IV. Weitere Zulässigkeitsvoraussetzungen
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Die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen sind anzusprechen, bereiten aber bei einer Urteilsverfassungsbeschwerde keine Probleme. Insbesondere ist bei einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des BVerwG der Rechtsweg ohne weiteres erschöpft, vgl § 90 Abs. 2 BVerfGG. Auf die Anhörungsrüge nach § 152a VwGO, die teilweise über den ausdrücklich geregelten Fall des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG und seine einfachgesetzlichen Konkretisierungen) auf Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG erstreckt wird[15] und dazu führen würde, dass dieser Rechtsbehelf Vorrang vor einer Verfassungsbeschwerde hat[16], war nach dem Bearbeitervermerk nicht einzugehen. Ebenfalls keiner näheren Erörterung bedarf mangels entsprechender Angaben die Frist (§ 93 BVerfGG).
Hinweis:
Obwohl in der Sache vor allem die gesetzliche Regelung angegriffen wird, ist die Jahresfristdes § 93 Abs. 3 BVerfGG nicht einschlägig, die lediglich die sog. Rechtssatzverfassungsbeschwerde (nur) gegen ein Gesetz betrifft, aber als rein prozessrechtliche Regelung selbstverständlich keine „Heilung“ der Norm herbeiführt. Für die vorliegende Konstellation wird tlw der Begriff der „mittelbaren Rechtssatzverfassungsbeschwerde“ verwendet, was aber nur klarstellt, dass im Rahmen einer Urteilsverfassungsbeschwerde zwar nur eine „inzidente Normenkontrolle“ stattfindet, über die Verwerfung einer Norm aber auf Grund der Ausnahmevorschrift des § 95 Abs. 3 Nr. 2 BVerfGG – genauso wie bei einer abstrakten Normenkontrolle – allgemeinverbindlich, dh mit Gesetzeskraft, entschieden wird (§ 31 Abs. 2 Nr. 2 BVerfGG).
B. Die Begründetheit der Verfassungsbeschwerde
Hinweis:Bei der Verfassungsbeschwerde wird die Verletzung von Grundrechten geprüft. Dogmatisch nicht überzeugend ist daher ein Aufbau, der nach formeller (insb Gesetzgebungsverfahren) und materieller Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes differenziert. Allerdings handelt es sich dabei um einen weit verbreiteten Fehler, der bei der Bewertung idR nicht allzu schwer gewichtet wird.
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Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn die staatliche Maßnahme den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt. Die Prüfung beschränkt sich also auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts[17]. Maßstab der verfassungsgerichtlichen Prüfungist lediglich die Verletzung der in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG genannten Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte. Vorliegend könnte die Entscheidung insoweit auf der Verletzung spezifischen Verfassungsrechts, dh der Berufsfreiheit, beruhen, als das Gericht die Verfassungsmäßigkeit des § 7 NRSG unterstellt hat, sein Urteil also nicht auf einer verfassungsmäßigen Rechtsgrundlage beruht (dazu II). Nicht geprüft wird demgegenüber, ob das Gericht die einfachrechtliche Vorschrift des § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG zutreffend ausgelegt hat. Außerdem könnte das Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt sein, Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG (dazu III).
Hinweis:
Das BVerfG prüft die Frage einer spezifischen Verfassungsrechtsverletzung typischerweise wie hier am Beginn der Begründetheitsprüfung. Lediglich dann, wenn diese offensichtlich nicht gegeben ist, wird dies schon bei der Verfassungsbeschwerdebefugnis angesprochen, da dann die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung von vornherein ausscheidet. Klausurtaktisch bietet der vorliegende Fall keinen Anlass, ausführlich auf die Beschränkung des Prüfungsumfanges des BVerfG einzugehen. Die sog. Schumannsche Formel, wonach das richterliche Urteil keine Rechtsfolge annehmen darf, die der einfache Gesetzgeber nicht als Norm erlassen dürfte, spielt im öffentlichen Recht vor allem bei solchen Sachverhalten eine Rolle, die stärker von unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessensspielräumen geprägt sind. Dass sich die Prüfung letztlich auf die Frage der Verfassungskonformität der einfachgesetzlichen Regelung beschränkt, wird im Folgenden bereits durch die Überschrift deutlich gemacht.
II. Vereinbarkeit des Rauchverbots mit Art. 12 GG
1. Schutzbereich der Berufsfreiheit
a) Sachlicher Schutzbereich
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Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet als einheitliches Grundrecht die Freiheit der Berufswahl und der Berufsausübung. Die Berufsfreiheitumfasst ,,jede nicht sozialschädliche Tätigkeit, die auf Dauer angelegt ist und der Schaffung und Aufrechterhaltung einer Lebensgrundlage dient“[18]. Bei dem Betreiben einer Gaststätte handelt es sich um eine erlaubte Tätigkeit, die der Schaffung und Erhaltung der Lebensgrundlage dient. Der Schutzbereich ist eröffnet.
b) Persönlicher Schutzbereich
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Art. 12 GG ist seinem Wesen nach ohne weiteres auf juristische Personen anwendbar[19], sodass insoweit die Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 3 GG vorliegen. Aus den dargelegten Gründen gilt dies über den Wortlaut hinaus auch für juristische Personen aus dem EU-Ausland.
