In seinem Briefwechsel mit der Prinzessin Elisabeth, der Tochter des abgesetzten Königs von Böhmen, vertiefte Descartes gewisse Punkte seiner Philosophie. Vor allem legte er dar, fast wie ein Beichtvater, wie die Seele aus eigener Kraft alle Widrigkeiten des Schicksals überwinden könne. Er bemühte sich, die souveräne Überlegenheit der Tugendübung über alle irdischen Güter, wie Ehre, Reichtum und Macht, zu beweisen. Als unmittelbare Folge dieser fast stoischen Tugendlehre trennte er sich von Helene. Baillet stellte erleichtert fest, dass sein Geistes- und Tugendheld sich schnell von seinem Fall erhoben habe (»relevé promptement de sa chute«) und dass er »sein Zölibat in seiner ersten Vollkommenheit wiederhergestellt habe.«
In seinem letzten Werk, dem Traktat der Leidenschaften (»Les Passions de l’âme«, 1649) kam er zwar zur Schlussfolgerung, dass alle Leidenschaften gut seien (»elles sont toutes bonnes«), d.h., dass sie eine nützliche Rolle bei der Erhaltung des Lebens spielten, aber man müsse auch die Mittel kennen, um sie geschickt zu beherrschen. So könnten sie den Menschen berühren, ohne ihn zu versklaven. Dann gesteht er den Leidenschaften zu, dass sie dem Menschen erlauben, »die größte Süßigkeit in diesem Leben zu kosten« (»de goûter le plus de douceur en cette vie«).
Descartes starb in Stockholm, wohin ihn die schwedische Königin Christine eingeladen hatte. Jeden Morgen früh um 5 Uhr ließ sie ihn zu sich kommen, um mit ihm zu philosophieren und die Pläne einer Akademie zu besprechen. Der Philosoph erkältete sich im »Lande der Bären«. Am 2. Februar verrichtete er noch alle Frömmigkeitsübungen, nahm das Abendmahl und wurde bettlägerig. Er starb an einer Lungenentzündung am 11. Februar 1650, im Alter von 53 Jahren. Ironie des Schicksals: Der Hauptbegründer der modernen Verstandesphilosophie wurde als Katholik auf dem »Friedhof für ungetaufte und verstandesunreife Kinder« beigesetzt. Seine sterblichen Überreste wurden später getrennt – der Körper 1667, der Schädel 1821 – nach Frankreich übergeführt.
Descartes unterrichtet die Königin von Schweden
Im Jahr 1798 (An VII) gab Nicolas Ponce (1746–1831) sein Werk »Les Illustres Français« heraus. Das Portrait des Philosophen ist von einigen Szenen umgeben. Die ergreifendste davon zeigt Descartes, wie er seine Arme nach seiner Tochter ausstreckt, die sich auf ihrem Sterbebett ihm entgegenhebt. Der Bildtext lautet: »Seine fünfjährige Tochter stirbt in seinen Armen. Er ist untröstlich darüber.« (»Sa fille âgée de cinq ans meurt dans ses bras. II en est inconsolable.«) Ein anderes Bild illustriert die Ursache seiner tödlichen Erkältung: »Er erteilt der Königin Christine von Schweden Unterricht um 5 Uhr morgens im Winter.«
Adrien Baillet: La vie de Monsieur DesCartes. Paris 1691.
Brigitte Hermann: Histoire de mon esprit ou le roman de la vie de René Descartes. Bartillat 1996.
Andre Glucksmann: Descartes, c’est la France. Flammarion. Paris 1987.
Germaine Lot: René Descartes. Esprit-Soleil. Seghers. Paris 1966.
Geneviève Rodis-Lewis: Descartes. Calmann-Lévy. Paris 1995.
Samuel de Sacy: Descartes. Seuil. Paris 1996.
LUDWIG XIV.
