dd) Sonderfall der Überwachergarantenstellung: Betriebsbeauftragter
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In diesen Zusammenhang gehört ferner die Frage nach der Haftung von Betriebsbeauftragten. Sie sind ebenso wenig wie der Compliance-Officer direkt in der Unternehmensspitze, zugleich aber auch nicht auf untergeordneter Hierarchieebene angesiedelt. Es handelt sich um Personen, die unternehmensbezogen für die Einhaltung bestimmter gesetzlich vorgegebener Sicherheitsstandards zuständig sind, wobei inhaltlich nach Arbeitsschutz, Datenschutz und dem Schutz überindividueller Interessen (namentlich Umweltschutz) differenziert werden kann.[85] Betriebsbeauftragte haben in bestimmten sensiblen Bereichen die Umsetzung und Einhaltung der insoweit geltenden öffentlich-rechtlichen Vorgaben zu gewährleisten.[86] Anstatt diese Aufgabe durch eigene Verwaltungsbehörden zu erfüllen, versucht der Gesetzgeber Einfluss auf die unternehmensinterne Organisation zu nehmen.[87] Ungeachtet dieses öffentlich-rechtlichen Hintergrundes wird der Betriebsbeauftragte nicht etwa als Beliehener tätig, sondern hat einen privatrechtlichen Status,[88] ohne zum Unternehmensorgan zu werden.[89] Je nachdem, ob es sich um eine innerhalb oder außerhalb des Betriebes angesiedelte Person handelt, liegt der Tätigkeit entweder ein Arbeits- oder Geschäftsbesorgungsvertrag zugrunde.[90] Allerdings wird die Unternehmensleitung durch die Existenz eines Betriebsbeauftragten keineswegs von ihrer Verantwortlichkeit dispensiert, sondern haftet neben dem Betriebsbeauftragten, sofern ihr eine eigenständige Verletzung von Auswahl-, Instruktions-, Kontroll- und Eingriffspflichten vorgeworfen werden kann.[91]
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Betriebsbeauftragten stehen im Regelfall keine Entscheidungsbefugnisse zu,[92] sondern die ihnen obliegenden Aufgaben lassen sich grob in Initiativ-, Kontroll-, Aufklärungs- und Berichtsfunktionen kategorisieren,[93] was Einfluss auf die straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Garantenpflichten hat. Denn man wird Betriebsbeauftragte nicht als Beschützergaranten ansehen können, da die Auferlegung einer solchen Position schon mangels umfassender Entscheidungskompetenzen zweifelhaft scheint; die Einzelfunktionen sprechen vielmehr für eine Überwachergarantenstellung.[94] Betriebsbeauftragte sind daher in dem ihnen sachlich obliegenden Bereich dafür zuständig, dass sich ein betriebliches Gefahrenpotential nicht realisiert, wobei ihre Pflicht nicht weiterreichen kann als die ihnen zugewiesenen Befugnisse.[95] Dementsprechend sind sie lediglich gehalten, ihren Initiativ-, Kontroll-, Aufklärungs- und Berichtspflichten nachzukommen, während keine Verpflichtung zur Verhinderung des Eintritts straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlich relevanter Erfolge besteht.[96] Nur bei Verletzung der ihnen obliegenden spezifischen Pflichten kommt eine Haftung aus einem unechten Unterlassungsdelikt in Frage. Weil die insoweit maßgeblichen Straf- und Bußgeldtatbestände oftmals Sonder- und Pflichtdelikte darstellen, setzt eine täterschaftliche Haftung voraus, dass sich die Sondereigenschaft bzw. -pflicht über die § 14 StGB, § 9 OWiG auf den Betriebsbeauftragten transferieren lässt.[97] Insoweit wäre im Zweifel auf § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB bzw. § 9 Abs. 2 Nr. 2 OWiG abzustellen, die aber gewisse Entscheidungsbefugnisse voraussetzen, an denen es dem Betriebsbeauftragten gerade fehlt (siehe Rn. 188 ff.).[98] Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, dass die institutionelle Ausgestaltung der Position des Betriebsbeauftragten nicht zwingend mit den Regelungsprinzipien des Gesellschaftsrechts im Einklang stehen muss.[99]
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Auch insoweit kommt es darauf an, gerade die Grenzen der Handlungspflichten in das Zentrum der Verteidigung zu rücken, da die Voraussetzungen einer straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Haftung durchaus hoch sind. Angesichts der ihnen zugewiesenen Funktionen ist insbesondere dem Versuch entgegenzutreten, Betriebsbeauftragten eine allgemeine Pflicht zur Unterbindung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten aufzuerlegen, die einer Geschäftsherrenhaftung gleichkäme. Ansatzpunkte für Verteidigungsstrategien bieten ferner die Grenzen der Transferierung von Pflichten nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 StGB, § 9 Abs. 2 Nr. 2 OWiG sowie gesellschaftsrechtliche Regelungsprinzipien.
