Im kfz Gitter (Gold, Aluminium, Kupfer, γ-Eisen) gibt es zwölf Gleitsysteme auf vier Gleitebenen mit jeweils drei möglichen Gleitrichtungen ( Abb. 2.16). Die Gleitsysteme sind vom Typ 1/2 ⟨110⟩{111}. Die Atome an der Versetzungslinie springen in dem Moment, in dem die Versetzungslinie über sie hinweggleitet, um die Hälfte einer Flächendiagonalen der kfz Elementarzelle in einer Richtung vom Typ ⟨110⟩, was einem Atomabstand im kfz Gitter in dieser dichtest gepackten Richtung entspricht, auf einer dichtest gepackten Ebene vom Typ {111}.
Im krz Gitter (a-Eisen) gibt es zwölf Hauptgleitsysteme vom Typ
⟨111⟩ {110}. In den sechs Gleitebenen vom Typ {110} existieren jeweils zwei Gleitrichtungen vom Typ ( 111 ) . Die Atome an der Versetzungsfront springen dabei um einen Abstand direkt aneinandergrenzender Atome entlang der halben Raumdiagonale vom Typ ⟨111⟩ auf Gleitebenen vom Typ {1 10}. Abbildung 2. 17zeigt die zwölf Hauptgleitsysteme des krz Gitters.
Da es sich beiden Ebenen vomTyp{110} nicht um wirklich dichtest gepackte Ebe-nen wie im kfz und hdp Gitter handelt, können geringfügig höhere mechanische Spannungen als die Fließgrenze auch zum Versetzungsgleiten auf anderen ähnlich dicht gepackten Ebenen führen, in denen die dichtest gepackten Richtungen vom Typ⟨111⟩ enthalten sind. Im krz Gitter sind das weitere zwölf Gleitebenen vom Typ {112} und 24 weitere Gleitebenen vom Typ {123}, die jeweils eine dichtest gepackte Gleitrichtung vom Typ ⟨111⟩ enthalten ( Abb. 2.18). In dieser Gleitrichtung springen die Atome an der Versetzungsfront wiederum um einen Abstand aneinandergrenzender Atome bzw. um Länge der Raumdiagonale. Es gibt also zwölf weitere GleitSysteme vom Typ
⟨111⟩ {112} und 24 weitere Gleitsysteme vom Typ 1/2⟨111⟩ {123}. So kommt das krz Gitter auf insgesamt 48 Gleitsysteme.

Abb. 2.17 Die zwölf Hauptgleitsysteme im krz Gitter. Es gibt sechs Gleitebenen vom Typ {110}, blau markiert. In jeder Gleitebene existieren zwei Gleitrichtungen vom Typ ⟨111⟩, rot markiert. Das ergibt zwölf Gleit systeme vom Typ
⟨110⟩ {111}. Die Atome an der Versetzungsfront springen dabei um die halbe Länge der Raumdiagonale vom Typ ⟨111⟩, d.h. um einen Abstand direkt aneinandergrenzender Atome.
Abb. 2.18 Im krz Gitter gibt es noch zwölf weitere Gleitsysteme des Typs 1/2⟨111⟩ {112} und 24 weitere Gleitsysteme vom Typ 1/2⟨111⟩ {123}. Es ist je eines dieser Systeme exemplarisch gezeigt. Die Gleitebene ist jeweils blau markiert, die Gleitrichtung vom Typ ⟨111⟩ rot.

Abb. 2.19 Die drei Gleitsysteme auf nur einer Gleitebene im hdp Gitter. Die rot markierten dichtest gepackten Ebenen sind kris-tallographisch identische Gleitebenen. Die dichtest gepackten Richtungen sind blau markiert. Die Atome an der Versetzungsfront springen dabei um einen Abstand direkt aneinandergrenzender Atome.
Abb. 2.20 Zeichnung zur Erläuterung des Schmid’schen Schubspannungsgesetzes (a). Dabei ist A (rot) eine Gleitebene, b die Richtung des Burgersvektors in dieser Gleitebene (Gleitrichtung, blau) und N die Ebenennormale der Gleitebene A . (b) Sichtbare Gleitebenenstufen (oben im Bild) an einer einkristallinen polierten Zugprobe. An diesen Stufen ist der Austritt Tausender Versetzungen auf Gleitebenen an der Oberfläche sichtbar. Gemäß Schmid’schem Schubspannungsgesetz sind die Gleitebenen aktiv, deren Neigung nahe 45° zur Normalkraft F liegt, auf denen also die größten Schubspannungen wirken.
Im hdp Gitter gibt es nur eine Gleitebene (001) mit drei Gleitrichtungen ⟨100⟩, ⟨010⟩ und ⟨110⟩. Das ergibt drei Gleitsysteme in nur dieser einen Gleitebene ( Abb. 2.19).
Bei angelegter Normalkraft F (z. B. Zugkraft) lässt sich die auf ein Gleitsystem wirkende Schubspannung gemäß dem Schmid’schen Schubspannungsgesetz berechnen ( Abb. 2.20).
Die Scherkraft Fb auf der Gleitebene A in Richtung des Burgersvektors b ergibt sich zu:
Die Schubspannung τ auf der Gleitebene A in Richtung des Burgersvektors b ist:
Mit
und der Normalspannung
ergibt sich durch Einsetzen das Schmid’sche Schubspannungsgesetz
Die Schubspannung t wird maximal, wenn die Winkel a und ß den Wert von 45° annehmen. Dann gilt
Die Gleitsysteme, die sehr nahe bei dieser Orientierung der maximalen Schubspannung liegen, werden (als erste) aktiviert. In kfz und krz Strukturen mit ihren vielen Gleitsystemen ist die Wahrscheinlichkeit, dass auf eines oder mehrere dieser Gleitsysteme bei Einwirkung einer äußeren Kraft F eine hohe Schubspannung τ wirkt, relativ hoch. In hdp Strukturen mit ihren wenigen Gleitsystemen ist diese Wahrscheinlichkeit eher gering. Auf Gleitsystemen ohne oder mit geringer Schubspannungskomponente ist plastische Verformung schwierig. Daher sind hdp Strukturen i. Allg. schlecht plastisch verformbar.
Im kfz Gitter haben die Atome aufgrund der Stapelfolge der {111}-Gleitebenen die Möglichkeit, statt in ⟨110⟩-Richtung auch in eine ⟨112⟩-Richtung zu springen. Man spricht dann nicht von einer vollständigen, sondern von einer partiellen Versetzung. Diese verursacht einen Stapelfehler der dichtest gepackten {111} Ebenen, also statt ABC ABC ABC gibt es nun eine Stapelfolge ABCACA BCA. Die rot markierte Ebene A vom Typ {111} soll dabei die Gleitebene der Versetzung sein. Bei drei übereinander folgenden Stapelfehlern spricht man von einem Zwillingsfehler. Solche Stapel-und Zwillingsfehler sind typisch für die kfz Austenitstruktur von rostfreiem ChromNickel-Edelstahl, aber auch für plastisch verformte Ausscheidungen der intermetallischen Phase Ni 3Al mit L1 2-Struktur in Nickelbasis-Superlegierungen, die auf der kfz Struktur basieren, oder in Formgedächtnislegierungen aus Nitinol (NiTi). Abbildung 2.21zeigt Stapelfehler in Ni 3Al-Ausscheidungen von Turbinenschaufeln.
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