111
Die Anknüpfungstat stellt eine objektive Bedingung der Ahndung dar, die nicht von Vorsatz und Fahrlässigkeit des Inhabers erfasst sein muss.[141] Nicht jeder Rechtsverstoß reicht aus, vielmehr muss die Zuwiderhandlung spezifischer Ausdruck der Verletzung der dem Inhaber in dieser Eigenschaft obliegenden Aufsichtspflichten sein.[142] Der Bezugspunkt der Pflichten ist somit für Inhaber und Mitarbeiter identisch, nur dass die sich auf die Mitarbeiter beziehende Aufsichtspflicht des Inhabers für jenen eine Ausprägung in spezifische Handlungs- oder Unterlassungspflichten erfährt. Sofern der Unternehmensbezug des Pflichtverstoßes gegeben ist,[143] kommen als Anknüpfungstaten auch Zuwiderhandlungen außerhalb des räumlichen Bereichs des Unternehmens und sogar von Personen in Frage, die (wie Sachverständige)[144] lediglich in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Unternehmens handeln, ohne selbst Unternehmensangehörige zu sein.[145] Der Zuwiderhandelnde muss nicht einmal ermittelt werden, sofern nur eine unternehmensbezogene Zuwiderhandlung vorliegt.[146] Darüber hinaus erleichtert die Vorschrift die Ahndung insofern, als es nicht auf die Ahndbarkeit der Straftat oder Ordnungswidrigkeit in der Person des Handelnden ankommt. Es genügt, wenn das Verhalten seinem äußeren Ablauf nach eine Zuwiderhandlung darstellt.[147] Dies wird insbesondere dann relevant, wenn der unmittelbar Handelnde in eigener Person nicht die spezifische Tätereigenschaft (Sonderdelikt) oder Pflichtenstellung (Pflichtdelikte) innehat und daher nicht tatbestandsmäßig handelt.[148]
(b) Zurechnungszusammenhang
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Weil die Haftung daran anknüpft, dass die Zuwiderhandlung „durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre“, setzt der Gesetzgeber einen Zurechnungszusammenhang voraus, womit die Zuwiderhandlung gerade das Resultat der Verletzung der Aufsichtspflicht sein muss.[149] Über die Formulierung „oder wesentlich erschwert worden wäre“ hat an diesem Punkt die Risikoverringerungslehre im Gesetz Niederschlag gefunden.[150]
113
Rechtsfolge ist die Verhängung einer Geldbuße. Ausgangspunkt für die Bußgeldbemessung ist § 17 Abs. 1 OWiG, der einen allgemeinen Sanktionsrahmen von 5,00 € bis 1.000 € eröffnet, sofern nicht das Gesetz – wie in § 130 Abs. 3 OWiG – etwas anderes bestimmt. Dieser speziellere Bußgeldrahmen differenziert danach, ob die Anknüpfungstat eine Straftat (§ 130 Abs. 3 S. 1 OWiG: Geldbuße bis 1 Mio. €) oder eine Ordnungswidrigkeit ist (§ 130 Abs. 3 S. 3 OWiG: Geldbuße bis zum Höchstmaß der Geldbuße für die Anknüpfungstat). Über den in § 130 Abs. 3 S. 2 OWiG erfolgenden Verweis auf § 30 Abs. 2 S. 3 OWiG verzehnfacht sich der Bußgeldrahmen. In Fällen, in denen die Anknüpfungstat sowohl eine Straftat als auch eine Ordnungswidrigkeit darstellt und das Höchstmaß der Geldbuße das der Straftat übersteigt, richtet sich der Bußgeldrahmen nach dem Höchstmaß der Geldbuße (§ 130 Abs. 3 S. 4 OWiG). Dies gilt sogar, wenn die Ordnungswidrigkeit durch die Straftat verdrängt wird (vgl. § 21 OWiG).[151]
114
Für die innerhalb des von § 130 Abs. 3 OWiG festgelegten Rahmens erfolgende Bußgeldbemessung ist nach allgemeinen Regeln zwischen dem Ahndungs- (§ 17 Abs. 3 OWiG) und Abschöpfungsteil (§ 17 Abs. 4 OWiG) zu differenzieren. Bei der Ahndung können die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters Berücksichtigung finden (§ 17 Abs. 3 S. 2 OWiG). Im Gegensatz zur Strafe kommt der Geldbuße eine Gewinnabschöpfungsfunktion zu, weshalb das gesetzliche Höchstmaß der Geldbuße in Gestalt des Ahndungsanteils nach § 17 Abs. 4 S. 1 und 2 OWiG überschritten werden kann.
