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In ihrer Stellung sind Große Kreisstädte zwischen kreisangehörigen Gemeinden und kreisfreien Städten angesiedelt. Ihre Besonderheit liegt darin, dass die Große Kreisstadt einzelneAufgaben des Landratsamtes als Staatsbehörde (Art. 37 Abs. 1 S. 2 LKrO) wahrnimmt. Diese Aufgaben sind in der Verordnung über Aufgaben der Großen Kreisstädte – GrKrV[16] abschließend enthalten. Trotz Bestehen eines Landratsamtes als Staatsbehörde werden diese Aufgaben gesetzlich an die Große Kreisstadt delegiert.
Beispiel
Für einen Bauantrag im Gemeindegebiet einer Großen Kreisstadt ist diese nach Art. 9 Abs. 2 GO in Verbindung mit § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrKrV zuständig. Sie wird insoweit gleichfalls im übertragenen Wirkungskreis tätig, Art. 54 Abs. 1 Hs. 2 BayBO. Dies ist insofern wiederum konsequent, als Bauangelegenheiten grundsätzlich Aufgabe des Staates sind, Art. 54 Abs. 1 Hs. 1 BayBO. Wenn der Bauherr gegen die Versagung der Baugenehmigung klagen will, muss er gegen die Große Kreisstadt selbst klagen, da diese auch im übertragenen Wirkungskreis ihr eigener Rechtsträger ist.
JURIQ-Klausurtipp
Besonders klausurrelevant sind an dieser Stelle die Aufgaben der Großen Kreisstadt aus § 1 Abs. 1 Nr. 1 (Bauaufsicht) und § 1 Abs. 1 Nr. 2 GrKrV (eingeschränkte Aufgaben als Wasserrechtsbehörde).
Denken Sie beim Handeln einer Großen Kreisstadt in Klausuren immer an die Problempunkte „Wirkungskreise“ und „Passivlegitimation“, § 78 Abs. 1 VwGO. Prägen Sie sich daneben ein, dass die Große Kreisstadt eine kreisangehörige Gemeinde ist.
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Weitere Besonderheit ist die Staatsaufsichtüber die Große Kreisstadt. Der Sonderfall ist hierbei in Art. 115 Abs. 2 GO geregelt (Näheres dazu unten Rn. 284).[17]
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Neben der Aufteilung des Staatsgebietes in Gemeindetypen gibt es Bereiche, die keiner Gemeinde zugewiesen sind. Dieses gemeindefreie Gebiet regelt sich über Art. 10a GO. Hinzuweisen ist hier insbesondere auf Art. 10a Abs. 5 GO, wonach die Hoheitsbefugnisse im gemeindefreien Gebiet vom Landratsamt als Staatsbehörde wahrgenommen werden. Nach Art. 7 LKrO ist das gemeindefreie Gebiet Teil eines Landkreises.
2. Landkreise und Bezirke
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Für die Wahrnehmung der überörtlichenAufgaben (d.h. diejenigen, die das Gemeindegebiet übersteigen) hat der Gesetzgeber zwei weitere vom Freistaat Bayern getrennte rechtlich selbstständige Einheiten geschaffen. Zunächst die Landkreiseals Gebietskörperschaften (Art. 1 LKrO) sowie die Bezirkeals höchste Stufe der kommunalen Verwaltungsebene. In der Bayerischen Verfassungwerden Landkreise und Bezirke in Art. 10 BV unter dem Begriff der Gemeindeverbändeangesprochen.[18]
Landkreis und Bezirk sind jeweils Gebietskörperschaften, denen als überörtliche Verwaltungsträgerdiejenigen Aufgaben obliegen, die nicht oder nicht mehr von den Gemeinden als örtliche Verwaltungsträgerwahrgenommen werden (können).[19]
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Die Aufgaben werden den Gemeindeverbänden dabei gesetzlich zugewiesen, während die Gemeinden einen universalen, allzuständigen örtlichen Aufgabenbereich aufweisen. Da der Landkreis als mittlere Stufe der kommunalen Verwaltungsebene (mittelbare Staatsverwaltung) auch das Landratsamt als Verwaltungsbehörde (staatlich, Art. 37 Abs. 1 S. 2 LKrO) kennt, zeigt sich hier besonders deutlich die Verzahnung kommunaler und staatlicher Verwaltung. Nach Art. 37 Abs. 1 LKrO ist das Landratsamt sowohl Kreisbehörde (für den Landkreis als Gebietskörperschaft) als auch in seiner Funktion als Kreisverwaltungsbehörde unterste staatliche Verwaltungsbehörde. Hierin ist die Doppelfunktion des Landratsamtesangelegt.[20]
Hinweis
Beachten Sie aber an dieser Stelle bereits, dass anders als bei Staatsbehörden den Landkreisen und Bezirken kein Weisungsrechtgegenüber den Gemeinden zukommt. Die jeweiligen Aufgaben der Gebietskörperschaften grenzen sich nach ihrer Örtlichkeit/Überörtlichkeit ab. Ein Art. 55 BV vergleichbares Hierarchieverhältnis ist hier nicht existent.
