Lukas‘ erstaunter Gesichtsausdruck verrät bereits seinen Eindruck. »Oh, das ist deutlich… schlechter … hätte ich nicht gedacht«, gesteht er.
»Sie sehen, Sie sind ein Typ für warme Farben. Warme, ins Rötliche gehende Farbtöne harmonieren besser mit Ihrem dunklen Teint als kalte, bläuliche oder grünliche Farbtöne.« Lukas nickt und betrachtet weiter sein Spiegelbild.
Nach kurzem Suchen zieht Rebekka ein rosafarbenes Tuch aus dem Stapel über ihrem Arm und legt es Lukas über Brust und Schultern. Der zuckt kurz, schließlich hat er einen derartigen Farbton bisher ausschließlich weiblichen Personen zugeordnet.
Aber dann ändert sich seine Miene ins Nachdenkliche. »Gar nicht mal sooo übel, oder?«, sagt er mit einem schiefen Grinsen.
Rebekka nickt. »Ja, man muss es tatsächlich selbst ausprobieren. Ich denke, Ihnen stehen dunkle Töne noch besser, ein dunkles Rot oder Brombeer, schauen Sie mal«, Rebekka beugt sich ganz weit zu ihm hinunter, bis ihre linke Schulter direkt vor seiner Brust ist. Sie sieht nach vorne in den Spiegel, dabei kommt ihr Kopf Lukas‘ Gesicht sehr nahe. Ihr schwarzes, leicht gewelltes Haar streift seine Wange und er nimmt den angenehmen, frischen und leicht zitronigen Duft ihres Parfums wahr, ganz nah …
Für einen traumhaften Moment scheint es Lukas, als wäre er schwerelos, er sitzt einfach da und genießt den Augenblick. »Wie ich dachte: Sie sind genau mein Typ … ich meine, Sie sind genau derselbe Farbtyp wie ich.«
Rebekka lächelt verführerisch, Lukas hält die Luft an.
Die verzauberte Atmosphäre wird jäh gestört durch ein anhaltendes und anschwellendes Geräusch. Es dauert einige Sekunden, bis Lukas schließlich reagiert und nach seinem Handy greift.
»Entschuldigen Sie bitte, ich muss da ran gehen«, das Bedauern in seiner Stimme ist nicht zu überhören.
»Ja bitte, gehen Sie nur ran« Rebekka hat wieder ihr bezauberndes Lächeln aufgesetzt und Lukas steht auf, um sich mit dem Handy am Ohr ein paar Schritte zu entfernen.
»Hallo Chef.«
»Hallo Lukas, wo sind Sie gerade?«
»Bei Frau Weis in Weiherfeld.«
»Haben Sie heute schon einen Blick in die Zeitung geworfen?«
»Nein, Chef, sollte ich?«
»Nun, die örtliche Presse spielt uns übel mit. Sie schlachten den Fall aus und das bedeutet für uns mehr Druck, wir müssen bald brauchbare Ergebnisse liefern. Wenn Sie die Gelegenheit dazu haben, schauen Sie mal auf die erste Umschlagseite der heutigen Ausgabe.«
Nach einer kurzen Pause fährt Jürgens fort.
»Für mich bedeutet das ein Treffen im Rathaus mit dem Polizeipräsidenten, dem Bürgermeister und dem Landrat. Das Treffen wurde kurzfristig heute um 14.30 Uhr angesetzt. Das heißt auf gut deutsch: die Kacke ist am Dampfen. Ich werde danach sehr wahrscheinlich nicht mehr ins Büro kommen. Bitte informieren Sie das Team, dass wir uns morgen früh wieder um neun im kleinen Konferenzraum zum Briefing treffen.«
»Alles klar, Chef, dann bis morgen.«
Rebekka hat inzwischen die Tücher und die Mappe wieder weggebracht, der Zauber, der kurzfristig in der Luft lag, ist verflogen.
»Vielen Dank für die Informationen, Frau Weis, und für die Beratung.«
»Schade, dass Sie schon gehen müssen, Herr Glattner. Vielleicht kommen Sie ja mal wieder vorbei«, Rebekka legt den Kopf leicht schräg und schenkt ihm ihr schönstes Lächeln.
»Gerne, ich würde mich freuen, aber ich will Ihnen keine Umstände bereiten. Sie haben heute ohnehin viel Zeit für meinen Besuch aufgewendet. Trotzdem: sollte Ihnen noch irgendetwas einfallen, dass Sie mir gerne mitteilen möchten, was auch immer, rufen Sie mich bitte an, jederzeit«, sagt Lukas und reicht ihr seine Visitenkarte. »Ich habe Ihnen hier auch meine Handynummer aufgeschrieben, sicherheitshalber.«
»Vielen Dank, Lukas Glattner, ich werde darauf zurückkommen – vielleicht«, meint Rebekka spitzbübisch nach einem Blick auf das Kärtchen.