In den letzten Jahren seiner Regierungszeit war Ludwig XIV. nicht mehr der europaweit bewunderte und nachgeahmte Sonnenkönig. Das Kriegsglück war nicht mehr auf seiner Seite, die meisten seiner Eroberungen hatte er zurückgeben müssen und seinen Traum vom Rhein, als der natürlichen Grenze Frankreichs, endgültig begraben. Er musste sogar befürchten, dass die feindliche Armee des Prinzen Eugen nach Paris vorstoßen würde. Mit dem Marschall Villars erwog er die Möglichkeit, sich selbst an die Spitze seines letzten Heeres zu stellen, um den Feind an der Somme aufzuhalten: »Ich rechne damit … einen letzten Versuch mit Ihnen zusammen zu machen und mit Ihnen unterzugehen oder den Staat zu retten.«
Nach mehr als 50 Jahren Krieg war das Königreich ausgeblutet, die großen Feldherren der ersten ruhmreichen Jahrzehnte waren tot oder im Ruhestand. Die große Hungersnot, die nach dem schrecklichen Winter 1709 ausbrach, erzeugte eine gefährliche Aufruhrstimmung im Volk. Eine auf die Mauern der Hauptstadt geschriebene Parodie des »Vaterunser« zeugt von der angestauten Unzufriedenheit mit dem Herrscher von Gottes Gnaden: »Vater unser, der du bist in Marly, dein Name ist nicht mehr glorreich, dein Wille geschieht weder auf Erden noch auf dem Meere; unser Brot gib uns heute zurück, denn wir sterben vor Hunger; vergib deinen Feinden, die dich geschlagen haben, aber vergib deinen Generälen nicht und führe uns nicht in Versuchung, unsern Herrn zu ändern, sondern erlöse uns von der Maintenon. Amen.«
Die Dämmerung einer Glanzherrschaft
Längst waren die glänzenden Versailler Feste verrauscht, der Monarch hielt sich jetzt meist in der kleinen Residenz von Marly auf und hatte seinen Hofstaat stark reduziert. Seine letzte Maitresse, Madame de Maintenon, jetzt seine Gattin in morganatischer Ehe, war der Bigotterie verfallen, sie hatte allen Froh- und Leichtsinn vom Hof verbannt.
Die berühmten Bühnenklassiker Corneille, Molière und Racine waren längst gestorben. An die Stelle der prunkvollen Opernaufführungen Lullys mit ihren schmetternden Fanfaren waren die wehmütigen Violenklänge des François Couperin getreten, der dem alternden König in kleinem Kreis an den Sonntagnachmittagen seine »Concerts royaux« vorspielte.
Wenn Frankreich in diesen Jahren auch militärisch, politisch und kulturell viel an Glanz eingebüßt hatte, so war die königliche Familie als solche fast vollkommen intakt. Zwar waren von seinen sechs ehelichen Kindern nur ein Sohn am Leben geblieben und von den zehn unehelichen nur fünf, aber als wahrer Patriarch durfte Ludwig XIV. auf eine zahlreiche Nachkommenschaft herabblicken. Er war Urgroßvater und wusste, dass seine Thronfolge mehrfach, durch drei Generationen von männlichen Nachkommen, gesichert war. Da wurde auch dieses Vertrauen durch eine unerhört grausame Reihe von Schicksalsschlägen erschüttert, welche die uralte Dynastie der Capetinger, deren Herrschaft bis ins 10. Jahrhundert zurückreichte, auszulöschen drohten. In weniger als einem Jahr starben drei Thronfolger, in der natürlichen Reihenfolge ihres Anspruchs auf den Thron. Sie waren normalerweise dazu berufen, Ludwig XV., Ludwig XVI. und Ludwig XVII. zu werden. Das Schicksal entschied anders und übertrug anderen Personen diese Rollen. Gerade eine solch unheilvolle Zukunftsentwicklung war dem Sonnenkönig in seinen glücklichen Tagen als ein Gespenst erschienen, »eine Möglichkeit, die Gott immerdar abwenden möge.«
Der Tod des »Grand Dauphin«
Im April 1711 verlor Ludwig seinen einzigen legitimen Sohn, den »Grand Dauphin«, den Liebling der Pariser, der Armee und der einfachen Menschen. Er war der Einzige, der es wagte, vor dem König das Thema der verelendeten Bauern aufzuwerfen. Bis dahin war er fast nie krank gewesen, und jeder erblickte in ihm den zukünftigen König. Aber in seiner Residenz von Meudon wurde der Dauphin am Abend des 8. April plötzlich von heftigen Kopfschmerzen befallen. Am nächsten Tag zwang die Migräne den leidenschaftlichen Jäger, eine Jagdpartie abzubrechen und sich niederzulegen. Die herbeigeeilten Hofärzte befürchteten, dass er von den Pocken angesteckt sei, und ihre Diagnose erwies sich als zutreffend. Schon am nächsten Tag war das Schlimmste nicht mehr auszuschließen. Der Dauphin träumte mit offenen Augen. Die Ärzte ließen ihn mehrfach zur Ader. Der König verbot den Zugang zum Zimmer des Dauphins. Nach einer kurzen Besserung erfolgte dann das jähe Ende am 14. April. Monsieur de Sourches schreibt: »Gegen sieben Uhr abends begann er mit dem Tod zu ringen, er starb um elf Uhr.« Schon eine halbe Stunde später ließ der König seine Karosse vorfahren und kehrte zurück nach Marly. Erst drei Stunden nach seiner späten Ankunft konnte er sich niederlegen, da er fürchtete, vor übergroßem Schmerz zu ersticken (»appréhendant d’étouffer, tant sa douleur était grande«.)
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