(c) Vorsatz und Fahrlässigkeit
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Subjektiv setzt die Haftung Vorsatz oder Fahrlässigkeit im Hinblick auf das Unterlassen erforderlicher Aufsichtsmaßnahmen und wegen der Klassifikation als konkretes Gefährdungsdelikt die Erfassung einer konkreten (betriebstypischen) Zuwiderhandlungsgefahr voraus (siehe Rn. 109). Eines Erkennens oder Erkennen-Könnens der später als Folge der Aufsichtspflichtverletzung konkret begangenen Zuwiderhandlung bedarf es nicht, da es sich insoweit um eine objektive Bedingung der Ahndung handelt.[241] Wurden seitens der Unternehmensleitung angemessene Compliance-Maßnahmen ergriffen, dürfte es vielfach an dem auf die Verletzung der Aufsichtspflicht bezogenen Vorsatz oder einer darauf bezogenen Fahrlässigkeit fehlen. Insofern können installierte Maßnahmen der Compliance für die Unternehmensleitung nicht nur im Hinblick auf eine mögliche Verletzung der Aufsichtspflicht, sondern auch im Hinblick auf Vorsatz und Fahrlässigkeit entlastend wirken.
(d) Objektive Bedingung der Ahndung
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Als objektive Bedingung der Ahndung verlangt § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG eine Zuwiderhandlung, die bei gehöriger Aufsicht verhindert oder erschwert worden wäre (siehe Rn. 110 ff.).[242] Hierfür genügt nicht jede beliebige Straftat oder Ordnungswidrigkeit, sondern diese muss mit Blick auf den Schutzzweck der Vorschrift Ausdruck der Verletzung inhaberbezogener Aufsichtspflichten sein.[243] Compliance-Maßnahmen können für den hier relevanten Zurechnungszusammenhang bedeutsam werden und einer Zurechnung der von Mitarbeitern begangenen Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten auf die Unternehmensleitung entgegenstehen: Sofern sachgerechte Compliance-Maßnahmen ergriffen wurden, wird man eine Zuwiderhandlung tendenziell schwerer als Ausdruck unzureichender Aufsicht ansehen können.[244] Denn in dem Maße, in dem gebotene Compliance-Maßnahmen installiert sind, erscheinen von Unternehmensmitarbeitern begangene Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten als individueller Exzess. Dies gilt ähnlich für den Pflichtwidrigkeitszusammenhang, der durch sachgerechte Compliance-Maßnahmen prinzipiell durchbrochen werden kann.[245] Allerdings besteht auch hier das Problem, dass Sanktionsinstanzen unter Hinweis auf potentielle Aufsichtsmaßnahmen ex post einen Zurechnungszusammenhang attribuieren, zumal angesichts der hierfür ausreichenden wesentlichen Erschwerung der Zuwiderhandlung die Zurechnung umso leichter erscheint.[246] Da jedoch durch die installierten Compliance-Maßnahmen die Zuwiderhandlung zwar nicht verhindert, aber doch wesentlich erschwert wurde, kann hier ebenfalls ein Ansatzpunkt für effektives Verteidigungshandeln gesehen werden.
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Abgesehen von der Ebene der tatbestandlichen Voraussetzungen können Compliance-Maßnahmen auf der Ebene der Rechtsfolge Bedeutung erlangen, wobei zwischen Ahndungs- und Abschöpfungsteil der Geldbuße zu differenzieren ist.
