Der 2. Teil der Klausur ist vor allem eine „Knobelarbeit“, die Sorgfalt und Genauigkeit verlangt. Zu prüfen sind mehrere auf § 35 Abs. 7a GewO gestützte Verfügungen, die – der Praxis entsprechend – in einem formellen Verwaltungsakt zusammengefasst sind. Hier muss zunächst ermittelt werden, welche Ermächtigungsgrundlage für die jeweils dem Betriebsleiter untersagte Tätigkeit verfügbar ist. Dabei ergeben sich im Zusammenspiel von § 35 Abs. 7a und Abs. 1 S. 1 und 2 GewO die verschiedensten Kombinationsmöglichkeiten. Des Weiteren muss herausgearbeitet werden, in welchem Verhältnis ein Einschreiten gegen den Betriebsleiter zu einer Untersagung gegenüber dem Gewerbetreibenden steht (personelle Akzessorietät). Zudem muss das Verhältnis der verschiedenen Untersagungen gegenüber dem Betriebsleiter (sachliche Akzessorietät) bestimmt werden.
Fall 5 Maximale Sicherheit› Gliederung
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1. Teil: |
Vorgehen der MS Ltd. gegen den sofort vollziehbaren Bescheid |
A. |
Zulässigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO |
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I. |
Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs |
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II. |
Statthafte Rechtsschutzform |
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III. |
Beteiligungsfähigkeit der MS Ltd. |
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IV. |
Antragsbefugnis |
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V. |
Einlegung eines Widerspruchs |
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VI. |
Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis |
B. |
Begründetheit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO |
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I. |
Formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung |
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1. |
Zuständige Behörde |
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2. |
Verfahren |
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3. |
Form |
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II. |
Interessenabwägung |
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1. |
Ermächtigungsgrundlage |
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2. |
Formelle Rechtmäßigkeit |
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a) |
Zuständigkeit |
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b) |
Verfahren |
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c) |
Form |
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3. |
Materielle Rechtmäßigkeit |
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a) |
Tatbestandliche Voraussetzungen |
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b) |
Erlaubnisfreiheit wegen Niederlassungsfreiheit? |
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aa) |
Form |
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bb) |
Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit |
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cc) |
Eingriff in die Niederlassungsfreiheit |
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dd) |
Rechtfertigung der Beschränkung |
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c) |
Ermessen |
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4. |
Besonderes öffentliches Vollzugsinteresse |
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5. |
Ergebnis |
C. |
Gesamtergebnis zum 1. Teil |
2. Teil: |
Rechtmäßigkeit des an B gerichteten Bescheids |
A. |
Ermächtigungsgrundlage |
B. |
Formelle Rechtmäßigkeit |
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I. |
Zuständigkeit |
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II. |
Verfahren |
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III. |
Form |
C. |
Materielle Rechtmäßigkeit |
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I. |
Einleitung eines Verfahrens gegen die MS Ltd. |
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II. |
B als mit der Leitung des Betriebs beauftragte Person |
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III. |
Akzessorietät hinsichtlich der untersagten Tätigkeiten |
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IV. |
Unzuverlässigkeit des B im Hinblick auf die untersagten Tätigkeiten |
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V. |
Erforderlichkeit |
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VI. |
Ermessen |
D. |
Gesamtergebnis zum 2. Teil |
Fall 5 Maximale Sicherheit› Lösung
Lösung
1. Teil: Vorgehen der MS Ltd gegen den sofort vollziehbaren Bescheid
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Die MS Ltd. kann gegen die Untersagung Widerspruch einlegen. Zur Fortführung ihres Bewachungsunternehmens während des Rechtsstreits und zur Vermeidung der auf die Verfügung gestützten sofortigen Verwaltungsvollstreckung wird die MS Ltd. aber zusätzlich einen Antrag beim zuständigen Verwaltungsgericht nach § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs stellen. Ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung hat Aussicht auf Erfolg, soweit er zulässig und begründet ist.
A. Zulässigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO
Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ist zulässig, soweit alle Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen.