ee) Beteiligung des Garanten
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Mit Blick auf die Art der Beteiligung gelten im Unterlassungsbereich die allgemeinen Grundsätze. Allerdings kann die Frage akut werden, ob das Nichteinschreiten einer Leitungsperson gegen Mitarbeiterstraftaten als Täterschaft oder Teilnahme anzusehen ist, sofern wegen der Natur des jeweiligen Tatbestandes als Sonder-, Pflicht- oder eigenhändiges Delikt die täterschaftliche Haftung nicht sowieso ausscheidet. An diesem Punkt ergibt sich eine Parallele zu der auch außerhalb des Unternehmensstrafrechts diskutierten Frage nach der Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme – genauer: Beihilfe – im Bereich der Unterlassungsdelikte.[100]
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Teilweise werden von der im Bereich der Begehungsdelikte vertretenen Grundkonzeption abweichende Positionen formuliert. Auf der Grundlage der Tatherrschaftslehre argumentiert man, der Unterlassende könne niemals die Tatherrschaft im Sinne eines vom Vorsatz umfassten In-den-Händen-Halten des tatbestandsmäßigen Geschehensablaufs innehaben, weshalb er als Gehilfe zu bestrafen sei.[101] Ist einer solchen Auffassung entgegenzuhalten, dass kein direkter Zusammenhang zwischen Verhaltensmodalität und Tatherrschaft besteht,[102] überzeugt auch die auf dem Boden der Pflichtdeliktslehre entwickelte Gegenposition nicht, nach der der Garant stets als Täter zu bestrafen ist: Unterlassungsdelikte seien Pflichtdelikte, bei denen der Verstoß gegen die Erfolgsabwendungspflicht täterschaftsbegründend wirke.[103] Zwar werden hierdurch klare Abgrenzungen möglich, dies jedoch nur um den Preis, dass im Unterlassungsbereich jeglicher Unterschied zwischen den Beteiligungsformen eingeebnet wird.[104] Eine dritte Position differenziert nach der Art der Garantenstellung: Beschützergaranten seien Täter, Überwachergaranten seien Teilnehmer.[105] Abgesehen von den sich aufdrängenden Abgrenzungsproblemen – teilweise lassen sich die jeweiligen Garantenstellungen nur schwer voneinander abschichten bzw. es können mehrere Garantenstellungen gleichzeitig vorliegen – sind die Fragen nach der Art der Garantenstellung sowie der Art der Beteiligung auf verschiedenen Ebenen angesiedelt.[106]
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Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, sich auf die allgemeinen Abgrenzungskriterien zurückziehen, was die Rechtsprechung veranlasst, die Abgrenzung subjektiv danach vorzunehmen, ob der Unterlassende mit Täter- oder Teilnehmerwillen untätig bleibt;[107] eine Abgrenzung, die im Bereich der Unterlassungsdelikte noch schwieriger als im Bereich der Begehungsdelikte zu treffen ist. Dementsprechend verwundert es nicht, wenn sie zusätzlich auf die Tatherrschaft bzw. den diesbezüglichen Willen als Kriterium für eine entsprechende subjektive Vorstellung abstellt. Die h.M. grenzt hingegen ebenso wie bei den Begehungsdelikten allein nach der Tatherrschaft ab, so dass es auf das vom Vorsatz umfasste In-den-Händen-Halten des tatbestandsmäßigen Geschehensablaufs ankommt.[108] Eine nur potentielle Tatherrschaft kann dabei nicht täterschaftsbegründend wirken,[109] denn die Tatherrschaft darf im Bereich der Unterlassungstaten nicht weniger aktuell sein als im Bereich der Begehungsdelikte. Sie ergibt sich insbesondere nicht schon aus der Möglichkeit des Eingreifens in einen Geschehensablauf, die für die Unterlassungshaftung ohnehin konstitutiv ist.[110] Es kommt vielmehr entsprechend allgemeinen Grundsätzen darauf an, ob der Unterlassende Zentral- und nicht nur bloße Randfigur des Geschehens ist. Dass der Geschäftsherr die Organisationsherrschaft über ein Unternehmen innehat, macht ihn nicht per se zur Zentralfigur für deliktisches Mitarbeiterhandeln, sondern die Tatherrschaft muss in Bezug auf den konkreten Rechtsverstoß des Mitarbeiters bestehen und einzeln begründbar sein. Derartige Gesichtspunkte sind aus Verteidigungssicht hervorzuheben.
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