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f) Moderne Kommunikationstechnik
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Nicht erwähnt wird in der Begründung des Gesetzentwurfs des RDG die Bedeutung der modernen Kommunikationstechnik für die Erbringung auch von Rechtsdienstleistungen.
Verstärkt wird Rechtsrat z. B. via Telefon erbracht. Die Einrichtung von Hotlines auch von nichtanwaltlichen Betreibern, welche Rechtsanwälte bei der Erbringung von Dienstleistungen angeblich einschalten, wurde von der Rechtsprechung gebilligt.[57] Vermehrt wird auch und vor allem das Internet von Rechtsanwälten wie auch nichtanwaltlichen Anbietern genutzt. Jeder Rechtsuchende kann – z. B. bei Fragen zu Vorsorgevollmachten – auf umfassende Beratungsangebote im Internet zurückgreifen, ohne dass er unbedingt eines Rechtsanwalts bedarf.
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Zwar fordert die Rechtsprechung auch bei einer Rechtsberatung über moderne Kommunikationsmittel – noch – den Vertragsabschluss mit und die Leistungserbringung von Rechtsanwälten. Die Einhaltung einer solchen Pflicht ist aber nahezu überhaupt nicht kontrollierbar. Der nicht einen Rechtsberater persönlich Aufsuchende ist auch nur beschränkt schutzwürdig; dies ist der Preis seines Wunsches nach beschränkter Anonymität.
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Es sprechen daher viele Gründe dafür, in diesen Fällen das RDG nicht anzuwenden. Es kommt hinzu, dass ein verstärktes Unterlaufen des Gesetzes auf Grund der E-Commerce-Richtlinie der EU[58] durch eine Internetberatung vom Ausland möglich ist, soweit allein das Recht des Herkunftslands maßgeblich ist.[59]
g) Ende des Anwaltsmonopols
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Auch wenn bisher zu den Auswirkungen der Liberalisierung des Rechtsdienstleistungsrechts keine substantiierten Aussagen mit aktuellen Daten gemacht werden können,[60] weil die Zahl der Konkurrenten auf dem Rechtsberatungsmarkt überhaupt nicht abzuschätzen ist, das Volumen der Aktivitäten unbekannt ist, zudem der gesellschaftliche Rechtsbedarf selbst eine flexible Größe ist, so dürfte außer Zweifel stehen, dass der eigentliche quantitative Dammbruch erst noch bevorsteht. Von entscheidender Bedeutung ist heute vor allem die Erbringung von Rechtsdienstleistungen als Nebenleistung nach dem weit auszulegenden[61] § 5durch Nichtjuristen wie Steuerberater, Unternehmensberater, Wirtschaftsjuristen und sonstige Spezialisten wie z. B. Lebensmittelchemiker.
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Weitere Konkurrenz wird der Anwaltschaft auch – erwachsen durch – was der Gesetzgeber des RDG nach dem oben Gesagten (noch!) abgelehnt hat – Nichtvolljuristen wie Fachhochschulabsolventen oder Absolventen mit Bachelor-Examen, Juristen mit nur einem Staatsexamen, Diplom-Juristen, denen zukünftig das Recht zur selbstständigen Rechtsberatung eingeräumt werden muss.[62] Zu einem Dammbruch würde es erst recht kommen, wenn – dies soll u. a. noch mit § 4 RDGverhindert werden – auch Rechtsschutzversicherungen – wie bis 1960 in der BRD und heute in anderen Staaten der EU möglich – eine selbstständige Rechtsberatung erlaubt wird, was nicht mehr zu verhindern sein wird. In- und ausländische Versicherer müssen nur den „Mut“ haben, ihr Recht zur Beratung – bei Gewährung des Rechts auf freie Anwaltswahl – gerichtlich durchzusetzen.[63]
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Die deutsche Anwaltschaft muss sich jedenfalls nach dem RDG auf einen offenen Rechtsberatungsmarkt einstellen. Das RDG hat das Ende des Rechtsanwaltsmonopols besiegelt, das bereits durch die Judikatur seit 1998 entscheidend eingeschränkt war. Es besteht ein offener Markt an Rechtsdienstleistern, auf dem Rechtsanwälte zwar auf Grund ihrer Ausbildung eine dominierende Stellung innehaben. Sie müssen sich jedoch diesen Markt teilen mit Konkurrenten unterschiedlichster Profession.
