Das Buch besteht aus zwei Teilen. Im ersten Teil werden systematische, theoretische, historische, interkulturelle und didaktische Aspekte des Übens und der Übung entfaltet. Der zweite Teil des Buches ist für konkrete Felder des Übens reserviert. Hier werden Bewegen, Imaginieren bzw. Phantasieren, Verstehen, Urteilen, Kritisieren sowie Unterrichten als Praxen des Übens in den domänen- und fachspezifischen Feldern und Diskursen vorgestellt.
Im ersten Kapitel werden zunächst wichtige Kennzeichen des Übens herausgearbeitet und in sieben Punkten überblickshaft und einführend dargestellt. Kapitel 2 beschreibt die europäische Geschichte des Übens von den antiken und mittelalterlichen Praktiken des Übens bis in die Neuzeit und die Reformpädagogik. Mit Rabbow, Hadot und Foucault wird askesis als gleichermaßen geistiges und körperliches Üben bestimmt und als Praxis der Selbstsorge ausgewiesen, in der Aufmerksamkeit und Achtsamkeit für sich und andere eingeübt wird. Üben hat in der Antike eine ethische Dimension, die sich praktisch zu einem ethos (Haltung) verdichten kann. Im Mittelalter wird Üben auf ein überweltliches Heil ausgerichtet. Religiöse Exerzitien nehmen in ihrer praktischen Ausführung einen ästhetisch-sinnlichen Charakter an. Sowohl die ästhetisch-sinnliche als auch die praktisch-ethische Dimension des Übens gehen in der Neuzeit verloren. Hier dominiert der technisch-mechanische Aspekt in der »Schwarzen Pädagogik«, aber auch in der Reformpädagogik. Das Kapitel endet mit einem Ausblick auf eine aktuelle »Wiederkehr der Übung« (
Kap. 2.1) und auf aktuelle Probleme und Fragen der Übungstheorie und Übungsforschung (
Kap. 2.2).
Im dritten Kapitel wird ein interkultureller Blick auf das Üben in China geworfen. Dieses kann jenseits westlicher, kulturalistischer Marginalisierungen und Exotisierungen eine andere Perspektive auf diese Praxis bieten (
Kap. 3.1). Vor dem Hintergrund des Konfuzianismus (
Kap. 3.2) wird deutlich, dass Üben in China erstens mit einer positiv konnotierten Anstrengungs- und Überwindungsbereitschaft verbunden wird, zweitens eine achtsame Atmosphäre und eine konzentrierte Haltung in angespannter Entspannung bei gleichzeitiger entspannter Angespanntheit verlangt und drittens sowohl breites Wissen als auch tiefes Verstehen ermöglicht (
Kap. 3.3).
In Kapitel 4 erfolgt eine lern-, erfahrungs- und sozialtheoretische Grundlegung des Übens. Zunächst werden die lern- und erfahrungstheoretischen Hintergründe dargestellt. Auf der Grundlage einer operativen Unterscheidung von Lernen und Erziehen bzw. Üben und Übung werden dann mit Günther Buck die Grundlagen einer pädagogischen Theorie des Lernens als und aus Erfahrung verdeutlicht. Bildende Erfahrungen sind Lernerfahrungen, in denen umgelernt bzw. umgeübt wird (
Kap. 4.1). Sodann wird Üben als besondere Lernform in fünf Punkten ausgewiesen und Lernen von Üben unterschieden (
Kap. 4.2). Nach einer Kritik an kognitivistischen Lerntheorien, in denen Üben lediglich als sekundäre, unproduktive und konservative Lernform missverstanden wird (
Kap. 4.3
), folgt eine sozialtheoretische Vergewisserung, mit der aktuelle Suchbewegungen der Erziehungs- und Bildungstheorie aufgenommen werden (
Kap. 4.4
). Verkörperung, (Ex-)Position und Vulnerabilität als Praxen und Dimensionen des Antwortens mit und vor Anderen werden schließlich als Kategorien einer erfahrungs- und sozialtheoretisch orientierten Theorie des Übens ausgewiesen.
In Kapitel 5 werden drei Strukturen des Übens – Leiblichkeit, Temporalität und Machtförmigkeit – in einer erfahrungs-, bildungs- und sozialtheoretischen Analyse vorgestellt. Üben kann so als leibliche wiederholende, disziplinierende und gleichermaßen transformatorische Praxis beschrieben werden. Zugleich kann es vom Lernen, vom Bilden, vom Wiederholen, vom schieren Disziplinieren und Unterdrücken abgegrenzt werden.
In Kapitel 5.1 werden zunächst die leiblichen, gestaltförmigen und impliziten Strukturen des Übens dargestellt. Üben wird als leibliche und performative Praxis der Verkörperung beschrieben. Dazu werden wichtige Aspekte der Leibphänomenologie für die Erfahrung und die Praxis des Übens fruchtbar gemacht: in Untersuchungen zur Struktur- und Gestaltübung (
Kap. 5.1.1), zum impliziten Wissen des Übens (
Kap. 5.1.2), zum Aufbau eines Körperschemas im Üben (
Kap. 5.1.3) sowie zum Üben als Praxis der Verkörperung und Selbstsorge (
Kap. 5.1.4).
In Kapitel 5.2 wird Wiederholung als Kern des Übens ausgewiesen. In einer zeitphänomenologischen und zeittheoretischen Perspektive wird zunächst Üben von Wiederholen abgegrenzt (
Kap. 5.2.1), die Wiederholungsstruktur zeitphänomenologisch, diskurstheoretisch und dekonstruktiv bestimmt (
Kap. 5.2.3). Schließlich wird mit der Perspektive auf die temporale Differenz seine existenzielle Performativität (
Kap. 5.2.4) kenntlich gemacht. Die Performativität des Übens wird im Kontext einer existenziellen Dimension der Zeiterfahrung manifest, in der Flow, Gelassenheit oder Achtsamkeit bzw. mindfulness erfahrbar werden.
Kapitel 5.3 beschreibt und analysiert die Macht des Übens. Üben als Praxis der Macht zu betrachten ermöglicht, sowohl seine normalisierenden und unterwerfenden Effekte als auch die produktiven und kreativen Potenziale zu erfassen. Mit Foucault werden drei Formen der Übung vorgestellt, die disziplinierende, die asketische und die pastorale Übung. Auf Grundlage der europäischen Geringschätzung des Leibes und des Übens wird Üben in der Neuzeit zur Disziplinarübung. Mit Foucault werden Kennzeichen dieser Praxis des Machtwissens, der Subjektivation und der Normalisierung genauer dargestellt (
Kap. 5.3.1). Danach werden knapp die antiken Übungspraktiken der Selbstsorge (
Kap. 5.3.2) und dann – ausführlicher – jene des Christentums, d. h. der christlichen Exerzitien (
Kap. 5.3.3), vorgestellt. Diese sind im Kontext einer pastoralen Macht zu verorten, in welcher die machtvolle Fürsorge des Exerzitienmeisters mit der abhängigen Selbstsorge der Übenden zusammenfällt.
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