gg) Haftung für unterlassenes Risikomanagement
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Derzeit sind Tendenzen auszumachen, das Unterlassen von Risikomanagement, welches auch auf die Unterbindung von Sanktions- und Schadensersatzrisiken gerichtet sein kann, straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlich zu sanktionieren. Derartige Maßnahmen können nur bedingt als Reprivatisierung des Strafrechts interpretiert werden, bei der die Wirtschaft selbst organisatorische Vorkehrungen für die Einhaltung staatlicher Normen trifft.[152] Schon wegen ihrer Bezugnahme auf staatlich gesetztes Recht bilden sie nur eine Ergänzung zu Vorgaben des Gesetzgebers.[153] Mit ihnen geht tendenziell sogar eine Verdichtung der straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Verbotsmaterie, aber auch der darauf bezogenen Sozialkontrolle einher.[154] Die Vorstellung, namentlich mit Compliance werde die organisatorische Überwachung rechtlicher Vorgaben in die Hände des Überwachten gelegt, trifft demnach die Sache nicht: Es ist vielmehr so, dass derartige Regelungen zunehmend wieder in das staatliche Recht inkorporiert oder mitunter sogar neue Straftatbestände geschaffen werden,[155] die in gewisser Weise die Überwachung der Überwachung straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlicher Vorgaben absichern. Indes ist nicht zu verkennen, dass hierdurch der eigentliche Tatvorwurf umgeformt wird: Anstatt die konkrete Rechtsgutsverletzung zu sanktionieren, wird das Unterlassen von Vorkehrungen, die eine solche Rechtsgutsverletzung verhindert hätten, zum Anlass der Sanktion (siehe auch Rn. 51 ff.).
(1) Strafrechtliche Haftung über Untreue gem. § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB
(a) Bestehen einer generellen Compliance-Pflicht?
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Zunächst ist bei Unterlassen von Maßnahmen des Risikomanagements an Strafbarkeitsrisiken im Hinblick auf den Untreuetatbestand zu denken, wenn das Unternehmen aufgrund rechtswidriger Praktiken seiner Mitarbeiter Bußgeld- oder Schadensersatzforderungen ausgesetzt ist.[156] Anknüpfungspunkt ist die Treubruchsvariante nach § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB: Sofern aufgrund rechtswidriger Mitarbeiterpraktiken Bußgeld- oder Schadensersatzforderungen gegenüber dem Unternehmen geltend gemacht und realisiert werden, entstehen diese kraft Gesetzes und nicht – wie es die Missbrauchsvariante verlangt –[157] als Folge eines Rechtsgeschäfts. Der Treubruchstatbestand kann dabei nicht nur durch aktives Tun, sondern auch durch Unterlassen verwirklicht werden; eines Rückgriffs auf § 13 Abs. 1 StGB bedarf es nicht, da der Treuepflichtige in jedem Falle Garant ist.[158]
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Obwohl der Vorstand einer AG oder die Geschäftsführung einer GmbH im Grundsatz eine Vermögensbetreuungspflicht im Hinblick auf das Vermögen der Gesellschaft innehaben,[159] bestehen gleichwohl Bedenken, das Unterlassen von Compliance-Maßnahmen automatisch als Verletzung dieser Treuepflicht anzusehen. Da die dem Treunehmer obliegende Verpflichtung zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen in § 266 Abs. 1 Var. 2 StGB selbst nicht inhaltlich konturiert wird, wäre für ihre inhaltliche Skizzierung akzessorisch an außerhalb des Strafrechts angesiedelte Rechtsmaterien anzuknüpfen.[160] Jenseits von Spezialnormen existiert jedoch keine generelle Verpflichtung zur Einrichtung von Compliance (siehe auch Rn. 640 ff.).[161] Sie resultiert insbesondere nicht aus § 91 Abs. 2 AktG,[162] der Ausstrahlungswirkung auf die GmbH entfaltet.[163] Danach hat die Unternehmensleitung geeignete Maßnahmen zu treffen, insbesondere ein Überwachungssystem einzurichten, damit den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen früh erkannt werden. Die Vorschrift ist nicht auf das Außenverhältnis der Gesellschaft gerichtet, sondern installiert einen im Unternehmensinteresse liegenden und das Innenverhältnis von Unternehmensleitung und Gesellschaft betreffenden Selbstregulierungsmechanismus, der der Leitung deutlich größere Freiräume in der Ausübung dieser Funktion belässt. Dem entspricht es, wenn die Vorschrift einhellig als Ausprägung der allgemeinen Leitungsaufgabe des Vorstands einer AG (§ 76 AktG) oder der Geschäftsführung einer GmbH (§ 35 GmbHG) verstanden wird.[164]
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