Arnel nickte unglücklich. „Diese dreckigen Injuns!“ Aus seinem Mund klang das irgendwie seltsam, und Pierre sah ihn verblüfft an.
„Wirklich!“, rechtfertigte sich Arnel. „Meine Mutter war eine Yankton … die sind friedlich!“
„Behauptest du!“, brummte Pierre.
Dann horchte er auf, als sich plötzlich am Ufer ein völlig nackter Mann aufrichtete, der mit Winken auf sich aufmerksam machte. Auch auf den anderen Booten sichtete man den Mann und forderte ihn mit Rufen auf, zu ihnen zu schwimmen. Der Mann zögerte kurz, sah sich um und watete dann ins Wasser. Mit einem Satz tauchte er unter und verschwand kurz aus dem Blickfeld der anderen. Keine Sekunde zu früh, denn am Ufer tauchten wie aus dem Nichts Blackfeet auf, die mit Pfeilen auf die Stelle schossen, an der der Mann zuletzt gestanden hatte.
Sofort wurden sie von den Männern an Bord unter Beschuss genommen, sodass sie sich unter Geschrei zurückziehen mussten. Kurz tauchte der Kopf des Mannes auf, dann tauchte er wieder unter. Wieder fielen Pfeile ins Wasser, und die Männer erkannten, dass die Indianer sich einen Spaß daraus machten, den Weißen vor sich her zu hetzen.
„Hierher!“, schrien sie, als der Kopf wieder aus den Fluten auftauchte. Mit letzter Kraft erreichte der Mann ein Boot und klammerte sich an der Bordwand fest. Ihm fehlte jedoch die Kraft, sich hochzuziehen. Wieder flogen Pfeile, und einer traf den Mann am Arm.
„Helft mir!“, brüllte dieser verzweifelt. Eine Salve nahm die Indianer am Ufer unter Beschuss, die sich lieber in Deckung begaben. Sie lachten höhnisch und machten Drohgebärden. Sie sprangen auf ihre Pferde und galoppierten am Ufer entlang. Von dort schossen sie weiter mit Pfeilen auf die Boote. „Helft mir doch!“, rief der Mann. „Ich rutsche ab!“
Zwei Mann nahmen sich schließlich ein Herz: Sie verließen die Deckung, beugten sich über die Bordwand und zogen den Mann mit einem Ruck ins Boot.
Dann ließen sie sich platt auf den Boden fallen, als weitere Pfeile in ihre Richtung flogen. Einer der Männer hielt eine Plane hoch und lenkte so einen Pfeil ab, der ihn sonst getroffen hätte.
Pierre schnaufte durch, als er erkannte, dass der Mann es geschafft hatte. Wie er die kalte Nacht überlebt hatte, wäre eine spannende Geschichte! Ein Mann mehr, der gerettet werden konnte. Dann wurde sein Gesicht grau vor Entsetzen, als sie an einem weiteren Mann vorbeitrieben, der auf entsetzliche Weise entstellt und an einem Baum gefesselt zur Schau gestellt wurde. Fehlten noch drei! Er betete, dass es ihnen nicht ähnlich ergangen war. Immer wieder schaute er zu den Ufern auf beiden Seiten und hoffte, dass dort jemand auftauchte und durch Winken zu verstehen gab, dass es ihm gutging.
An diesem Tag geschah weder das eine noch das andere. Die Indianer blieben unsichtbar, und von den drei Vermissten gab es kein Lebenszeichen. Entweder waren sie ertrunken, oder die Indianer hatten sie erwischt. „Merde!“, fluchte Pierre zwischen den Zähnen hindurch.
Am Abend legten sie an einer der vielen Inseln an, die dadurch entstanden waren, dass der Fluss Nebenarme bildete. Sie waren vollständig vom Wasser umschlossen und konnten so gut verteidigt werden, weil Angreifer erst den Fluss überwinden mussten, und sich nicht im Schutz von Büschen und Bäumen anschleichen konnten. Die Männer verzichteten darauf, Lodges aufzubauen, da der Himmel klar war. Es blies immer noch ein kalter Wind, sodass die Männer sich gern um die Feuer setzten und aufwärmten. Kaffee wurde ausgeschenkt und dann die warme Suppe verteilt. Jeder hatte seine Tasse und seine Schüssel dabei und sorgte selbst dafür, dass sie gesäubert wurde. Dann wurden die Läufe der Waffen mit dem Ladestock sorgfältig gereinigt. Das Überleben hing davon ab, dass die Vorderlader reibungslos funktionierten, und so nahmen sich die Männer hierfür Zeit. Auch die Pistolen hatten Steinschlösser, die regelmäßig geputzt werden mussten. Nach dem Kampf mit den Indianern waren die Läufe verrußt, und auch die Mechanik des Hahns musste überprüft werden. Leises Gemurmel erhob sich über dem Wasser, als die Männer über die letzten Tage sprachen. Ihre Gedanken galten den Freunden, die nicht heimkehren würden.
