II. Enteignungsrecht in Investitionsförderungsverträgen
Die Behandlung von Enteignungen ist einer der zentralen Punkte in Investitionsförderungsverträgen. Die diesbezüglich in den Verträgen enthaltenen Bestimmungen entsprechen im Wesentlichen den Regeln im Völkergewohnheitsrecht.
Exemplarisch hierfür ist Art. 4 Abs. 2 des Deutschen Mustervertrages, der bereits seit Jahrzehnten ein fester Bestandteil der von Deutschland abgeschlossenen Investitionsförderungsverträge ist (abgedruckt in: AVR 45 [2007], 276 ff.). Diese Bestimmung erfasst Enteignungen, Nationalisierungen und andere Maßnahmen, die in ihrer Auswirkung einer Enteignung oder Nationalisierung gleichkommen. Unbestimmt bleibt dabei insbesondere, wie die mit der dritten Alternative erfasste indirekte Enteignung inhaltlich zu definieren ist. Das Schiedsgericht in Metalclad v. Mexico charakterisierte den Tatbestand der indirekten Enteignung, auf der Basis von Art. 1110 NAFTA, wie folgt:
„[E]xpropriation […] includes not only open, deliberate and acknowledged takings of property, such as outright seizure or formal or obligatory transfer of title in favour of the host State, but also covert or incidental interference with the use of property which has the effect of depriving the owner, in whole or in significant part, of the use or reasonably–to–be–expected economic benefit of property even if not necessarily to the obvious benefit of the host State.“
Dementsprechend sind die Schwere des Eingriffs, seine Dauer und die Beeinträchtigung schützenswerten Vertrauens für die Bewertung einer Maßnahme als indirekte Enteignung entscheidend.
Ungeachtet dieses Versuchs, dem Enteignungstatbestand Konturen zu geben, ist sein genauer Anwendungsbereich in Wissenschaft und Praxis umstritten. Im Mittelpunkt steht hier insbesondere die Frage, ob allgemein anwendbare, zur Förderung öffentlicher Interessen erlassene Regulierungen (z. B. Verweigerung einer Genehmigung zum Betrieb einer Mülldeponie aus Gründen des Naturschutzes) unter den Enteignungsbegriff fallen können oder nicht. Die Praxis der Schiedsgerichte ist hier nicht einheitlich. Während einige Schiedsgerichte, wie der zitierte Schiedsspruch in Metalclad, von einem uneingeschränkten Anwendungsbereich ausgehen, haben z. B. die Schiedsgerichte in Methanex v. USA (§ 7 – Part IV Chapter D – Page 4) und Saluka v. Czech Rebublic (§ 254) die Ansicht vertreten, dass Regulierungen jedenfalls dann keine Enteignungen darstellen, solange dem Investor bei der Vornahme der Investition nicht spezifische Zusagen gemacht wurden. Neuere Verträge, insbesondere der USA, versuchen diese Problematik durch eine ausführlichere Definition zu klären (vgl. z. B. Annex 10.B zu Art. 10.7 des Freihandelsabkommens USA – Peru). Die dort aufgestellten Kriterien sind der Rechtsprechung des US-Supreme Court entnommen und stellen auf den Charakter der Maßnahme, die Schwere des Eingriffs und die berechtigten Erwartungen des Investors ab. Aus der Abstraktheit dieser Kriterien wird deutlich, dass letztendlich den Umständen des Einzelfalls entscheidende Bedeutung zukommt.
2. Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen
Wie im Gewohnheitsrecht sind Enteignungen nur zulässig, wenn sie bestimmte Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen erfüllen. Art. 4 Abs. 2 des Deutschen Mustervertrages bestimmt, dass Enteignungen nur zulässig sind, wenn sie dem allgemeinen Wohl dienen, nicht diskriminierend sind und eine Entschädigung entsprechend der Hull-Formel bezahlt wird. Art. 4 Abs. 3 regelt die Einzelheiten der Entschädigung und bestimmt insbesondere, dass diese dem Wert der Kapitalanlage vor dem Bekanntwerden der Enteignung entsprechen muss. Zudem muss die Höhe der Entschädigung in einem Verfahren vor den nationalen Gerichten überprüfbar sein.
Damit entsprechen die Regeln in Investitionsförderungsverträgen weitgehend den Bestimmungen des fremdenrechtlichen Gewohnheitsrechts (s. oben, I.). Der wichtigste Unterschied besteht in der detaillierteren Regelung der Berechnung der Entschädigung, die den Streit um die Weitergeltung der Hull-Formel obsolet macht.
III. Menschenrechtliches Enteignungsrecht
Enteignungsregelungen, die an ein Menschenrecht am Eigentum anknüpfen, finden sich in den regionalen Menschenrechtskonventionen ( → Eigentumsschutz, völkerrechtlicher), nämlich in Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur → EMRK, Art. 21 der → AMRKund Art. 14 der → Afrikanische Menschenrechtscharta) sowie Art. 17 der Europäischen Grundrechtecharta.
