verformbarkeit
Metalle mit der Gitterstruktur kfz (Gold, Silber, Aluminium, Kupfer, Blei, austeni-tischer Stahl) sind plastisch am leichtesten verformbar. Sie haben eine sehr hohe Packungsdichte. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine der vier Gleitebenen und damit eines der zwölf Gleitsysteme entsprechend dem Schmid’schen Schubspannungsgesetz günstig zur Lastachse orientiert ist und unter hoher Schubspannung steht, ist sehr hoch.
Metalle mit der Gitterstruktur krz (ferritischer Stahl, Wolfram, Chrom, Molybdän) haben zwar auch viele Gleitebenen und Gleitsysteme, aber eine geringere Packungsdichte. Sie sind plastisch etwas schwieriger zu verformen und damit fester als kfz Metalle, aber insgesamt immer noch recht gut umformbar.
Metalle mit der Gitterstruktur hdp (Titan, Magnesium) besitzen zwar wie kfz Metalle ebenfalls die größtmögliche Packungsdichte, haben aber nur eine Gleitebene. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Gleitebene günstig (45°) zur Lastachse orientiert ist und dort hohe Schubspannungen wirken können, ist statistisch sehr gering. Daher sind hdp Metalle unter normalen Umständen sehr fest und plastisch nur schwer verformbar ( Tab. 2.2).
2.7 Verfestigungsmechanismen in Metallen
Da jeder Kristallbaufehler ein Hindernis für eine Versetzung darstellt, können diese Gitterfehler gezielt in Werkstoffe eingebracht werden, um die Festigkeit, d. h. die Widerstandsfähigkeit gegen plastische Verformung, zu erhöhen. Wie auch die Kristallbaufehler lassen sich die Verfestigungsmechanismen gemäß der Geometrie der eingebrachten Gitterdefekte klassifizieren ( Tab. 2.3).
Tab. 2.2 Gleitsysteme in kfz, krz und hdp Metallen.

Tab. 2.3 Überblick über die typischsten Verfestigungsmechanismen.
Dimension |
Versetzungshindernis |
Verfestigungsmechanismus |
Festigkeitsanstieg |
0 |
Gelöste Fremdatome im Mischkristall mit Konzen tration c |
Mischkristallverfestigung |
 |
1 |
Versetzungen mit der Verset zungsdichte N |
Kaltverfestigung |
 |
2 |
Korngrenzen bei einer mittleren Korngröße d |
Feinkornverfestigung |
 |
3 |
Kohärente Ausscheidungen der Größe D (sowie teil- und inkohärente Ausscheidungen oder Fremdpartikel) |
Ausscheidungshärtung (Dispersionsverfestigung) |
 |
0D: Mischkristallverfestigung
Spannungsfelder von Fremdatomen sind Hindernisse für das Versetzungsgleiten ( Abb. 2.22). Einlagerungsatome führen zu einem höheren Festigkeitsanstieg als Austauschatome.
Abb. 2.22 Gitterverzerrung durch das Spannungsfeld eines Austauschatoms.
1D: Kaltverfestigung
Werden bei der plastischen Verformung zu viele Versetzungen generiert, behindern und blockieren diese sich gegenseitig beim Gleiten ( Abb. 2.23).
2D: Feinkornverfestigung
Versetzungen stauen sich an Korngrenzen ,,wie an einer Wand“, die sie durch Gleiten nicht überwinden können, da dort die Gleitebenen nicht mehr weiterlaufen ( Abb. 2.24). Feinkorngefüge haben viele Korngrenzen und damit viele Gleithindernisse (Feinkornhärtung).
Die Feinkornverfestigung führt nicht zu einer so großen Versprödung wie die Kaltverfestigung oder die anderen Verfestigungsmechanismen. Dies führt zu einer hohen Festigkeit bei gleichzeitig guter Zähigkeit. Allerdings ist die Feinkornhärtung wie auch die Kaltverfestigung nicht geeignet für den Einsatz bei hohen Temperaturen, weil Kornwachstum einsetzt und die Versetzungen ausheilen.

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