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Es wird sich zeigen, inwieweit sie mit den nichtanwaltlichen Dienstleistern im Wettbewerb bestehen können oder ob es zu einer Entwicklung wie in anderen Ländern wie z. B. den Niederlanden kommt, wo die Anwaltschaft lediglich ca. 30 % des Rechtsberatungsmarktes für sich gewinnen konnte.[64] Unabhängig von damit auf der Anwaltsseite verbundenen apokalyptischen Vorstellungen wird sich die deutsche Anwaltschaft jedenfalls auf einen national wie international offenen und liberalisierten Rechtsberatungsmarkt einstellen müssen, indem sie durch Qualität und Professionalität und vertretbare Kosten mit nichtanwaltlichen Dienstleistern konkurrieren muss. Die Rechtsvergleichung zeigt, dass es Anwaltsmonopole und Qualitätssicherung auch ohne Regulierung und bei freier Entscheidung des Rechtsuchenden geben kann.
h) Untauglichkeit des Berufsbildkriteriums
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Mit der Abkehr vom anwaltlichen Berufsmonopol und der breiten Öffnung des Rechtsberatungsmarkts auch für nichtanwaltliche Berufe ist auch die bisherige Beschränkung des Berufsbildes des „Rechtsberaters“ auf Rechtsanwälte nicht mehr haltbar. Die dezidierte Ausgrenzung anderer Rechtsberufe wie z. B. der Unternehmensjuristen bzw. Syndikusanwälte – mit der fatalen Folge ihrer Nichtbefreiung von der Rentenversicherung[65] – oder der Fachhochschuljuristen[66] kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Gesetzgeber mit dem RDG den bereits durch die Rechtsprechung seit 1998 vorgezeichneten Weg bestätigt hat, dass Rechtsdienstleistungen nicht mehr bei einem Beruf wie z. B. den Rechtsanwälten monopolisiert sind und stattdessen die Entwicklung zu einem offenen Markt von Rechtsdienstleistern nicht aufzuhalten ist.
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Zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der mit dem RDG verbundenen Einschränkungen erscheinen das Kriterium des Berufsbilds und die damit verbundene Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers sowie die entsprechende Judikatur nicht weiter tragfähig. Zwar darf danach der Gesetzgeber zum Schutz der Rechtspflege und der Rechtsuchenden Qualifikationsanforderungen und berufsrechtliche Bindungen derjenigen Personen festlegen, die geschäftsmäßig als Rechtsberater tätig werden wollen. Entscheidet er sich dafür, diese Anforderungen in einem Berufsbild wie z. B. des Rechtsanwalts zu konzentrieren, so ist dies verfassungsrechtlich im Prinzip zulässig. Der Gesetzgeber kann insoweit in verhältnismäßiger Weise typisieren und Berufsbilder prägen.[67] Er ist nicht gezwungen, neben diesem Berufsweg noch einen weiteren – etwa den des nichtanwaltlichen Vollrechtsbeistands – zu eröffnen und für diesen weiteren Beruf gesonderte qualifikations- und berufsrechtliche Anforderungen festzulegen. Er darf vielmehr die rechtsberatenden Berufe vereinheitlichen und Vollrechtsbesorgung generell dem Berufsbild des Rechtsanwalts zuweisen.[68] Der Gesetzgeber war auch den Weg der Vereinheitlichung von Berufen zu Gunsten des Höherqualifizierten in verfassungsrechtlich zulässiger Weise nicht nur bei den rechtsberatenden Berufen gegangen, sondern auch bei Zahnärzten und Dentisten[69] sowie bei Steuerberatern und Steuerbevollmächtigten.[70] Ein gewisser, sich in vernünftigen Grenzen haltender Überschuss an Ausbildungs- und Prüfungsanforderungen war dabei unvermeidlich.[71]
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Dieses Berufsbildtopos als Rechtfertigungskriterium vermag jedoch im Bereich der Rechtsdienstleistungen nicht mehr zu überzeugen, weil der Gesetzgeber mit dem RDG auf eine entsprechende Monopolisierung der Rechtsdienstleistungen verzichtet hat. Sie sind nicht mehr bestimmten Berufen und gesetzlich geformten Berufsbildern wie Rechtsanwälten vorbehalten. § 5 RDGerlaubt dezidiert auch die Erbringung von Rechtsdienstleistungen als Nebenleistung durch andere Berufe mit anderen Berufsbildern, welche im Wettbewerb mit dem Rechtsanwaltsberuf stehen. Wenn der Gesetzgeber zudem – vor allem an Fachhochschulen – juristische Studiengänge „unterhalb“ des Rechtsanwaltsberufs anbietet, dann muss er den Betroffenen auch ein selbstständiges Tätigwerden als Jurist erlauben.[72] Die Folge wäre auch hier eine weitere Abkehr vom tradierten Berufsbildmonopol der Rechtsanwälte.
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