Problematisch könnte allenfalls sein, inwieweit dies auch in Bezug auf Art. 12 Abs. 1 GG gilt, der ein Deutschengrundrecht darstellt. Würde man alleine auf den Wortlaut abstellen, schiede eine Berufung auf Art. 12 GG aus. Dem Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV ließe sich wohl auch dadurch genügen, dass man die Maßstäbe des Art. 12 Abs. 1 GG in Art. 2 Abs. 1 GG hineinliest, auf den sich S jedenfalls berufen kann. Andererseits handelte es sich nur um eine verfassungsrechtsdogmatisch fragwürdige Behelfskonstruktion. Vor allem angesichts der erweiternden Auslegung des Art. 19 Abs. 3 GG (s.o. unter A.I.) sprechen die besseren Argumente für eine Erstreckung des Art. 12 GG auf EU-Ausländer[20].
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Das in § 7 NRSG geregelte Rauchverbotstellt einen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit dar[21].
3. Rechtfertigung des Eingriffs
a) Vorbehalt des Gesetzes
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Die Rechtfertigungdieses Eingriffes setzt zunächst voraus, dass dieser auf einem Gesetzberuht und das Gesetz selbst formell verfassungsgemäßzustande gekommen ist. Der Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG wird – entgegen seinem Wortlaut – auf die gesamte Berufsfreiheit erstreckt[22]. Zu prüfen ist insb die Gesetzgebungskompetenz. Grundsätzlich haben die Länder das Recht der Gesetzgebung, soweit diese nicht durch eine Bundeskompetenz verdrängt wird. Eine Gesetzgebungskompetenz fehlt nach diesem Ansatz also nur dann, wenn es eine ausschließliche oder konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes gäbe und im letzteren Fall von dieser auch abschließend Gebrauch gemacht würde. Eine Bundeskompetenz folgt jedenfalls nicht aus dem Recht der Wirtschaft, da Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GGdas Recht der Gaststätten ausdrücklich von der Bundeskompetenz ausnimmt. Qualifiziert man also das Rauchverbot in Gaststätten als wirtschaftsrechtliche Regelung[23], ist nunmehr das Land ausschließlich zuständig. Fraglich könnte allenfalls sein, ob das Land zu einer gaststättenrechtlichen Regelung in der Lage wäre, ohne das bisherige GastG des Bundes durch ein eigenes – wenn auch möglicherweise weitgehend gleichlautendes – Gesetz zu ersetzen. Dass eine Änderung des Bundesgesetzes durch das Land nicht möglich ist[24], steht solchen Regelungen nicht entgegen, die selbstständig neben das Bundesgesetz treten. Gegen eine Qualifikation als gaststättenrechtliche Regelung könnte angeführt werden, dass die Gefahren des Passivrauchens nicht unmittelbar vom Gastwirt ausgehen. Dies wäre jedoch eine zu enge Interpretation dieses Kompetenztitels. Auch sonst werden umweltbezogene oder gefahrenabwehrrechtliche Vorschriften unter Nr. 11 (Recht der Wirtschaft) gefasst, wenn sie der Gefahrenvorsorge in spezifischen Wirtschaftsbereichen dienen[25]. Allerdings betrifft das NRSG nicht nur solche wirtschaftsspezifischen Gefahren, so dass man möglicherweise, wie von P behauptet, auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GGabstellen könnte. Diese Gesetzgebungskompetenz umfasst ua Maßnahmen gegen gemeingefährliche Krankheiten. Gemeingefährlich sind Krankheiten, die zu schwerer Gesundheitsschädigung oder zum Tod führen können und gleichzeitig weit verbreitet sind; Krebs ist damit einer der wichtigsten Fälle gemeingefährlicher Krankheiten[26]. Diese Frage kann jedoch dahinstehen. Selbst wenn man gesetzliche Rauchverbote als (präventive) Maßnahme zur Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten ansehen und damit die Gesetzgebungskompetenz des Bundes bejahen wollte[27], änderte dies nichts daran, dass der Bund in seinem NRSG jedenfalls von seiner (konkurrierenden) Kompetenz keinen Gebrauch gemacht und die Regelung von Rauchverboten in Gaststätten ausdrücklich den Ländern überlassen hat[28]. Anhaltspunkte für Fehler im Gesetzgebungsverfahren sind nicht ersichtlich.
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