Pierre saß mit Arnel und Shorty zusammen, die nachdenklich ins Feuer starrten. Sie hielten ihre Waffen in den Händen, obwohl sie mit der Reinigung schon fertig waren. Wie oft hatten sie mit den anderen gesungen und Karten gespielt? Sie dachten an Huey, der so gerne beim Kartenspielen geschummelt hatte, oder an Louis, der zuhause eine Frau und zwei Kinder hinterließ. Manuel Lisa wollte die Familien benachrichtigen und ihnen den Lohn auszahlen. Sie beneideten den Mann nicht, denn traurige Nachrichten zu überbringen, war niemals leicht. „Scheiß Injuns!“, meinte Shorty ernüchtert.
Arnel zuckte etwas zusammen. „Pass auf, was du sagst!“
„Ich meine ja nicht dich!“, entschuldigte sich Shorty. „Du bist ein guter Indianer!“
Arnel presste traurig die Lippen zusammen. „Na ja … nur zur Hälfte. Aber es stimmt schon … es gibt halt solche und solche.“
Pierre schüttete den Kopf. „Es gibt solche und Blackfeet!“, betonte er.
Die beiden nickten wortlos. Kurz breitete sich Schweigen aus, dann schenkte Pierre erneut Kaffee aus. Shorty tat mindestens drei Löffel Zucker hinein und leckte sich die Lippen. „Gutes Zeug!“, lobte er gedankenverloren. „Der weckt Tote auf.“
„Nicht Louis und Huey oder die anderen armen Teufel.“
„Non!“, stimmte Pierre ihm zu. „Hoffen wir auf bessere Beziehungen zu den Mandan und Arikara.“
„Hmh!“, grunzten Arnel und Shorty.
Nach weiteren zwei Wochen, die ohne Zwischenfälle verliefen, erreichten die Boote schließlich die Mündung des Yellowstone in den Missouri. Der Yellowstone hatte unendlich viele Biegungen, sodass sie immer wieder hatten kreuzen müssen, um die optimale Linie zu fahren. Das hatte Zeit gekostet. In der Vogelfluglinie waren es nur 250 Meilen, doch mit den vielen Windungen verdoppelte sich die Entfernung. Sie waren ohne weitere Probleme vorangekommen und blickten nun auf den beeindruckenden Zusammenfluss, der sich vor ihnen öffnete. Auch hier wäre ein geeigneter Ort für einen Handelsposten gewesen, aber nach dem Geschmack der Teilhaber war er noch zu nah an den kriegerischen Blackfeet oder Assiniboine. Also trieben sie weiter den Strom flussabwärts. Hier wurde die Fahrt leichter, denn der Missouri hatte etwas mehr Tiefgang und weniger Windungen. Die Umgebung war hügelig, teilweise mit Gras, teilweise mit Fichten bewachsen. An den Ufern lagen oft Treibholz und angeschwemmte Kadaver. Hin und wieder sahen sie in der Ferne Jagdgruppen von vorbeiziehenden Indianern, die jedoch nicht näher kamen. Am Ufer standen oft Gabelbockantilopen, und einmal sahen sie sogar einen Elch. Die Ufer des Flusses und seiner Nebenarme war inzwischen wieder von Enten, Gänsen und Reihern bevölkert, die dort ihre Nester bauten. Die Männer suchten abends nach den Eiern und erlegten die eine oder andere Ente.
Nach weiteren zehn Tagen kamen sie an der Mündung des Little Missouri vorbei. Hier hatte Manuel Lisa bereits gute Erfahrungen mit den Stämmen gemacht, und so gab er Befehl, nach einem geeigneten Lagerplatz Ausschau zu halten. Die Gegend war zerklüftet, mit vielen Tälern und kargen Hügeln. Der Fluss war hier breit, manchmal mit Untiefen und dann wieder mit Sandbänken, auf die man auflaufen konnte, wenn man nicht aufpasste. Viele kleine Bäche mündeten in den Fluss, doch wenn eine Barkasse den Bach näher in Augenschein nahm, war es oft nur eine Ausbuchtung des Missouri mit schlammigem Boden. Die Hochwasserlinie an den Felsen und Ufern zeigte, dass das Gebiet weiträumig überschwemmt wurde und es daher nicht ratsam war, ein Fort zu bauen. Sie wollten ihren Stützpunkt aber auch nicht zu weit weg vom Wasser errichten, da sonst alles über eine weite Entfernung geschleppt werden musste.
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