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Die besondere Bedeutung der Steuernfür die Finanzierung staatlicher Aufgaben zeigt sich beispielhaft am Bundeshaushalt 2018. Dort werden die Ausgaben des Bundes in Höhe von insgesamt rd 341,6 Mrd € zu gut 94 % (321,3 Mrd €) durch Steuern gedeckt[21]. Die restlichen Einnahmen ergeben sich ua aus weiteren Abgaben (zB Gebühren) oder wirtschaftlicher Tätigkeit bzw Veräußerungserlösen[22]. Insgesamt nehmen Bund, Länder und Gemeinden im Jahr 2019 rd 807 Mrd €[23] an Steuern ein.
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Die Dominanz der Steuern bei den staatlichen Einnahmen ist nicht nur ein tatsächlicher Befund. Das Prinzip des Steuerstaates[24] ( Rn 205) lässt sich auch aus dem Verfassungsrecht ableiten. So regelt das Grundgesetz in seinen Art. 105–108 die Gesetzgebungs-, Ertrags- und Verwaltungskompetenzen für Steuern(zu denen auch die Zölle gehören); im bundesstaatlichen Finanzausgleich ( Rn 318 ff) werden Steuer einnahmen verteilt. Hinweise auf andere Abgabearten finden sich im Grundgesetz nur ganz vereinzelt (Art. 74 Abs. 1 Nr 22, 80 Abs. 2, 111 Abs. 2 GG).
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Der prinzipielle Vorrangeiner Finanzierung durch Steuernlässt sich zudem ableiten aus freiheitsrechtlichen (Art. 12 Abs. 1 GG) und sozialstaatlichen (Art. 20 Abs. 1 GG) Erwägungen, weil der Staat dem privat Wirtschaftenden keine (übermächtige?) Konkurrenz machen soll (Rn 623) und sich die Mittel bei denjenigen besorgen muss, die finanziell leistungsfähig sind. Der Staat als Gemeinschaftfinanziert sich also über eine Art Umlageverfahren: die Bevölkerung beteiligt sich anteilig an der Staatsfinanzierung („Preis der Freiheit“[25]), der Staat ist „stiller Teilhaber“[26] an der privaten Wertschöpfung. Steuern sind der finanzielle Beitragdes Einzelnen zur staatlichen Gemeinschaft[27]. Andere Abgaben(Gebühren, Beiträge, Sonderabgaben usw) sind dadurch freilich nicht ausgeschlossen ( Rn 205 ff).
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Die Steuer ist ein Finanzierungsinstrument des Staates, aus dessen Aufkommen die Staatshaushalte allgemein, dh ohne jede Zweckbindung, ausgestattet werden[28]. Steuererhebung und haushaltsrechtliche Verwendungsentscheidung sind strikt getrennt, was dem Staat eine rechtsstaatliche Distanz und Unabhängigkeit gegenüber den ihn finanzierenden Steuerpflichtigen ermöglicht. Er kann auf diese Weise allen Bürgern, unabhängig davon, ob sie erhebliche Steuerleistungen erbringen oder nicht zu den Steuerzahlern gehören, in gleicher Weise verantwortlich sein[29]. Hierin liegt ein wesentlicher Unterschied zu anderen Abgabearten, die teils zweckgebunden sind, teils besondere staatliche Leistungen abgelten ( Rn 267 ff).
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Die Verteilung der Steuernan die verschiedenen staatlichen Ebenen ist Aufgabe des sog. Finanzausgleichs( Rn 318 ff). Das Finanzausgleichsrecht findet sich im Grundgesetz (v.a. Art. 106 und 107 GG); konkretisierende Bestimmungen enthalten das Maßstäbegesetz (MaßstG) und das Finanzausgleichsgesetz (FAG). Neben der Steuerverteilung befasst sich der Finanzausgleich auch mit der Umverteilungfinanzieller Mittel durch Zuweisungendes Bundes an die Länder oder durch Ausgleichszahlungenzwischen den Ländern.
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Reichen die Steuer- und sonstigen Einnahmen des Staates nicht aus, um die notwendigen Ausgaben zu decken, kann sich der Staat grds auch über Kredite(idR Staatsanleihen) finanzieren. Mit der Frage der Zulässigkeit der Kreditfinanzierung befasst sich das Staatsschuldenrecht(für den Bundeshaushalt: Art. 115 GG). Mit der Einführung einer Schuldenbremse ( Rn 437, 447), die die Aufnahme neuer Kredite stark beschränken und damit letztlich auch den Weg für die Tilgung alter Schulden ebnen soll, hat sich der verfassungsändernde Gesetzgeber entschieden, Krediteinnahmen nur noch begrenzt und in bestimmten (Not-)Situationen(zB konjunkturelle Schwäche oder Naturkatastrophen, s. Rn 456) zuzulassen, um die „Nachhaltigkeit“[30] der öffentlichen Finanzwirtschaft zu verbessern[31].