3. Das Verhältnis zwischen der Staatsverwaltung und der kommunalen Verwaltungsebene
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Das Rechtsinstitut, das die staatliche Verwaltungsebene mit der kommunalen verknüpft, ist die in Art. 83 Abs. 4, 6 BV angesprochene Staatsaufsicht. Diese ist Korrelat zur gemeindlichen kommunalen Selbstverwaltung. Je mehr Raum die Verfassung in Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 11 Abs. 2 BV der kommunalen Selbstverwaltung einräumt, umso eher bedarf die Art der kommunalen Aufgabenerfüllung der staatlichen Kontrolle.
a) Doppelfunktion des Landratsamts
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Ausgehend von Art. 37 Abs. 1 LKrO ist das Landratsamt sowohl Behörde des Staates(Art. 37 Abs. 1 S. 2 LKrO), als auch Behörde der Gebietskörperschaft Landkreis(Art. 37 Abs. 1 S. 1 LKrO).
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Deutlich wird diese Zweiteilungauch in Art. 37 Abs. 6 LKrO, wonach der Landrat beim Vollzug einer reinen Staatsaufgabe als Organ des Staates tätig wird und insofern staatlicher Weisunguntersteht (Art. 55 Nr. 5 BV; Hierarchieprinzip). Ebenfalls bestimmt Art. 35 Abs. 3 S. 1 LKrO, dass in Fällen, in denen der Landrat eine ihm gegenüber einem anderen obliegende Amtspflicht verletzt, der Staat haftet, wenn es sich um eine reine Staatsangelegenheit handelt (Funktionstheorie). Im Übrigen haftet der Landkreis (Art. 35 Abs. 3 S. 2 LKrO).
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b) Richtiger Beklagter in der verwaltungsgerichtlichen Klausur
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Auswirkungen hat diese Doppelfunktion auch für die Bestimmung der Passivlegitimationin Klagefällen. Steht eine Aufgabe im Mittelpunkt, die gesetzlich eine Staatsaufgabe ist – das Gesetz verwendet hier regelmäßig den Passus „Kreisverwaltungsbehörde“– so ist die Zurechnung der Rechtsträgerschaft, § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO an den Freistaat Bayern vorzunehmen. Er ist das Rechtssubjekt, welches hinter der Staatsbehörde, die selbst keine Rechtssubjektsqualität besitzt, steht. Handelt das Landratsamt dagegen als Kreisbehörde (Art. 37 Abs. 1 S. 1 LKrO) – das Gesetz spricht hier nun im Regelfall vom „Landkreis“ und nimmt eine weitere Differenzierung nach Wirkungskreisen vor – so muss die Zurechnung an die Gebietskörperschaft, sprich den Landkreis selbst erfolgen.
Beispiel
Soweit das Landratsamt im Gemeindegebiet einer kreisangehörigen Gemeinde (keine Große Kreisstadt!) eine Baugenehmigung erteilt, handelt es als Kreisverwaltungsbehörde im Sinne von Art. 37 Abs. 1 S. 2 LKrO. Es liegt nach Art. 53 Abs. 1 S. 1 BayBO ein Tätigwerden einer Staatsbehörde vor. Bei Versagung der Baugenehmigung ist in diesen Fällen der Freistaat Bayern mittels einer Verpflichtungsklage in Gestalt der Versagungsgegenklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) zu verklagen. Anders ist es, wenn der Landkreis zum Beispiel einen Müllgebührenbescheid erlässt. In diesen Fällen ist nach Art. 3 Abs. 1 S. 1 BayAbfG[21] der Landkreis zum Handeln aufgerufen. Dieser wird dabei nach Art. 3 Abs. 1 S. 2 BayAbfG im eigenen Wirkungskreis tätig.
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