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Obwohl die Abschöpfung nach h.M. dem Nettoprinzip folgt und insofern tatbezogene Aufwendungen vorteilsmindernd in Ansatz gebracht werden können (vgl. § 17 Abs. 4 S. 1 OWiG: „wirtschaftlicher Vorteil“),[247] müssten im Rahmen der Saldierung Compliance-Maßnahmen an sich unberücksichtigt bleiben.[248] Denn die hiermit verbundenen Aufwendungen werden unabhängig von der Ordnungswidrigkeit getätigt und sind der Sache nach „Sowieso-Kosten“.[249] Allerdings deuten empirische Befunde darauf hin, dass auch in Bezug auf den Abschöpfungsteil die Installierung von Compliance-Maßnahmen mindernd in Ansatz gebracht werden kann.[250]
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Im Rahmen des Ahndungsteils können Compliance-Maßnahmen demgegenüber sowohl im Hinblick auf das Merkmal der „Bedeutung“ der Ordnungswidrigkeit als auch auf den „Vorwurf“, der den Täter trifft, relevant werden (vgl. § 17 Abs. 3 S. 1 OWiG). Obwohl es um unterschiedliche Aspekte geht, bestehen Wechselbezüge: Die Bedeutung der Tat nimmt mit dem Grad des Vorwurfs zu und umgekehrt fällt der Vorwurf umso größer aus, je bedeutender die Ordnungswidrigkeit ist.[251]
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Dem Merkmal der Bedeutung liegen erkennbar generalpräventive Zielsetzungen zugrunde,[252] weshalb entscheidend ist, inwieweit durch eine Sanktionierung generalpräventiv künftige Aufsichtspflichtverletzungen verhindert werden. Insbesondere bei strukturell ungenügender Compliance, die fortwährend Zuwiderhandlungen herausfordert oder in der Vergangenheit bereits herausgefordert hat, kommt der Ordnungswidrigkeit eine größere Bedeutung zu.[253] Ferner besteht ein Zusammenhang zwischen dem Merkmal der Bedeutung und dem Rang der betroffenen Rechtsgüter, da es anders zu werten ist, ob infolge einer Aufsichtspflichtverletzung lediglich Eigentum und Vermögen oder sogar Leib und Leben geschädigt werden.[254] Mildernd dürfte demgegenüber ins Gewicht fallen, wenn der Inhaber im Anschluss an eine Tat nunmehr Compliance-Programme erstmalig installiert oder zumindest verbessert, da angesichts eines solchen Nachtatverhaltens generalpräventive Bedürfnisse schwinden.[255]
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Das Merkmal des den Täter treffenden Vorwurfs adressiert den Gedanken der Tatproportionalität. Zum gesetzlichen Tatbestand zählende Umstände sind ebenso wie beim strafrechtlichen Doppelverwertungsverbot nach § 46 Abs. 3 StGB nicht berücksichtigungsfähig.[256] Daher kann zwar nicht auf die in fehlender oder unzureichender Compliance liegende Aufsichtspflichtverletzung als solche, wohl aber auf deren Intensität abgestellt werden: Je gravierender der Verstoß oder je stärker der Vorsatz- oder Fahrlässigkeitsgrad, desto mehr wird man dem Inhaber die Tat individuell zum Vorwurf machen können.[257] Sanktionserhöhend dürfte sich insbesondere auswirken, wenn der Inhaber Compliance lediglich im Sinne eines Windowdressings betreibt, da hier ein prinzipiell taugliches Instrument zur Sicherung von Normkonformität zweckentfremdet wird.[258] Umgekehrt mag sich mildernd auswirken, wenn der Inhaber aufgrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten nicht das Optimum an kostenintensiver Compliance betreiben konnte, die Unternehmen an die Grenzen ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bringen kann.[259]
b) Haftung für Sachgefahren
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Neben der Haftung für Personengefahren kommt eine Haftung der Leitungsperson wegen Sachgefahren in Frage. Im Ausgangspunkt wird man von einer Garantenpflicht des Betriebsinhabers zur Unterbindung von Gefahren für außenstehende Dritte ausgehen müssen, soweit diese auf Sachen zurückgehen, die im Zuge der Entfaltung unternehmerischer Tätigkeit genutzt werden und ein betriebstypisches Risiko darstellen.[260] Konkret lässt sich diese Garantenstellung auf eine der Leitungsperson obliegende Verkehrssicherungspflicht zurückführen.[261] Indes ist daran zu erinnern, dass die dem Zivilrecht entspringenden Verkehrssicherungspflichten nicht deckungsgleich mit strafrechtlichen Garantenpflichten sind.[262] Vor diesem Hintergrund kommt der Verteidigung insbesondere die Aufgabe zu, einer ungefilterten Transformation zivilrechtlicher Verkehrssicherungspflichten in das Strafrecht entgegenzuwirken und herauszuarbeiten, ob zwingende, spezifisch strafrechtliche Gründe für die Statuierung einer Garantenstellung bestehen (siehe Rn. 21 ff.). Die in diesem Zusammenhang auftretenden Probleme potenzieren sich im Bereich der strafrechtlichen Produkthaftung, bei der neben der Frage der Garantenpflicht noch weitere Themenkreise betroffen sind (siehe dazu Rn. 151 ff.).
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