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Auch auf europäischer Ebenesind Regeln zur Begrenzung der Staatsschulden zunächst (mit dem Vertrag von Maastricht 1992) eingeführt und in Reaktion auf die Finanz- und Staatsschuldenkrise der Jahre ab 2007 deutlich verschärft worden ( Rn 493 ff). Auch das Unionsrecht hat damit starke Einflüsse auf das öffentliche Finanzrecht der Mitgliedstaaten, v.a. derjenigen Staaten, die als gemeinsame Währungden Euro eingeführt haben ( Rn 819 ff).
d) Die Rahmenbedingungen: Wirtschafts- und Währungsrecht
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Zwar ist Zweck und Bezugspunkt des öffentlichen Finanzrechts in erster Linie die effiziente Finanzierung staatlicher Aufgaben. Zugleich haben finanzpolitische Maßnahmen aber immer auch – gewollte oder unbewusste – Auswirkungen auf das Verhalten privater Akteure (zB Lenkungssteuern, Subventionen oder die Vergabe öffentlicher Aufträge, s. Rn 196, 218 ff). Die Finanzpolitik ist daher eng verflochten mit anderen Politikbereichen, vor allem mit der allgemeinen Wirtschaftspolitikund der Währungs-bzw Geldpolitik[32]. Dies bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das Finanzrecht.
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Art. 109 Abs. 2 GG verpflichtet Bund und Länder auf die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts(§ 1 Satz 2 StabG, dazu Rn 429, 431 f), verlangt also, dass die staatliche Finanzwirtschaft auf die gesamte Volkswirtschaftabgestimmt wird und auf deren Belange „Rücksicht“ nimmt. Das europäische Unionsrecht formuliert in Art. 119 Abs. 3 AEUV als richtungsweisende Grundsätze für die gemeinsame Wirtschaftspolitikneben „stabilen Preisen“ ua auch „gesunde öffentliche Finanzen“.
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Mit einiger Berechtigung ist daher „das wechselvolle Verhältnis zwischen Finanzpolitikund Währungspolitik“ als „Spiegelbild der Beziehungen zwischen Politik und Wirtschaft im allgemeinen“ bezeichnet worden[33]: Neben dem Hoheitsrechtder Münzprägungund der normativen Regelung des Münzwesens ergab sich aus Sicht der Staaten immer wieder ein Interesse, „aus der Münze, den Münzverschlechterungen und dem Münzbetrug eine Einnahmequellezu machen“[34].
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Die deutsche Währungspolitik seit 1948 („D-Mark“) und auch die europäische Geldverfassung[35] („Euro“) haben sich bemüht, diesen traditionellen Zusammenhang zwischen Geld- und Finanzpolitik aufzubrechen und eine Staatsfinanzierung durch die Notenbankauszuschließen (s. Art. 123 Abs. 1, Art. 127 Abs. 1 Satz 1 AEUV). Mit der Trennung der Geld- von der Finanz- und Wirtschaftspolitik[36], die institutionell durch die Unabhängigkeit der Zentralbank abgesichert wird (Art. 130 AEUV), soll die Währung stabilgehalten und eine „Münzverschlechterung“ – heute würde man von Geldentwertung (Inflation)sprechen – zur Staatsfinanzierung verhindert werden.
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Das Währungsrechtist im Euro-Raum von der nationalen (vgl Art. 73 Abs. 1 Nr 4 f, 88 GG) auf die europäische Ebene gehoben worden[37]. Auf Eurolautende Banknoten sind in Deutschland das einzige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel, § 14 Abs. 1 Satz 2 BBankG, Art. 128 Abs. 1 AEUV. Art. 127 Abs. 1 AEUV macht es zum vorrangigen Ziel des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB), die Preisstabilitätzu gewährleisten. Aus diesem Grund und (nur) zu diesem Zweck sind sowohl die Europäische Zentralbank (EZB)als auch die nationalen Zentralbanken unabhängig(Art. 130 AEUV). Der rechtliche Rahmen, innerhalb dessen die Zentralbanken ihre Aufgaben unabhängig wahrnehmen, ergibt sich aus den europäischen Verträgen sowie der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank, Art. 129 Abs. 2 AEUV ( Rn 840).
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