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Eine aufgrund des § 823 Abs. 1 BGB angreifbare Äußerung gegenüber einem Unternehmen setzt zunächst einen bereits vorhandenen oder noch betriebenen Gewerbebetrieb voraus. Dabei besteht der Unternehmensschutz auch für Freiberufler.[268] Ein Eingriff setzt voraus, dass konkrete Umstände dargelegt werden, die hinreichend belegen, dass mit nachteiligen Folgen der Kritik zu rechnen ist. Zudem wird auch im äußerungsrechtlichen Bereich das Merkmal der Betriebsbezogenheit und dessen Vorgängers, des „unmittelbaren“ Eingriffs, als haftungsbeschränkendes Korrektivverwendet.[269]
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Bei der Güter- und Pflichtenabwägung ist insbesondere, wenn es um eine wahre Behauptung geht, bei der Annahme einer rechtswidrigen Beeinträchtigung äußerste Zurückhaltung geboten.[270] Je nach Bedeutung der öffentlichen Frage können auch überpointierte oder überspitzte Formen der Darstellung zulässig sein.[271] Ein Gewerbetreibender muss eine der Wahrheit entsprechende Kritik an seinen Leistungen grds. hinnehmen.[272]
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Der Schutz des Rechtes am Unternehmen kann sich konkret in vielen Anwendungsfällen äußern. Darunter fallen z.B. auch Boykott-Aufrufe,[273] der Hinweis auf Gefährlichkeit von Produkten,[274] die höchstrichterlich noch nicht geklärte Frage, ob heimliche Filmaufnahmen in der räumlichen Sphäre eines Unternehmens und/oder deren spätere Ausstrahlung zulässig sind[275] oder andere Formen.
3. Beleidigungstatbestände
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Die strafrechtlichen Beleidigungstatbestände sind Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB. Über diese Vorschrift begründen sie auch im Äußerungsrecht Ansprüche. Schon wenn der objektive Tatbestand eines strafrechtlichen Beleidigungsdeliktes erfüllt ist, können Unterlassungs- und Widerrufsansprüche bestehen, da diese ein schuldhaftes Handeln nicht voraussetzen. Für Geldentschädigungsansprüche (Erfordernis des schweren Verschuldens) und Schadensersatzansprüche kommt es auf die schuldhafte Verwirklichung des Deliktes an.
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§ 824 BGB begründet Ansprüche bei der Behauptung oder Verbreitung einer unwahren Tatsachenbehauptung, die geeignet ist, den Kredit eines anderen zu gefährden oder sonst wie Nachteile für dessen Erwerb oder Fortkommen herbeizuführen. Die Vorschrift ist gegenüber dem Schutz des Rechtes des Unternehmens vorrangig, soweit es sich um unwahre Tatsachenbehauptungen handelt.[276] Zu betonen ist aber, dass der Kern der Aussage zu ermitteln ist.[277] Die Unwahrheit folgt nicht aus einer unbedeutenden Übertreibung oder dem Weglassen von Nebensächlichkeiten.[278]
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Die Beweislast trägt grds. der Kläger. Die Kreditgefährdung oder Rufgefährdung muss nicht tatsächlich eingetreten sein. Es genügt die Eignung zur Kredit- oder Rufgefährdung.[279]
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Mittelbare Beeinträchtigungenoder Reflexwirkungen reichen nicht aus.[280] Der Anspruchsteller muss individuell und unmittelbar betroffen sein. Die Kredit- oder Rufbeeinträchtigung muss durch die Kritik selbst drohen. Dies liegt z.B. nicht vor, wenn erst die Reaktion des Betroffenen auf die Kritik zu der Kredit- oder Rufgefährdung führt.[281]
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Verschuldenliegt gem. § 824 Abs. 1 letzter HS BGB nicht erst beim Dolus directus, sondern schon bei Fahrlässigkeit vor. Das Verschulden muss sich nach h.M. sowohl auf die Unwahrheit wie auch auf das Merkmal des Behauptens bzw. des Verbreitens beziehen, ebenso auf die Eignung zur Rufgefährdung.[282]
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Gem. § 824 Abs. 2 BGB besteht keine Schadensersatzpflicht, wenn die Unwahrheit dem Mitteilenden unbekannt ist und er oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse hat. Im Einzelnen ist bei dieser Vorschrift vieles strittig.[283] Die Vorschrift kann als Rechtfertigungsgrund angesehen werden,[284] ähnlich § 193 StGB, für den neben dem § 824 Abs. 2 BGB kein Raum mehr ist. Strittig ist auch, ob § 824 Abs. 2 BGB eingreifen kann, wenn dem Behauptenden die Unwahrheit der Mitteilung schuldhaft unbekannt ist.[285] Nach h.M. findet § 824 Abs. 2 BGB keine Anwendung, wenn der Mitteilende die Unwahrheit billigend in Kauf nimmt (Dolus eventualis).[286]
III. Rechtswidrigkeit und Verschulden
1. Maßstäbe der Rechtswidrigkeit
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Im Äußerungsrecht wird durch die Tatbestandsmäßigkeit die Rechtswidrigkeit nicht ohne weiteres indiziert.Vielmehr ist eine Äußerung dann als rechtmäßig zu behandeln, wenn der Mitteilende alle Sorgfaltsregeln beachtet hat.[287] Die Frage der Rechtswidrigkeit wird ferner dadurch beeinflusst, dass die Schutzgüter Persönlichkeitsrecht und Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb wegen ihrer generalklauselartigen Weite als offene Tatbestände angesehen werden. Das bedeutet, dass über die Rechtswidrigkeit erst aufgrund einer situationsbezogenen Güter- und Interessenabwägungentschieden wird.