Im Anwendungsbereich der EMRK werden neben direkten Enteignungen auch de facto-Enteignungen erfasst. Auch hier ist die genaue Abgrenzung von de facto-Enteignungen und keine Enteignungen darstellenden Maßnahmen schwierig und beruht letztendlich auf den Umständen des Einzelfalls. Seit den grundlegenden Entscheidungen des EGMR in Sporrong and Lönnroth (NVwZ 2012, 1455) und James and Others (Bsw. Nr. 8793/79) ist zudem unbestritten, dass eine Enteignung entschädigungspflichtig ist, wobei der EGMR den Staaten hier ein weites Ermessen bei der Berechnung der Entschädigung zugesteht.
E› Erga omnes-Pflichten (Andreas Funke)
Erga omnes-Pflichten (Andreas Funke)
I. Allgemeines
II. Erga omnes-Pflichten (im Sinne einer Berechtigung aller)
III. Verpflichtungen erga omnes?
IV. Abschließende Bewertung
Lit.:
Chr. Tams , Enforcing Obligations Erga Omnes in International Law, 2005; ders. , Enforcing Obligations Erga Omnes in International Law, 2005; K. Zemanek , New Trends in the Enforcement of erga omnes Obligations, UNYB 4 (2000), 1.
Manche Normen des Völkerrechts wirken erga omnes (wörtlich: gegen alle). Diese Wirkung kommt sowohl für die Berechtigungen als auch für die Verpflichtungen, die durch völkerrechtliche Normen begründet werden, in Betracht. Erga omnes-Wirkung kann nämlich bedeuten, dass ein → Staateine Pflicht hat, die gegenüber allen Staaten besteht. Die zugrunde liegende Norm berechtigt mithin alle diese Staaten. Diese Wirkung ist üblicherweise gemeint, wenn von erga omnes-Pflichten die Rede ist (unter II.). Die Übersetzung des Ausdrucks erga omnes als „gegen alle“ ist deshalb missverständlich; gemeint ist: „gegenüber allen“. Gleichwohl wird manchen völkerrechtlichen Normen – und das ist sachlich etwas ganz anderes – eine erga omnes-Wirkung auch in dem Sinne zugesprochen, dass sie alle Staaten verpflichten (unter III.).
II. Erga omnes-Pflichten (im Sinne einer Berechtigung aller)
Pflichten aus erga omnes-Normen, so der → IGHim insoweit grundlegenden Barcelona Traction-Fall (ICJ Reports 1970, 3 (32, Rn. 33)), bestehen gegenüber der → Staatengemeinschaftals ganzer. Sie sind eine Angelegenheit aller Staaten. Demnach haben, so der IGH, alle Staaten ein rechtliches Interesse am Schutz der Rechte, die durch solche Normen begründet werden. Es besteht also anders gesagt eine Pflicht gegenüber allen Staaten. Der IGH zählt zu diesen Pflichten das Aggressionsverbot ( → Aggression, → Angriff, bewaffneter), das Verbot des → Völkermordesund die grundlegenden → Menschenrechte, einschließlich des Schutzes vor Sklaverei und Rassendiskriminierung. Nicht aber – darauf kam es im konkreten Fall an – wirken die Regeln des diplomatischen Schutzes erga omnes. Später hat der IGH die Achtung des → Selbstbestimmungsrechtsder Völker als erga omnes-Pflicht angesehen (ICJ Reports 1995, 90 (102) – Ost-Timor).
Die praktische Bedeutung der erga omnes-Wirkung von Normen kann anhand der multilateralen Menschenrechtspakte veranschaulicht werden. Verletzt ein Vertragsstaat seine menschenrechtlichen Verpflichtungen, ist jeder andere Vertragsstaat, und zwar unabhängig von einer Betroffenheit in eigenen Rechtsgütern, berechtigt, → Gegenmaßnahmeneinzuleiten (sofern nicht der Vertrag selbst spezielle Vorschriften über die Normendurchsetzung enthält, → self-contained regimes ). Diesen Gegenmaßnahmen gegenüber kann sich der betroffene Staat nicht darauf berufen, es läge eine Einmischung in innere Angelegenheiten ( → Interventionsverbot) vor. Eine andere Frage ist freilich, mit welchen Mitteln interveniert werden kann. Wirkt eine Norm hingegen nicht erga omnes, kann die mit ihr verbundenen Rechte nur ein Staat geltend machen, der in eigenen Interessen berührt ist. Im Falle des → diplomatischen Schutzesetwa ist dies ein Staat nur dann, wenn er den Schutz gerade für einen eigenen Staatsbürger beansprucht. Wird die Verletzung einer erga omnes-Norm gerichtlich geltend gemacht, kann der erga omnes-Charakter allerdings nicht das Fehlen der Einwilligung des Verletzerstaates in die Jurisdiktion des Gerichts ersetzen (so der IGH in dem Urteil Ost-Timor, a.a.O.).
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