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
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Für einen Antrag beim Verwaltungsgericht auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes muss der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein. Da aufdrängende Sonderzuweisungen nicht ersichtlich sind, richtet sich dies nach § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO. Hierzu müsste eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegen. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt vor, wenn die streitentscheidenden Normen solche des öffentlichen Rechts sind. Normen des öffentlichen Rechts ermächtigen oder verpflichten ausschließlich Hoheitsträger als solche. Hier wird um die Rechtmäßigkeit einer Untersagung nach § 15 Abs. 2 GewO und damit um eine Norm gestritten, die einseitig einen Träger staatlicher Gewalt als solchen berechtigt. Da zudem mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit eine Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegt und keine abdrängenden Zuweisungen ersichtlich sind, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.
II. Statthafte Rechtsschutzform
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Die statthafte Rechtsschutzform richtet sich nach dem Begehren des Antragstellers (§§ 88, 122 Abs. 1 VwGO). Ein Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO ist statthaft, wenn es der MS Ltd. um die Anordnung bzw Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs geht, mithin in der Hauptsache die Anfechtungsklage statthaft wäre (§ 123 Abs. 5 VwGO). Die Fortsetzungsuntersagung nach § 15 Abs. 2 GewO, durch die der MS Ltd. der weitere Betrieb untersagt wird, weist alle Merkmale eines Verwaltungsaktes iSd § 35 S. 1 VwVfG auf. Folglich ist ein Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO statthaft.
Da die Behörde die sofortige Vollziehung angeordnet hat (§ 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO), kommt dem Widerspruch gegen die Verfügung keine aufschiebende Wirkung zu. Daher ist der Antrag auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO gerichtet.
III. Beteiligungsfähigkeit der MS Ltd
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Die MS Ltd. ist im vorläufigen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht nach § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO beteiligungsfähig und analog § 63 Nr. 1 VwGO Antragstellerin.
Exkurs:
Die für § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO maßgebliche Rechtsfähigkeit der in Irland gegründeten MS Ltd. steht hier nicht in Frage. Bei natürlichen Personen ist die Rechtsfähigkeit nach dem Herkunftsstaat maßgeblich (Art. 7 EGBGB)[1]. Für juristische Personen ist auf das Gesellschaftsstatut abzustellen[2]. Wenn ein Unternehmen, das – wie die MS Ltd. – im Herkunftsstaat seinen effektiven Verwaltungssitz hat und nach seinem Gesellschaftsstatut rechtswirksam errichtet wurde, in Deutschland eine Zweigniederlassung gründet und damit sein Tätigkeitsgebiet ausdehnt, ist es auch in Deutschland rechtsfähig[3]. Europarechtlich umstritten waren hingegen die Konstellationen, in denen ein Unternehmen zu einem späteren Zeitpunkt vorwiegend oder ausschließlich in einen anderen Mitgliedstaat als dem Herkunftsstaat seine Geschäftstätigkeit erbringt (Sitzverlagerung) oder von vornherein nach der Gründung ausschließlich in einem anderen Mitgliedstaat tätig ist (sog. Scheinauslandsgesellschaften). Die im deutschen Internationalen Gesellschaftsrecht traditionell zugrunde gelegte Sitztheorie, welche eine Begründung der Rechtsfähigkeit für den tatsächlichen Verwaltungssitz durch Neugründung verlangte, ist mit der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49, 54 AEUV nicht zu vereinbaren[4]. Gegenüber zuziehenden Unternehmen aus Drittstaaten – dh solchen, die weder der EU noch dem EWR angehören – kommt aber weiter die Sitztheorie zur Anwendung mit der Folge des Gebots einer Neugründung zur Herstellung der Rechtsfähigkeit. Allerdings verschafft der BGH diesen Unternehmen insofern Erleichterungen, als sie zumindest nach den für die OHG und KG (§§ 124, 161 Abs. 2 HGB) oder die GbR[5] geltenden Grundsätzen rechts- und parteifähig sind[6]. Wegen der insoweit bestehenden vollen Parteifähigkeit sind Unternehmen aus Drittstaaten mit tatsächlichem Verwaltungssitz in Deutschland nach § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO beteiligungsfähig[7].
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