2. Wahrnehmung berechtigter Interessen gem. § 193 StGB
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Angesichts der Möglichkeit der subjektiven Rechtfertigung durch Beachtung journalistischer Sorgfaltspflichten und die Notwendigkeit einer Güterabwägung hat die gerichtliche Praxis die Vorschrift des § 193 StGB in den Hintergrund gerückt. Dies allerdings zu Unrecht. Denn bei § 193 StGB als auch ein im Zivilrecht geltender Rechtfertigungsgrund[288] handelt es sich gerade um eine Norm, über die die Grundrechte wirken. Nach § 193 StGB können Äußerungen gerechtfertigt sein, wenn sie zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erfolgen. Auch hier müssen die wahrgenommenen mit den verletzten Interessen abgewogen werden. Im Äußerungsrecht ist das berechtigte Interesse das Informationsinteresse, also das Interesse des Mitteilungsempfängers, informiert zu werden.[289]
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Auch das Bedürfnis, einfach unterhalten zu werden, ist als legitimes Interesse anerkannt.[290] Dies wurde bereits im Caroline I-Urteil ausdrücklich anerkannt.[291] Allerdings ist erlaubt, dass bei der Abwägung berücksichtigt wird, ob die Äußerung lediglich das Bedürfnis einer mehr oder minder breiten Leserschicht nach oberflächlicher Unterhaltung befriedigt.[292]
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§ 193 StGB kann auch dann eingreifen, wenn sich eine aufgestellte Tatsachenbehauptung nachträglich als unwahr erweist. In diesem Fall ist bei der Prüfung der Wahrnehmung berechtigter Interessen die Wahrheit zu unterstellen und hypothetisch zu fragen, ob der Mitteilende berechtigte Interessen wahrgenommen hätte, wenn der Wahrheitsbeweis gelungen wäre.[293] Berechtigte Interessen setzen jedoch voraus, dass der Mitteilende die journalistische Sorgfaltspflicht beachtet hat.
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Die sonstigen in § 193 StGB genannten Fälle sind lediglich Beispielsfälle für berechtigte Interessen. Sie besitzen insoweit keine eigenständige Bedeutung.
3. Journalistische Sorgfaltspflicht
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Die journalistische Sorgfaltspflichtist konkretisiert in den gesetzlichen Grundlagen für die einzelnen Medien, z.B. Landespressegesetz, Rundfunkstaatsverträge, Landesmediengesetze, Gesetze für die einzelnen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten oder Mediendienste Staatsvertrag. Es ist grds. ein strenger Maßstab anzulegen.[294] Allerdings würde eine Überspannung den verfassungsrechtlich geschützten Kommunikationsprozess zu sehr einschränken.[295] Es ist ausreichend, dass sie angesichts der Umstände des Falles vernünftigerweise in Betracht kommenden Recherchen hinreichend gründlich durchgeführt worden sind.[296] Was dies im Einzelnen bedeutet, hängt von den verschiedensten Faktoren ab. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen zu nicht erweislichen Tatsachenbehauptungen und der Verdachtsberichterstattung verwiesen werden.
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