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Dem EP gehören 705 Mitglieder an,[5] die sich nicht nach herkunftsstaatlichen Gesichtspunkten, sondern nach parteipolitischen Ausrichtungen organisieren (neben der parlamentsüblichen Fachstruktur in Ausschüssen). Die meisten Mitglieder des EP gehören daher staatenübergreifenden politischen Fraktionenan. Um den Fraktionsstatus zu erlangen, müssen sich mindestens 25 Mitglieder aus mindestens einem Viertel der Mitgliedstaaten (zur Zeit also sieben) zusammenschließen (Art. 33 Nr. 2 GO EP). Die Arbeit des EP wird ganz wesentlich von den zwei großen Fraktionen getragen, die bis 2019 zusammen mehr als die Hälfte aller Abgeordneten umfasst haben (Fraktion der Europäischen Volkspartei und die Progressive Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament).[6] Die eigentliche Integrationsleistung des EP erfolgt innerhalb dieser Parteienfamilien, in denen sprachliche, nationale und politisch-kulturelle Unterschiede (die es auch bei grundsätzlich ähnlicher politischer Ausrichtung gibt) verarbeitet werden.[7]
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Das EP ist das einzige kontinuierlich arbeitende Organ der EU, dessen Sitz sich auf drei verschiedene Orte verteilt: In Straßburg finden die zwölf monatlichen Plenartagungen statt, während die übrigen Plenarsitzungen sowie alle Ausschusssitzungen in Brüssel abgehalten werden. Die Verwaltung des EP (das Generalsekretariat) hingegen residiert in Luxemburg. Angesichts dieser für die praktische Parlamentsarbeit wenig zuträglichen Situation verwundert es nicht, dass es immer wieder Vorstöße aus dem EP zur Zentralisierung des Parlaments in Brüssel gibt. Da aber die Zuständigkeit für die Festlegung der Organsitze bei den Mitgliedstaaten liegt (Art. 341 AEUV, mit Einstimmigkeitsgebot), wird angesichts der verschiedenen nationalen (v.a. französischen) Interessen dieser kostenintensive und kontraproduktive Wanderzirkus-Charakter[8] wohl noch lange fortbestehen.
b) Parlamentsrechtliche Eckpunkte
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Die Abgeordneten werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier und geheimer Wahl für fünf Jahre gewählt (Art. 14 III EUV). Bei dieser Aufzählung fehlt nicht zufällig der Wahlrechtsgrundsatz der gleichen Wahl. Denn wie bereits erwähnt, ist die Wahlrechtsgleichheit nicht staatenübergreifend gewährleistet. Vielmehr bekommen die sehr kleinen EU-Staaten eine Mindestzahl von sechs Abgeordneten garantiert, während die Abgeordnetenzahl bei den großen EU-Staaten degressiv proportional abgeflachtwird. Umso größer die Wahlbevölkerung eines Staates ist, desto weniger steigt das nationale Abgeordnetenkontingent an und desto geringer ist das Stimmgewicht des einzelnen Wählers. Zudem ist die Höchstzahl der Abgeordneten auf 96 beschränkt, was für Deutschland als wählerstärkstes Mitgliedsland relevant ist. Damit beträgt das Stimmgewicht eines luxemburgischen Wählers ca. das Zehnfache gegenüber einem deutschen Wähler.[9]
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Nähere Einzelheiten des Wahlrechts regelt der Direktwahlakt(DWA), wonach eine Verhältniswahlvorgeschrieben und Sperrklauseln bis zu 5 % sowie eine Wahlkampfkostenobergrenze zulässig sind. Da der DWA (trotz des Regelungsauftrags in Art. 223 I AEUV) aber kein umfassendes Wahlrechtsgesetz darstellt, werden alle übrigen Details von den Mitgliedstaaten für ihr jeweiliges Abgeordnetenkontingent (in Deutschland also im Europawahlgesetz) geregelt.