Kurze Zeit später verlässt ein verwirrter und innerlich aufgewühlter Lukas Glattner das romantische, alte Haus.
»Gehen Sie einfach rein, der Bürgermeister und der Polizeipräsident sind schon drin«, die Sekretärin des Bürgermeisters weist auf die Tür zum Konferenzraum und widmet sich wieder ihrem Computer.
Am Ende eines sehr langen, dunklen Holztisches mit unzähligen ledergepolsterten Stühlen daneben steht der Bürgermeister im Gespräch mit dem Polizeipräsidenten. Er erblickt Jürgens und wendet sich ihm zu.
»Und Sie müssen Hauptkommissar Jürgens sein, richtig?«
»Richtig, guten Tag, Herr Bürgermeister«, er ergreift die ausgestreckte Hand des Bürgermeisters und erwidert die höfliche Geste.
Auch der Polizeipräsident begrüßt ihn. »Schön, dass Sie so kurzfristig Zeit für uns haben.«
»Das ist doch selbstverständlich. Am Telefon haben Sie ja betont, wie ernst die Angelegenheit ist.«
Als Antwort schiebt ihm der Polizeipräsident die Tageszeitung zu, die aufgeschlagen auf dem Tisch liegt.
›Ein neues Opfer des Autobahn-Killers?‹ steht da in dicken Buchstaben als Überschrift über einem Bericht zum gestrigen Vorfall auf der Autobahnbrücke. Jürgens runzelt die Stirn. Na toll, hauptsache eine Sensation und schon geht die Auflage bei dem Blatt in die Höhe. Ob die Menschen auf einen derart überzogenen Titel womöglich panisch reagieren, ist diesen Zeitungsleuten offenbar vollkommen egal.
»Ich habe den Bericht gesehen.«
»Gut, außerdem gab es heute schon eine Reportage im Radio über die Geschichte.« Aha, das wird ja immer besser , schießt es Jürgens durch den Kopf, jetzt traut sich bald niemand mehr in die Nähe einer Autobahnbrücke .
Kaum hat der Polizeipräsident den Satz vollendet, tritt ein weiterer Herr zur Gruppe.
Seine düstere Mine lässt nichts Gutes erahnen. »Das ist ernst, jetzt besteht die Gefahr einer Panik oder zumindest Hysterie in der Bevölkerung, das müssen wir unbedingt vermeiden!« »Hallo, Herr Landrat«, der Polizeipräsident schüttelt dem soeben Erschienenen die Hand, ebenso der Bürgermeister und Jürgens, den der Bürgermeister kurz vorstellt.
»Jetzt sind wir vollzählig – Frau Pitz?« Einen Moment später erscheint der Kopf der Sekretärin in der halbgeöffneten Tür. »Frau Pitz, bitte bringen Sie uns Kaffee und Mineralwasser – oder mag einer der Herren lieber Tee?« Allgemeines Kopfschütteln. »Gut, dann also Kaffee und etwas Gebäck!« »Kommt gleich«, damit verschwindet die Sekretärin wieder. »Tja, wie Sie bereits wissen, geht es um den Mordfall gestern auf der Autobahnbrücke und um die Berichterstattung darüber«, der Bürgermeister deutet auf die Zeitung, »die aufgrund des ähnlichen Vorfalles vor zwei Wochen auf einer Brücke bei Kronau einen sogenannten Autobahn-Killer ins Gespräch bringt, und damit Ängste in der Bevölkerung schürt.«
»Gibt es denn Zeugen oder Indizien, die den im Artikel erwähnten Schuss aus einem fahrenden Auto bestätigen?«, fragt der Landrat an den Polizeipräsidenten gerichtet. Der leitet die Frage mit einer Handbewegung an Jürgens weiter. »Nein, nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen könnte der Schuss sowohl von der Autobahn als auch von einer beliebigen anderen Stelle aus abgefeuert worden sein. Es gibt keine Patronenhülse und auch das Projektil selbst konnte nicht sichergestellt werden.«
»Wie kann dieser … Schreiberling dann gleich von einem ›Autobahn-Killer‹ sprechen?«, ereifert sich der Landrat.
»Weil eben vor ziemlich genau zwei Wochen auf einer anderen Autobahnbrücke in der Nähe ebenfalls ein junger Mann aus einem auf der Autobahn fahrenden Auto heraus erschossen wurde. Und in diesem Fall gab es Zeugen. Zwei Jugendliche, die eine Hand mit einer Schusswaffe im oder neben dem Autofenster gesehen haben wollen«, antwortet der Polizeipräsident leicht ungeduldig.
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