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Die Rechtsstellung der Abgeordneten ist hauptsächlich im DWA sowie – vor allem – im sekundärrechtlichen Abgeordnetenstatut geregelt (Art. 223 II AEUV). Besonders hervorzuheben sind das Freie Mandat (Art. 2, 3), das Antragsrecht (Art. 5), das Akteneinsichtsrecht (Art. 6), das Recht zur Bildung von Fraktionen (Art. 8), die Diäten- und Versorgungsregeln (Art. 9-18) sowie die Regeln zur Sach- und Personalausstattung (Art. 21, 22). Hinzu kommen noch die an anderer Stelle[10] geregelte Immunität und Indemnität. Das ergänzende deutsche Europaabgeordnetengesetz sieht zudem (nur nationalrechtlich) einen Anspruch auf Wahlvorbereitungsurlaub und ein Zeugnisverweigerungsrecht vor (§§ 4, 6).
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Die jährliche Sitzungsperiode des EP beginnt stets am zweiten Dienstag im März (Art. 229 UA 1 AEUV). Die Kommission hat an allen Sitzungen ein Teilnahme- und Rederecht und ist zur Beantwortung dort gestellter Fragen verpflichtet (Art. 230 AEUV). Die Beschlüsse des EP erfolgen – soweit keine besonderen Mehrheiten vorgeschrieben sind – mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen (Art. 231 UA 1 AEUV). Mit der Mehrheit seiner Mitglieder gibt sich das EP eine Geschäftsordnung (Art. 232 UA 1 AEUV), die u.a. die Beschlussfähigkeit festlegt (Art. 231 UA 2 AEUV).
c) Hauptfunktionen
aa) Rechtssetzungsfunktion
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Für gewöhnlich gehört die Rechtssetzung zum Kernbestand parlamentarischer Aufgaben, weil das Parlament als Hauptorgan der gesetzgebenden Gewalt (Legislative) gilt. Das EP war jedoch zunächst lange Zeit ein bloßes Beratungsorgan ohne Entscheidungskompetenzen, bis sich in den Verträgen von Maastricht, Amsterdam und Lissabon viel getan hat. Deshalb stellt Art. 14 I 1 EUV das EP heute als Mitgesetzgeber auf die Stufe des traditionell in der Gesetzgebung starken (Minister-)Rates.[11]
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Allerdings ist noch nicht alles Gold, was glänzt: Die Rechtssetzungsfunktion des EP unterliegt – jedenfalls bei formaler Betrachtung– nach wie vor Einschränkungen. So verfügt es nur über ein beschränktes Initiativrecht, indem es nicht selbst ein Rechtssetzungsverfahren einleiten kann. Es kann nur die Kommission dazu auffordern, was diese aber (mit Begründungspflicht) auch ablehnen kann (Art. 225 AEUV). Außerdem ist es nur dann und soweit an der Gesetzgebung beteiligt, wie dies primärrechtlich vorgesehen ist. Im politischen Prozess hat es sich jedoch mittlerweile eine dem Rat (weitgegend) ebenbürtige Stellung erkämpft, weshalb es auch bei formal schwächerer Stellung durch informelle Instrumente starken Einfluss nimmt.
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Abbildung 13:
Stufen der Mitwirkung des EP bei der Rechtssetzung
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Der (Minister-)Rat kann in vielen Bereichen ohne jede Beteiligung des ParlamentsBeschlüsse fassen. Dies gilt in 90 Fällen,[12] so z.B. bei Beschlüssen über Wahlen und Zusammensetzungen anderer Organe, bei internationalen Übereinkünften oder bei der Festsetzung der Sätze des gemeinsamen Außenzolltarifs und bei der Zulässigkeit von Subventionen.[13] Allerdings hat sich in diesen Fällen regelmäßig eine „fakultative Anhörung“ auf freiwilliger Basis eingebürgert, durch die das Parlament faktisch auf Augenhöhe mit dem Rat agiert. |
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In einer Reihe weiterer Themenfelder liegt die Rechtssetzung ebenfalls noch allein beim (Minister-)Rat, wobei das EP zumindest über (obligatorische) Anhörungsrechtezu beteiligen ist (46 Fälle, z.B. Art. 48 III UA 1 EUV: Vertragsänderungen). Ein Unterlassen einer solchen obligatorischen Anhörung hat die Nichtigkeit des betroffenen Rechtsaktes zur Folge (vgl. Art. 263 UA 2 AEUV). |
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Schon deutlich stärker ist die (formale) Rolle des EP, wenn seine Zustimmungzu einem Rechtsakt erforderlich ist. Dies gilt für 21 Fälle, so z.B. beim Beitritt neuer Mitglieder zur EU (Art. 49 UA 1 EUV). |
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